Titel
Katharina Staritz 1903-1953. Dokumentation Band 1: 1903-1942


Autor(en)
Erhart, Hannelore; Meseberg-Haubold, Ilse; Meyer, Dietgard
Erschienen
Neukirchen-Vluyn 1999: Neukirchener Verlag
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Koch, Ruhr-Universität Bochum Fachbereich Ev. Theologie

In den letzten Jahren ist die gender-Perspektive verstärkt auch in der kirchlichen Zeitgeschichte wahrgenommen worden. Forschungsschwerpunkte sind bislang die konfessionellen Frauenverbände, die Diakonie sowie die Geschichte der Frauenordination und der ersten Theologinnen. Wegweisend für letztere war vor allem das Göttinger Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen, das von der 1989 emeritierten Göttinger Professorin Hannelore Erhart gegründet wurde und grundlegende Arbeiten zu den Diskussionen über das Pfarramt für Frauen in den evangelischen Kirchen im 20. Jahrhundert vorgelegt hat.1 Dabei standen zunächst die Frage nach der Frauenordination als solcher im Vordergrund, die damit verbundenen theologischen Diskussionen, die kirchenpolitischen Konstellationen, die das Pfarramt für Frauen lange verhindert haben, und die Biographien und Arbeitsfelder der ersten ordinierten und nicht-ordinierten evangelischen Theologinnen. Die jetzt von Hannelore Erhart, Ilse Meseberg-Haubold - Professorin für Kirchengeschichte an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg - und Dietgard Meyer - Pfarrerin in Kurhessen-Waldeck - herausgegebene biographische Dokumentation über die Theologin Katharina Staritz (1903-1953)2 führt die angefangenen Linien weiter, indem sie sich in erster Linie auf die spezifische theologische Eigenleistung und die daraus erwachsenen Handlungsmaximen und Konsequenzen konzentriert. Zugleich leistet der Band einen wichtigen Beitrag als regionalgeschichtliche Studie über das Verhalten der schlesischen Kirche gegenüber evangelischen Christen jüdischer Abstammung.

Am 25. Juli 1903 in Breslau geboren, studierte Katharina Staritz ab 1922 an der Breslauer Universität zunächst Philologie mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Religion, ab 1926 dann Evangelische Theologie. An der Philipps-Universität in Marburg bestand sie 1928 das Fakultätsexamen und schloß fast gleichzeitig ihre Promotion ab - an der theologischen Fakultät Marburg als erste Frau. 1932 wurde sie Stadtvikarin in Breslau, wo sechs Jahre später, 1938, ihre Einsegnung stattfand. Nach dem 1927 von der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, zu der auch die schlesische Kirche gehörte, verabschiedeten Theologinnengesetz, war es Frauen zwar erlaubt, theologische Examina abzulegen, als Pfarrerinnen konnten sich jedoch nicht arbeiten. Sie wurden als "Vikarinnen" eingestellt, statt der bei Männern üblichen Ordination erfolgte eine "Einsegnung", ihre Dienstbezüge betrugen nur 75% des Pfarrergehaltes, sie waren in ihrer Arbeit auf die Tätigkeiten mit Kindern und Frauen beschränkt, von der Sakramentsverwaltung ausgeschlossen und dem Zölibat verpflichtet.

Katharina Staritz arbeitete zunächst in den Bereichen Krankenhausseelsorge mit Kindern, Ergänzungsunterricht für Konfirmanden aus weltlichen Schulen und Übertrittsunterricht für Jugendliche und Frauen. In diesem Zusammenhang kam sie häufig in Kontakt zu Jüdinnen und Juden, die sich evangelisch taufen lassen wollten. Aus dieser Tätigkeit ging eine weitere hervor: Katharina Staritz übernahm die Leitung der schlesischen Vertrauensstelle des Büros Pfarrer Grüber (Kirchliche Hilfsstelle für evangelische Nichtarier). Anders als viele Pfarrer und anders als die offizielle protestantische Kirche setzte sie sich vehement für - nach der NS-Terminologie - "nicht-arische" Christen ein. Anläßlich der sog. Stern-Verordnung vom 5. September 1941 verfaßte sie einen Text, der am 12. September 1941 durch ihren Dienstvorgesetzten, den stellvertretenden Stadtdekan Eduard Meissner, an alle Breslauer Pfarrer versandt wurde: "Im Reichsgesetzblatt vom 5.9.1941 ist eine Polizeiverordnung veröffentlicht über die Kennzeichnung der Juden, die am 19.9.1941 in Kraft tritt. Sie bestimmt folgendes: Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze [...] müssen beim Erscheinen in der Öffentlichkeit durch ein Abzeichen in Form eines handtellergroßen Davidsterns mit der schwarzen Aufschrift 'Jude' gekennzeichnet sein [...]. Zu den von dieser Verordnung betroffenen Menschen gehören auch einige unserer Gemeindeglieder [...]. Es ist Christenpflicht der Gemeinden, sie nicht etwa wegen der Kennzeichnung vom Gottesdienst auszuschliessen. Sie haben das gleiche Heimatrecht in der Kirche wie die anderen Gemeindeglieder und bedürfen des Trostes aus Gottes Wort besonders. Für die Gemeinden besteht die Gefahr, dass sie sich durch nicht wirklich christliche Elemente irreführen lassen, dass sie die christliche Ehre der Kirche durch unchristliches Verhalten gefährden. Praktisch [...] ist es notwendig, dass treue Gemeindeglieder, die wissen, was Kirche ist, neben und unter den nichtarischen Christen Platz nehmen. Es ist auch zu überlegen, ob nicht wenigstens in der ersten Zeit, diese gekennzeichneten Christen auf ihren Wunsch von Gemeindegliedern zum Gottesdienst abzuholen wären, da einige mir gegenüber schon geäussert haben, sie wüssten nicht, ob sie nun noch wagen dürften, in die Kirche zu gehen." (S. 393).

Im Unterschied zu der von Katharina Staritz geforderten solidarischen Haltung forderte die Deutsche Evangelische Kirche in einem Rundschreiben vom 22. Dezember 1941 von allen evangelischen Landeskirchen, "geeignete Maßnahmen zu treffen, daß die getauften Nichtarier dem kirchenlichen Leben der deutschen Gemeinde fernbleiben." (S. 401).

Weitreichend waren die Konsequenzen für Katharina Staritz persönlich: Noch im Oktober wurde sie vom Dienst suspendiert und aus Breslau verwiesen. Während sich die schlesische Kirchenleitung von Katharina Staritz ausdrücklich distanzierte, wurde der stellvertretende Stadtdekan, der das Rundschreiben als amtliches Rundschreiben herausgegeben hatte, lediglich von seinem Amt als stellvertretender Stadtdekan entbunden, blieb aber Pfarrer in Breslau. Im Zuge einer breitangelegten NS-Propagandaaktion wurden Auszüge aus dem Rundschreiben im SS-Organ "Das Schwarze Korps" publiziert und Katharina Staritz öffentlich angeprangert. In Marburg, wo sie sich nach ihrer Ausweisung aus Breslau aufgehalten hatte, wurde sie am 4. März 1942 verhaftet und kam ins Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie bis Mai 1943 blieb; ab 1945 arbeitete sie in Kurhessen-Waldeck und in Frankfurt am Main.

Die Dokumentation umfaßt die Jahre 1903 bis 1942 und ist in fünf Kapitel unterteilt. Diese gliedern sich jeweils in eine Einleitung und einen umfangreichen Bestand von insgesamt 130 Dokumenten. Darin finden sich zahlreiche Briefe an Hans von Soden, Katharina Staritz´ akademischen Lehrer in Marburg, mit dem sie theologische und kirchenpolitische Fragen erörtert, einige Briefe an den langjährigen Freund Jochen Klepper, Briefwechsel aus der Arbeit der schlesischen Vertrauensstelle des Büros Grüber sowie die akribische Darstellung des Konflikts um das Rundschreiben.

Abgerundet wird der Band von einem sechzigseitigen Personenregister mit Kurzbiographien.

Eine Besonderheit in diesem Band ist der von Dietgard Meyer verfaßte Exkurs über Elisabeth Schmitz (1893-1977), deren Verfasserschaft der zweiten Denkschrift "Zur Lage der deutschen Nichtarier" von 1935/36 hier erstmals nachgewiesen wird (S. 187-269). Diese wurde in der bisherigen Forschung der Berlin-Zehlendorfer Wohlfahrtspflegerin Marga Meusel zugeschrieben, die bereits 1935 die "Denkschrift über die Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern" verfaßt hatte. Diese lag der Reichsbekenntnissynode in Augsburg 4.-6. Juni 1935 vor, wurde dort aber nicht behandelt. Die zweite Denkschrift, die keinen Verfassernamen enthielt, aber bald ebenfalls Marga Meusel zugeschrieben wurde, lag der Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union in Berlin-Steglitz 23.-26. September 1935 vor, wurde aber auch dort nicht behandelt, da man dem Thema Judenverfolgung offensichtlich aus dem Weg gehen wollte.

Marga Meusel ging es - wie Katharina Staritz - um die evangelischen Christen jüdischer Abstammung, die Denkschrift von Elisabeth Schmitz ging dagegen weit darüber hinaus, indem sie die Bekennende Kirche zur entschiedenen Stellungnahme für alle verfolgten Juden aufforderte. Sie forderte eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem NS-Staat und seiner Rassenideologie. Bereits 1935 erkannte sie: "Die Beispiele genügen, um zu zeigen, daß es keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen wird." (S. 194). Sie hat den wohl eindeutigsten und profiliertesten Text auf protestantischer Seite verfaßt, der sich im "Dritten Reich" mit der Lage der rassisch Verfolgten auseinandersetzte.

Elisabeth Schmitz fand mit ihrer Denkschrift und mit zahlreichen Briefen, die sie u.a. an Friedrich von Bodelschwingh und an Martin Niemöller richtete, in der Kirche keine Gehör. Selbst zog sie, die bereits seit 1933 eine jüdische Ärztin bei sich im Haus aufgenommen hatte, nach dem November-Pogrom 1938 die Konsequenz, sich als Lehrerin in den Ruhestand versetzen zu lassen. An die Berliner Schulbehörde schrieb sie: "Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht bei meinen rein weltanschaulichen Fächern - Religion, Geschichte, Deutsch - so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir erwartet und fordert." (S. 205). 1946 kehrte sie in den Schuldienst zurück.

Die Verknüpfung der Dokumentation über Katharina Staritz mit der Denkschrift von Elisabeth Schmitz stellt die biographische Darstellung in den größeren Rahmen kirchenpolitischer Entscheidungen. Sie bringt implizit auch die Verweigerung der Frauenordination mit der Verweigerung der Unterstützung für rassisch Verfolgte durch die Kirchen in Verbindung: Weil sie als nicht-ordinierte Theologin kein Gemeindepfarramt ausüben durfte, wurde Katharina Staritz mit der Arbeit mit "evangelischen Nichtariern" betraut und lernte so hautnah deren Situation kennen, die sie schließlich zu dem Rundschreiben veranlaßte. Zugleich trafen sie als nicht-ordinierte Theologin ohne ordentliches Pfarramt die kirchlichen und staatlichen Sanktionen ungleich härter als den eigentlichen Absender des Schreibens, ordinierter Pfarrer und stellvertretender Stadtdekan, den seine Kirche schützte, während sie die Vikarin Katharina Staritz fallenließ.

Der auch äußerlich ansprechend gestaltete Dokumentationsband mit zahlreichen Fotos regt zu genauerer Analyse der abgedruckten Texte an und läßt auf den zweiten Band hoffen.

Anmerkungen:
1 Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen. Göttingen (Hg.), "Darum wagt es, Schwestern ...". Zur Geschichte evangelischer Theologinnen in Deutschland, Neukirchen-Vluyn 21994 (Historisch-theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, 7); Köhler, Heike / Henze, Dagmar / Herbrecht, Dagmar / Erhart, Hannelore (Hg.), Dem Himmel so nah - dem Pfarramt so fern. Erste evangelische Theologinnen im geistlichen Amt, Neukirchen-Vluyn 1996; Herbrecht, Dagmar / Härter, Ilse / Erhart, Hannelore (Hg.), Der Streit um die Frauenordination in der Bekennenden Kirche. Quellentexte zu ihrer Geschichte im Zweiten Weltkrieg, Neukirchen-Vluyn 1997.
2 Zu Katharina Staritz erschien bisher: Schwöbel, Gerlind, "Ich aber vertraue." Katharina Staritz - eine Theologin im Widerstand, Frankfurt am Main 2. Aufl. 1990 (Schriftenreihe des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main, 15); Raupach, Corinna, Katharina Staritz, in: Köhler, Heike / Henze, Dagmar / Herbrecht, Dagmar / Erhart, Hannelore (Hg.), Dem Himmel so nah - dem Pfarramt so fern. Erste Theologinnen im geistlichen Amt, Neukirchen-Vluyn 1997, 134-139.

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