Chr. Heuft: Spätantike Zwangsverbände

Cover
Titel
Spätantike Zwangsverbände zur Versorgung der römischen Bevölkerung. Rechtshistorische Untersuchungen zu Codex Theodosianus 13.5–9 sowie 14.2–4


Autor(en)
Heuft, Christian
Reihe
Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit 11
Anzahl Seiten
VI, 373 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Ein moderner Kommentar zum Codex Theodosianus, der das verdienstvolle, aber nicht selten mittlerweile überholte Werk des Jacobus Gothofredus ersetzt, wäre ein wünschenswertes wie aufwendiges Projekt, das als Ganzes nur mit größtem Aufwand realisierbar wäre. Umso erfreulicher ist es daher, wenn dies durch Vorarbeiten gefördert wird, die einen Beitrag zu Übersetzung und Kommentierung eines Teilbereiches der Gesetzessammlung bilden. Ein solches Werk ist die hier zu besprechende Trierer Dissertation von Christian Heuft über die Gesetze zu den Verpflichtungen der spätantiken Zwangsverbände, die der Versorgung der römischen Bevölkerung dienten.

Das erste Kapitel (S. 1–65) führt in die Thematik ein: Nach einer sehr knappen Darlegung von Vorgehen und Methode (S. 1f.) bietet Heuft einen umfangreichen Überblick (S. 3–38), in dem die Grundlagen des stadtrömischen Nahrungsmittelversorgungssystems nachgezeichnet und die drei zentralen Korporationen (navicularii, pistores und Viehhändler) vorgestellt werden. Des Weiteren erläutert Heuft den Begriff des munus, dessen verschiedene Unterarten und die damit verbundenen Verpflichtungen (S. 39–65). Als relevantes Ergebnis wird festgehalten, dass die aus den Digesten rekonstruierbaren Rahmenbedingungen der Hohen Kaiserzeit als fortdauernd gelten können, wo kein Hinweis für das Gegenteil besteht (S. 65).

Das etwa zwei Drittel des Buches umfassende zweite Kapitel (S. 66–304) ist den Belastungen der Korporationsmitglieder gewidmet. An erster Stelle werden die Lasten auf dem Vermögen der Mitglieder (S. 66–220) untersucht, wobei Heuft den zu untersuchenden Zeitraum in vier Abschnitte (Konstantin, Valentinian I., Theodosius I. sowie Honorius und Theodosius II.) unterteilt, deren Gesetzestexte er dann nach Korporationen gegliedert analysiert. Die Methode Heufts erinnert stark an einen Kommentar: Die relevanten Texte werden abgedruckt, übersetzt und daraufhin kommentiert. Entsprechend bietet das Werk hier wie in den späteren Kapiteln eine Fülle von Einzelergebnissen, die zu referieren den Rahmen sprengen würde. Heuft konstatiert, dass nicht die Herkunft, sondern das (meist unbewegliche) Vermögen das entscheidende Kriterium zur Verpflichtung der Korporationsmitglieder gebildet habe; eine Standesbindung aufgrund der Herkunft sei nicht feststellbar; es handele sich somit um eine Art besonderer Vermögenssteuer. Hauptziele der Gesetzgebung seien das Bemühen um den Erhalt der finanziellen und personellen Mittel der Korporationen sowie der staatlichen Einkünfte gewesen. Nicht zugestimmt werden kann allerdings der Behauptung, dass es zu Beginn des 4. Jahrhunderts noch leicht möglich gewesen sei, sich legal diesen Verpflichtungen zu entziehen (S. 114 u. 219). Richtig ist, dass sich ab dieser Periode in größerem Ausmaß staatliche Gegenmaßnahmen feststellen lassen, was aber nicht zwangsläufig besagt, dass es zuvor keine Bestimmungen gab, die eine solche Flucht aus der Verantwortung für die munera verhindern sollten, diese Zunahme an Evidenz kann auch der veränderten Quellenlage geschuldet sein – der Codex Theodosianus setzt ja erst mit Konstantin ein.

Der verbleibende Teil dieses Kapitels (S. 220–304) behandelt die Belastungen, die durch erb- und familienrechtliche Bindungen entstehen. Die These, dass das Vermögen das primäre Verpflichtungskriterium bilde, wird hier bekräftigt, da nach Heuft die Verpflichtung an das Vermögen, nicht aber an die Person des Erben gebunden ist. Eine Bindung durch die Abstammung existiere faktisch, müsse aber rechtlich nicht zwingend angenommen werden. Am Rande werden zuletzt die körperlichen Belastungen der Mitglieder der Korporationen (S. 297–304) untersucht.

Das erheblich kürzere dritte Kapitel (S. 305–331) gibt einen Überblick zur Entwicklung der Korporationen, konstatiert (zumindest für die navicularii) das Vorhandensein von Besitz im Eigentum der Korporation und kommentiert die Gesetzestexte sowohl zu diesem Problemkreis als auch zur Haftung bei Schiffbruch und anderen Fällen von Warenverlust. Noch kürzer ist das vierte Kapitel (S. 332–345), das ebenfalls die relevanten Gesetzestexte – hier nun zu Privilegien, Umgehungsversuchen und den damit verbundenen Strafen – sammelt und kommentiert.

Die Schlussbetrachtungen im fünften Kapitel (S. 346–348) fassen die zentralen Ergebnisse nochmals zusammen: Bei den Verpflichtungen der Korporationen handele es sich nicht um eine Form der Sklaverei oder ein wesensgleiches Phänomen, sondern um eine „rigide Form staatlicher Intervention zur Wirtschaftssteuerung“ (S. 346), die vor allem bei den navicularii und den Viehhändlern hauptsächlich eine Belastung des Vermögens gewesen sei, während die pistores direkter der eigentlichen Tätigkeit der Brotherstellung verbunden gewesen sind. Insgesamt handele es sich bei diesem System um einen „staatlich organisierten Beschaffungsapparat“, der „unter Einsatz des staatlichen Zwangsapparates“ (S. 348) Kompetenzen und Besitz bestimmter Bevölkerungsgruppen genutzt habe; die These vom spätantiken Zwangsstaat wird jedoch nur beiläufig berührt (S. 239, Anm. 1122 u. S. 251, Anm. 1170). Es folgt der Anhang (S. 349–373) mit Literaturverzeichnis und Register.

Der insgesamt zu begrüßende Beitrag zur Erforschung des Codex Theodosianus ist dennoch nicht frei von Defiziten. Die Übersetzungen sind meist gelungen, weisen jedoch bei der (manchmal besser nicht übersetzten) Titulatur einige merkwürdige Wendungen auf (S. 115 wird sublimitas als „Sublimität“, S. 158 tua gravitas und S. 327 celsitudo tua als „Eure Hoheit“ übersetzt). Wenig weiterführend sind die häufigen Einschübe historischer Hintergründe, die nie mit den Gesetzesinhalten in Verbindung gebracht werden, sondern lediglich kurze Stücke der Kaisergeschichte anführen, die dem Leser vom Fach als Grundwissen bekannt sein dürften, zumal es sich bei den zugehörigen Literaturangaben meist um Überblickswerke für ein breiteres Publikum oder allenfalls um Artikel aus Fachlexika handelt.1 Unpraktisch ist auch das Zitiersystem von Zeitschriftenaufsätzen und Lexikonartikel, das nicht den Autor und den Kurztitel des Aufsatzes angibt, sondern mit „Autor, Zeitschriftentitel/Lexikonabkürzung“ zitiert. Der Begriff levamentarius tritt nicht nur im Codex Theodosianus (S. 271), sondern in der gesamten lateinischen Literatur nur an der untersuchten Stelle auf.

Handelt es sich bei den bisher angeführten Monita um Details, die den Wert der Studie nicht wesentlich mindern, wiegt die Problematik der Quellenbasis erheblich schwerer. Diese tritt in vierfacher Hinsicht auf: Dass alle Gesetze der genannten Titel (Cod. Theod. 13,5–9 und 14,2–4) ausführlich untersucht werden, wäre wünschenswert (und angesichts der Gesamtzahl von 93 Gesetzen nicht unmöglich), aber gewiss nicht einfach realisierbar. Dass aber fast ein Dutzend der relevanten Gesetze keine Berücksichtigung findet, erscheint befremdlich.2 Außer dem (auch nur gestreiften) Codex Iustinianus (so etwa S. 319; zudem S. 126, Anm. 617 und S. 283, Anm. 1316, wo aber Mommsen statt Gothofredus zu konsultieren wäre) bleibt zweitens die Sekundärüberlieferung in Form späterer Sammelwerke (wie dem Breviarium Alaricianum) und Kommentare unberücksichtigt. Der Wert dieser Quellen ist ein doppelter: Sie bieten zum einen nicht selten zusätzliche Hinweise zum Verständnis einzelner Gesetze; zum anderen zeugen sowohl die Kommentare in den Summen als auch die Übernahme und Abänderung bzw. die Auslassung von Texten aus dem Codex Theodosianus im Codex Iustinianus (der nur 22 der 93 Gesetze aufgenommen hat) von der Entwicklung der Gesetzeslage und Wahrnehmung der ursprünglichen Gesetze.3 Literarische Quellen werden von Heuft drittens oft wohl nicht direkt, sondern aus zweiter Hand zitiert und weder in der Liste der verwendeten Quellen noch im Quellenregister angeführt.4 Das größte Problem bildet viertens schließlich die Ausklammerung der Inschriften. Diese werden nur überaus spärlich herangezogen und in den wenigen Fällen – die zur Hälfte nicht der Spätantike entstammen – teils aus zweiter Hand zitiert.5

Insgesamt bildet Heufts Arbeit einen nützlichen Beitrag zu Übersetzung und Kommentierung des Codex Theodosianus. Hätte sich jedoch Heuft stellenweise etwas kürzer gefasst und dafür die Quellen auf breiter Grundlage diskutiert und die historischen Hintergründe intensiver analysiert, hätte dies die Qualität der Arbeit zweifellos deutlich erhöht.6

Anmerkungen:
1 So S. 86, Anm. 449; S. 116f.; S. 128f.; S. 162f., Anm. 792; S. 171; S. 182, Anm. 891; S. 187, Anm. 900; S. 195, Anm. 940 (wo aus der Konsulatsangabe weitere Folgerungen möglich gewesen wären); S. 196; S. 204f., Anm. 984; S. 231 mit Anm. 1098; S. 237, Anm. 1116; S. 250 mit Anm. 1161; S. 262, Anm. 1222; S. 274, Anm. 1278; S. 313f.; sinnvoller noch S. 304, Anm. 1391, wo aber wohl ein Druckfehler als abweichende Jahresdatierung erachtet wird. Auch hätten Abkürzungen ohne Relevanz für den Gesetzesinhalt nicht detailliert erklärt (S. 115, Anm. 552 zu nobilissimus puer), sondern nur im Text aufgelöst werden sollen. Der regelmäßige Verweis darauf, welcher Kaiser bei mehreren Erlassen der Urheber ist (S. 265 mit Anm. 1229 und öfter), ist nur relevant, wenn daraus Schlussfolgerungen auf den Geltungsbereich bezogen werden, was von Heuft aber fast nie getan wird.
2 Von den 93 relevanten Gesetzen sind 51 eigens kommentiert (Cod. Theod. 13,5,20 sogar doppelt: S. 188–191 und S. 277f.), von den übrigen aber elf übergangen: Cod. Theod. 13,5,15; 13,5,22; 13,5,25; 13,5,31; 13,5,33; 13,5,34; 13,5,37; 13,9,2; 13,9,6; 14,3,18; 14,4,3.
3 Diese Fehlstelle verwundert, da Boudewijn Sirks, Food for Rome, Amsterdam 1991 (Heuft bekannt), S. 416–420 die relevanten Passagen der Summaria antiqua ediert und diese Quelle trotz ihrer geringer Bekanntheit so in Heufts Blickfeld hätte geraten können.
4 S. 117, Anm. 566; S. 127, Anm. 622; S. 133, Anm. 652; S. 144, Anm. 705; S. 173, Anm. 826; S. 188f., Anm. 906 (identisch mit S. 277, Anm. 1289); S. 275, Anm. 1281; S. 300, Anm. 1375; S. 319, Anm. 1452. Auch fehlt S. 121, Anm. 583 die Angabe der Notitia Dignitatum (tatsächlich aber der Notitia urbis Constantinopolitanae, womit dies für Rom keine Gültigkeit hat; die Stellen finden sich in Seecks Index unter pistrinum).
5 Inschriften: S. 35, Anm. 206 (CIL VI 1771 indirekt nach Jones); S. 36, Anm. 211; S. 173, Anm. 829; S. 212, Anm. 1021. Dazu wäre auch Laura Chioffi, Caro. Il mercato della carne nell’Occidente Romana, Roma 1999 heranzuziehen gewesen. Damit verbunden ist auch weitgehende Unkenntnis der wichtigen Forschungen von André Chastagnol und Anne Kolb.
6 An kleineren Versehen fiel auf: S. 218 „Immobilen“ statt „Immobilien“; S. 268 „Kathargo“ statt „Karthago“; Julian war nicht der Neffe Constantius’ II. (S. 129), sondern dessen Cousin.

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