H.-J. Gilomen: Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters

Cover
Titel
Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters.


Autor(en)
Gilomen, Hans-Jörg
Reihe
Beck'sche Reihe 2781
Erschienen
München 2014: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 8,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Eine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, die kurz die wichtigsten Zusammenhänge deutlich macht, wurde bisher vermisst. Umso erfreulicher ist dieser kleine Band von Hans-Jörg Gilomen, seit 2010 emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Zürich, der seine Kenntnisse über sehr viele Einzeldetails zu einem großen gut lesbaren Gesamtbild zusammengesetzt hat.

Die facettenreiche Darstellung ist in fünf Teile gegliedert: Zunächst wird die Zeit „Von der Spätantike zum Mittelalter (5. bis 7. Jahrhundert): Brüche und Kontinuitäten“ (S. 7–29) beschrieben, im zweiten Teil „Vom 7. bis 9. Jahrhundert: ein erster Aufschwung“ (S. 30–54) festgestellt, bevor „Das Hochmittelalter: Rückschlag und neues Wachstum vom 10. bis zum 13. Jahrhundert“ (S. 55–95) und schließlich „Das Spätmittelalter: Erlahmen, Krisen und erneuter Aufbruch“ (S. 96–123) folgen. Die kurzen „Leseempfehlungen“ (S. 124) werden durch eine 18-seitige Literaturliste auf der Webseite des Verlags ergänzt. Durch ein Register (S. 125–128) ist der Band – wie in dieser Reihe üblich – gut erschlossen.

Gilomen, der seine Materie im Laufe seines Forscherlebens intensiv durchdrungen hat, versteht es, die ältere Forschung sehr abgewogen darzustellen. Die älteren Theoriegebäude werden zwar dargestellt, aber es wird auch klar, dass die in sich geschlossenen theoretischen Konstruktionen in dieser Art, kaum mehr mit ihren absoluten Geltungsansprüchen haltbar sind. Dies wird am deutlichsten bei den Unterkapiteln am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter: bezüglich möglicher Kontinuitäten und Brüche, am älteren Wunschkonstrukt der sogenannten „Ackerbürgerstädte“ (S. 76) oder an der spätmittelalterlichen „Krisenzeit“, wo die Theoriegebäude von Wilhelm Abel, der marxistischen Forschung und späterer Forschungsströmungen (S. 96) nebeneinander gestellt werden und vorsichtig, letztlich aber zu Recht, relativiert werden.

In jedem der fünf Kapitel werden die Bereiche Landwirtschaft, Handwerk, Städte, Handel und Finanzen in ihrer Entwicklung dargestellt und auf die besonderen Schwerpunkte und Innovationen in der jeweiligen Epoche hingewiesen. Hinzu treten Anmerkungen zur allgemeinen Bevölkerungsentwicklung und den Faktoren, die sie beeinflussten. Als dabei nicht zu unterschätzender Punkt wird die Entwicklung des Saat-Ernte-Verhältnisses wiederholt betrachtet (S. 17, 37, 64f.), das ebenso wie der Übergang von der Zweifelder- zur Dreifelderwirtschaft (S. 39, 65f.) oder die Verbreitung des Beetpfluges (S. 40, 49) alle anderen nachrangigen Entwicklungen fundamental beeinflusst hat. Durch die Nutzung von wendigeren Pferden statt langsamer Ochsen in der Landwirtschaft erhöhte sich zudem die Bearbeitungsgeschwindigkeit (S. 68). Auch der oft unterschätzte Gemüsegartenbau spielte eine bedeutende Rolle bei der Ernährung (S. 40). Ein besonderes Augenmerk legt die Darstellung auf den Weinbau, bei dessen Verbreitung die Kirche eine zentrale Funktion innehatte. Letztlich war es der Aufschwung in der Landwirtschaft, der „die Subsistenzmittel für das später einsetzende Bevölkerungswachstum bereitstellte“ (S. 64).

Besonders die Verbreitung der Innovationen und deren Auswirkungen werden immer wieder deutlich gemacht, so bei den Wassermühlen (S. 17f., 69f.), den Windmühlen (S. 70) oder der Pumpentechnik im Bergbau (S. 118). Dabei zeigt Gilomen wiederholt, wie lange es für die Diffusion von Erkenntnissen gebraucht hat, denn „viele technische Errungenschaften, deren Verbreitung für den wirtschaftlichen Aufschwung des 11. Jahrhunderts als entscheidend gewertet worden sind, waren bereits in karolingischer Zeit bekannt“ (S. 49).

Die ‚klassische Grundherrschaft‘, so die Begriffsbildung der deutschsprachigen Forschung, wird als Sonderform der Dominalwirtschaft und Villikation eingeordnet und gezeigt, dass die reine Form der Grundherrschaft nur wenig verbreitet war (S. 31–37). Die Bedeutung des Umgangs mit Sklaven war vom „7. bis 9. Jahrhundert fundamental für die Landwirtschaft“ (S. 46). Die Ansiedlung der Sklaven stellte einen wichtigen Schritt auf dem Weg von der Sklaverei zur Leibeigenschaft dar (S. 44f.), während sich der Sklavenhandel im 9./10. Jahrhundert zunehmend auf den Osten Europas über Byzanz in den Orient verlagerte (S. 54).

Über die Städte als administrative, religiöse und ökonomische Zentren erfährt man vergleichsweise wenig (S. 22, 76, 117), über einzelne Bereiche wie Handel oder Handwerk dagegen insgesamt vergleichsweise viel. Nachdem die Metallproduktion im 5. Jahrhundert zum Stillstand gekommen war, entstand durch Metallknappheit und -wiederverwendung ein solcher Metallmangel, dass dieser im 7. Jahrhundert selbst in Byzanz spürbar wurde (S. 21, 29). Erst ab dem 9. Jahrhundert entspannte sich die Lage in diesem Bereich wieder (S. 50), bis er im 15. Jahrhundert durch neue Erfindungen wie die Drahtziehmühle in Nürnberg zu einem Motor der Entwicklung wurde (S. 118). Grundlegend für den Handel war die Bereitstellung der Edelmetalle Gold und Silber, deren Gewinnung starken Schwankungen unterlag. Gilomen stellt detailliert den Übergang von der Gold- zur Silberwährung im 7. Jahrhundert (S. 51) und den Aufschwung und Niedergang der sächsischen Silberproduktion bis 1040 (S. 79f.) hin zu einer Kommerzialisierung aller Lebensbereiche im 12./13. Jahrhundert dar. Damit einhergehend werden auch die Grundlagen des Finanzwesens, der Aufschwung aber auch der Niedergang der italienischen Finanzplätze erörtert sowie die monopolähnliche Stellung italienischer Seestädte bei einzelnen Produkten, wie sie Genua bei Alaun und Venedig bei Pfeffer innehatte (S. 108f.). Die Entwicklung des Kaufmannswesens und der Zinsgeschäfte aus religiöser (S. 8f.) wie realgeschäftlicher Perspektive, aber auch des bargeldlosen Handels, die doppelte Buchführung oder die Vorläufer der Aktiengesellschaften werden detailliert behandelt. Vor allem am Ende des Buches wird der Schwerpunkt verstärkt auf die Darstellung von Kapital, Kredit und Handel gelegt. Das ist gut lesbar und eröffnet viele neue Perspektiven, trotzdem wünscht man sich noch mehr Informationen in anderen Bereichen wie der Hanse oder den oberdeutschen Städten.

Insgesamt macht die Darstellung immer wieder klar, wie durch Innovationen Arbeitskräfte für neue Prozesse freigesetzt werden konnten, etwa wenn die Verbreitung der Wassermühle durch die Abschaffung der Handmühle zum Zeitgewinn für Frauen führte (S. 69). Überhaupt ist die aus Wasserkraft und Wind gewonnene Energie das Kernstück der industriellen Revolution des Mittelalters (S. 72).

Fazit: Insgesamt ist hier eine gute Auswahl der Beispiele aus den Regionen (Nord-)Italiens, Englands, des Hanseraumes, aber auch aus Frankreich, Spanien, Byzanz und Süddeutschland gelungen. Gilomen hat es sehr gut geschafft, den großen Themenbereich der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte auf 120 Seiten lesbar zusammenzufassen, ein Unterfangen, das im Detail sicher nicht leicht zu bewältigen war. Die Unterteilung in fünf Zeitschichten und die jeweilige Betrachtung der fünf inhaltlichen Schwerpunkte – Landwirtschaft, Handwerk, Städte, Handel und Finanzen – lässt die langen Entwicklungslinien gut hervortreten und zeigt, wann durch Innovationen neue Entwicklungen begannen und wie sich diese verbreitet haben. Der kleine Band wird sicher nicht nur in der Lehre schnell weite Verbreitung erfahren.

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