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Titel
Der Telegraf. Entstehung einer SPD-nahen Lizenzzeitung in Berlin 1946-1950


Autor(en)
Grebner, Susanne
Reihe
Kommunikationsgeschichte 13
Erschienen
Münster 2002: LIT Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 30,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Laufer, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die 1948 beliebteste Tageszeitung Berlins ist der Gegenstand der Dissertation von Susanne Grebner. Zweifellos ist es eine außerordentlich komplexe Aufgabe, das Entstehen, die Blüte und den Niedergang dieser Zeitung aus dem Engagement der Zeitungsmacher, den Bedürfnissen der Leser und aus den politischen Auseinandersetzungen zu erklären, deren aktiver Teilnehmer, Nutznießer und Opfer zugleich „Der Telegraf“ war. Durch diese Verflechtung bietet die Untersuchung einen Schlüssel zum breiten Verständnis von Personen, Ort und Zeit nicht nur der Berliner Zeitungsgeschichte, sondern auch des Kalten Krieges.

Susanne Grebner hat eine außerordentlich breite und materialreiche Arbeit vorgelegt, die die vorhandene Forschungsliteratur fast lückenlos einbezieht. Doch gerade weil es Grebner gelingt, herauszuarbeiten, dass „Der Telegraf“ Kind und Opfer des Kalten Krieges zugleich war, ist die nicht-mögliche Nutzung ostdeutscher oder gar Quellen der sowjetischen Besatzungsmacht (SMAD) besonders zu bedauern. Die wechselseitige Bedingtheit der pressepolitischen Aktivitäten der Alliierten, das gegenseitige Anheizen des Berliner „Zeitungskriegs“ bleiben so außerhalb der Analyse. Der von Harold Hurwitz übernommene Ansatz des „Eintrachtgebots“ der Westalliierten gegenüber der UdSSR in Deutschland und Berlin gerät in Widerspruch zu den empirischen Befunden der Untersuchung, die keine Indizien für eine pressepolitische Eintracht der Sieger liefert.

Im Gegenteil. Die Vorgeschichte des „Telegrafs“ beginnt bereits im Herbst 1945 mit Gegenwehr. Bereits Anfang November 1945, als der Kurs auf die Zwangsvereinigung auf Seiten der SMAD noch nicht eindeutig festgelegt war und insbesondere auf Seiten der ostzonalen SPD längst noch nicht feststand, sich auf eine solche Vereinigung einzulassen, versuchten die Briten durch die Gründung einer „SPD-nahen“ Zeitung die anfangs beherrschende Stellung der sowjetischen Besatzer auf die Berliner Parteizeitungen zurückzudrängen und selbst Einfluss auf die SPD in ganz Berlin und dessen Umland zu gewinnen. In Erwartung der bereits zu diesem Zeitpunkt von den Amerikanern angekündigten Wahlen verstärkte die von den Briten unterstützte Zeitungsgründung sicher ungewollt den Druck in Richtung auf die Zwangsvereinigung, die sie eigentlich verhindern wollten.

Pressepolitisch verfolgten die Briten und die Zeitungsmacher des „Telegrafs“ von Anfang an offensive Pläne. Nicht erst nach der Vereinigung von KPD und SPD zur SED „war es das Ziel der britischen Politik, den Einfluß der SMAD und der SED in Berlin einzudämmen und auf die SBZ einzuschränken“ (S. 189). Die Presse im Allgemeinen und „Der Telegraf“ im Besonderen leisteten 1946-1950 jedenfalls keinen Verständigungsbeitrag im Kalten Krieg. Die Angriffe des „Telegrafs“ auf die sowjetische Besatzungsmacht werden nur dort untersucht, wo durch die Einschränkung des Zeitungsvertriebs in Ost-Berlin Geschäftsinteressen des „Telegrafs“ berührt wurden. Angriffe gegen die SED werden dagegen als selbstverständlich vorausgesetzt.

Antisowjetismus und Antikommunismus als Voraussetzung für den Erfolg des Blattes und Resultat seines publizistischen Wirkens werden nicht hinterfragt. Nicht immer ist die Arbeit mit der notwendigen Klarheit formuliert. Wo wahrscheinlich Furcht vor dem Kommunismus gemeint ist, behauptet Susanne Grebner das Gegenteil: „Ab Frühjahr 1946 aber bestimmte die Furcht vor einem zunehmenden Antikommunismus die britische Deutschlandpolitik und die Pressepolitik.“ (S. 241) Falsch, vielleicht aber auch kennzeichnend für die eher undifferenzierte Herangehensweise an die Vorgänge im Osten ist es, wenn Grebner von der „sowjetischen Nachrichtenagentur ‚ADN’“ schreibt (S. 261).

Jenseits des Kalten Krieges ist die Arbeit außerordentlich informativ. Durch fundierte Abschnitte über „Das soziale Engagement des ‚Telegraf’“ (S. 236-241) und „Die Telegraf-Verlagsgesellschaft mbH – eine soziale Gemeinschaft“ (S. 380-387) wird diese Zeitung als wirtschaftliches und soziales Projekt vorgestellt. Dabei erringt Grebner eine kritische Position zu den Selbstzeugnissen des „Telegraf“-Gründers. Es bleibt eine Ausnahme, dass sie Arno Scholz „zu den Mitgründern des Reichsbanners“ zählt, ohne dafür unabhängige Belege anzuführen (S. 141).

Nicht völlig transparent werden die Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang des „Telegrafs“. Gemeinsam mit den Zeitungsmachern sucht Grebner die Schuld außerhalb des eigenen Hauses. Tatsächlich wurde diese Zeitung durch das anfangs nur zögerlich durchgesetzte Verbot des selbstständigen Zeitungsvertriebs im sowjetischen Sektor durch SMAD-Befehle im Herbst 1948 besonders stark betroffen. Doch während Grebner sehr detailliert die Reaktion der Zeitungsredaktion untersucht, nutzt sie nicht die Gelegenheit, anhand ostdeutscher Quellen den Anteil der SED an diesen Vorgängen exakter aufzuklären.

Die Arbeit ist für all die ein Gewinn, die sich für die Interna der West-Berliner Zeitungsgeschichte interessieren. All diejenigen, die durch die Untersuchung des Kalten Krieges auf den „Telegraf“ aufmerksam wurden, bleiben jedoch vielfach unbefriedigt. Neuen Untersuchungen bleibt es überlassen, die in dieser Hinsicht ungenutzten Materialien zu erschließen.

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