C. Kassung u.a. (Hrsg.): Kulturtechniken der Synchronisation

Cover
Titel
Kulturtechniken der Synchronisation.


Herausgeber
Kassung, Christian; Macho, Thomas
Reihe
Reihe Kulturtechnik
Erschienen
Paderborn 2013: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
413 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Lukas Boser, Section d’histoire, Université de Lausanne

Bekannte Namen und vielversprechende Titel garantieren noch kein lesenswertes oder gar lehrreiches Buch. In diesem Fall lässt sich nach der Lektüre des Werks aber ein positives Fazit ziehen. Das Buch enthält mehrere sehr aufschlussreiche Beiträge und immer wieder neu ansetzende Überlegungen zu den im Titel genannten Themen Kulturtechniken und Synchronisation.

Das Buch ist das Resultat einer Tagung, die von einer interdisziplinären Forschergruppe am Hermann von Helmholtz-Zentrum der Humboldt Universität zu Berlin veranstaltet wurde. In Berlin gibt es eine ganze Reihe an Zentren und Instituten, die sich interdisziplinär mit Themen wie Wissenschaft, Emotionen oder eben Kulturtechniken befassen. Dass diese Arbeit Früchte trägt, belegt der vorliegende Band. 15 Autorinnen und Autoren, vorrangig aus den Gebieten Kultur- und Medienwissenschaft, beschäftigen sich anhand von Beispielen aus ihrer jeweiligen Forschung mit Kulturtechniken der Synchronisation. Die Herausgeber betonen in der Einleitung, dass die Verwendung des Genitivs im Titel des Buches auf eine doppelte Bedeutung desselben hinweisen solle: „Einerseits zielt er (genitivus objectivus) auf Synchronisation als Ergebnis der Anwendung von Kulturtechniken, andererseits (genitivus subjectivus) auf Synchronisation als Generator von Kulturtechniken, auf Synchronisation als Kulturtechnik.“ (S. 10 – Hervorhebungen im Original) Diese doppelte Bedeutung des Titels eröffnet einen großen Spielraum für die Ausgestaltung der einzelnen Beiträge.

Dass es sich bei Kulturtechnik und Synchronisation keineswegs um unproblematische Begriffe handelt, verheimlichen die Herausgeber nicht. Eine Definition falle schwer, schreiben sie (S. 15f.). Vordergründig scheint die Synchronisation noch der einfachere der beiden Begriffe zu sein. Sie bezeichne einerseits die Herstellung von Gleichzeitigkeit, andererseits bezwecke sie „eine Art von Rhythmisierung“ (S. 15). Jens Schröter weist in seinem Beitrag darauf hin, dass Gleichzeitigkeit kein ausreichender Begriff sei, um Synchronisation zu beschreiben: „Zwei Leute können gleichzeitig in demselben Becken schwimmen, sind aber darum noch keine Synchronschwimmer.“ (S. 367) Er verweist daher auf eine Definition, die Synchronisation mit „Gleichlauf“ synonym setzt (S. 368). Noch schwerer als bei der Synchronisation scheint es Kassung und Macho zu fallen, das Wort ‚Kulturtechnik‘ zu definieren, was sich schon alleine daran zeigt, dass der Versuch, diesen Begriff zu umreißen, fünfmal mehr Platz beansprucht als dies bei der Synchronisation der Fall ist (S. 16ff.). Kulturtechniken waren, so halten die Herausgeber fest, lange Zeit „schlicht und einfach Agrartechniken“ (S. 16). Macho und Kassung referieren im Folgenden jedoch auf eine zweite Bedeutung des Begriffs, wonach er Techniken bezeichne, „mit deren Hilfe gleichsam symbolische Arbeit verrichtet wird“ (S. 16). Dabei heben sie drei Charakteristika des so verstandenen Begriffs hervor: Kulturtechniken sind selbstreferentiell, kontextneutral und sie brauchen respektive generieren Medien (S. 17f.). Gemeinsam ist den Begriffen, dass sie den Herausgebern als geeignet erscheinen, die Opposition Natur – Kultur und damit auch den „Graben zwischen den Kulturen der Natur- und Geisteswissenschaften“ zu überwinden (S. 14). Nach der kurzen Einleitung überlassen es die Herausgeber den Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge zu zeigen, wie sich ihre jeweiligen Forschungen im Rahmen des Themas des Bandes darstellen und interpretieren lassen.

Der Band gliedert sich in drei Teile. In diesen sind jeweils fünf Beiträge zusammengefasst. Im ersten Teil geht es um soziale, im zweiten um technische und im dritten um mediale Synchronisation. Kassung und Macho weisen darauf hin, dass die Begriffe soziale, technische und mediale Synchronisation nicht „exakt trennscharf“ seien, sie würden vor allem „heuristische Dienste“ leisten (S. 18). Im ersten, durchweg sehr lesenswerten Teil geht es um die Visualisierung respektive um die tabellarische Darstellung des historischen Zeitverlaufs (Anna Echterhölter), um das Befehlen als Kulturtechnik der Synchronisation (Thomas Macho), um verschiedene aufeinanderfolgende epidemiologische Modelle zur Erklärung der Verbreitung der Cholera (Olaf Briese), um die Geschichte der Larkin Soap Manufacturing Company und ihr von Frank Lloyd Wright erbautes Verwaltungsgebäude (Christiane Schnaithmann) und schließlich auch um synchrone Verhaltens- und Bewegungsmuster von Tieren in Schwärmen wie es beispielsweise Glühwürmchen oder Fische an den Tag legen (Sebastian Vehlken). Im zweiten Teil, der sich der technischen Synchronisation widmet, geht es zunächst um die Synchronisierung von öffentlichen Uhren (Johannes Graf), um den Begriff der ‚Gleichschaltung‘ (Wolfgang Pircher) und um die Herstellung und Interpretation von Luftaufnahmen (Gloria Meynen). Die letzten beiden Beiträge dieses Teils beschäftigen sich schließlich mit der Synchronisation von Mensch und Computer respektive mit der Synchronisation in Computersystemen (Lasse Scherffig und Georg Trogmann – unter dem schönen Titel: „Über das Warten beim Rechnen“ – sowie Martin Warnke). Der dritte und letzte Teil des Buches ist dem Thema ‚mediale Synchronisation‘ gewidmet. Hier finden sich Beiträge über verschiedene Theorien des Lesens (Christian Kassung), über die Synchronisation von Bild und Ton im Film um 1930 sowie die Kontroverse um die Sprachsynchronisation des Films ‚Im Westen nichts Neues‘ (Michael Wedel), über die Entstehung und Funktion des Plans der Londoner Tube (Sebastian Geißmann), über das Schicksal des Plattenspielers (Jens Schröter) und über die Synkope in Medizin, Musik, Literatur und im Film (Albert Kümmel-Schnur).

Die Vielfalt der behandelten Themen in diesem Band erschwert es, den beschriebenen Synchronisationsformen zu folgen. Dazu wäre beträchtliches Wissen aus Philosophie, Mathematik, Technik-, Wissenschafts-, Kunst-, Medien- und Kulturgeschichte, Informatik, Biologie und Medizin – um hier nur einige zu nennen – von Nöten. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist der Sammelband ein gutes Beispiel dafür, wie die oft geforderte Interdisziplinarität in die Forschungsrealität umgesetzt werden kann. Interdisziplinarität heißt hier nicht, dass am Ende alle alles besser wissen, sondern es bedeutet, dass man daraus lernen kann, dass eine Thematik anhand verschiedener Beispiele, aus verschiedenen Blickwinkeln, mit verschiedenen Methoden und Fragestellungen bearbeitet wird.

Sucht man trotz dieser Vielfalt nach Gemeinsamkeiten der einzelnen Beiträge, so ließe sich etwa feststellen, dass man es bei Kulturtechniken der Synchronisation mit Formen der Kommunikation respektive Interaktion und ihren jeweiligen Medien zu tun hat. Einer Kommunikation und Interaktion, die zwischen Individuen und ihrer Umwelt (sei sie natürlich oder technisch) ein gewisses Maß an Übereinstimmung (oder eben ‚Gleichlauf‘) herzustellen versucht. Dabei ist es oft ein Spannungsfeld zwischen Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, das mittels Synchronisation aufgehoben werden soll.

Wie meistens in Sammelbänden haben nicht alle Beiträge die gleiche Qualität. Einigen Texten ist anzumerken, wie sehr ihre Autorinnen oder Autoren mit dem Thema des Bandes gerungen haben. Einige Beiträge lassen sich dem Thema der Synchronisation nur schwer unterordnen. Andere wiederum geben ein sowohl in sich selbst als auch in Bezug auf das Thema des Buches stimmiges Bild ab und lassen den Versuch, Kulturtechniken der Synchronisation zu beschreiben und zu interpretieren – wie eingangs dieser Rezension schon erwähnt – als gelungen und lesenswert erscheinen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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