V. Grieb u.a. (Hrsg.): Polybios und seine Historien

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Titel
Polybios und seine Historien.


Herausgeber
Grieb, Volker; Koehn, Clemens
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
359 S.
Preis
€ 62,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Kleu, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der von Volker Grieb und Clemens Koehn herausgegebene Sammelband „Polybios und seine Historien“ präsentiert die Ergebnisse der gleichnamigen Tagung, die im April 2010 an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg stattgefunden hat. In der Einleitung (S. 7–11) erklären es die Herausgeber zum Ziel ihrer Veröffentlichung, Polybios und seine Historien wieder stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, da Autor und Werk in der jüngeren Hellenismusforschung zugunsten dokumentarischer Quellen in den Hintergrund getreten seien. Der Schwerpunkt des Sammelbandes liegt auf dem östlichen Mittelmeerraum, wobei der Themenkomplex „Polybios und Rom“ aufgrund seiner Komplexität bewusst weitestgehend ausgeklammert wird.

Im Anschluss an die Einleitung fragt Hans Kloft danach, was sich Polybios unter Universalgeschichte vorstellte (S. 13–24). Dabei stellt er fest, dass Universalgeschichte für Polybios eine konstruktive Leistung des Geschichtsschreibers ist, der die verschiedenen Ereignisse innerhalb eines bestimmten zeitlichen wie geographischen Raumes zu einem großen Ganzen zusammenzufügen vermag und dadurch die zugrunde liegenden Strukturen bzw. das (vermeintliche) gemeinsame Ziel, das Telos, erkennt, auf das die einzelnen Ereignisse hinauslaufen. Andreas Mehl beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Frage, wie, warum und wozu Polybios und andere antike Autoren (wie etwa Cato und besonders Xenophon) in sich geschlossene Geschichtswerke fortgesetzt haben (S. 25–48). Im Falle der Historien war es bekanntlich Polybios selbst, der sein ursprünglich für den Zeitraum von 220 bis 168 v.Chr. angelegtes Werk bis zum Jahr 146/45 v.Chr. fortsetzte. Im Gegensatz zu dem zunächst angestrebten Ende im Jahr 168, das durch die Fortsetzung deutlich entwertet werde, stuft Mehl das tatsächliche Ende der Historien als etwas beliebig ein. Polybios habe zwar sein Werk als Einheit verstanden, es aber nicht vermocht, diese Einheit überzeugend zu vermitteln.

In einer eher knappen Untersuchung konzentriert sich Helmut Halfmann auf das Themenfeld „Polybios und Livius“ und stellt dabei neben der Bedeutung der Historien für das Werk des Livius die Arbeitsweisen beider Geschichtsschreiber sowie deren Stärken und Schwächen vor (S. 49–57). Ausgehend von der Gegenüberstellung des Imperium Romanum mit dem Reich der Perser, der Hegemonie der Spartaner sowie den Reichen Alexanders des Großen und seiner Nachfolger bei Polybios (1,2) widmet sich Josef Wiesehöfer der Frage nach der Rolle des Polybios für das römische Weltreichsschema, wobei er zu dem Schluss kommt, dass die Historien zwar prägend für die Entstehung einer römischen Weltherrschaftsidee, nicht jedoch für die Sukzessionstheorie der fünf Weltreiche gewesen seien (S. 59–69).

Mit der Rolle der Tyche in den Historien behandelt Jürgen Deininger eines der klassischen Themen der Polybios-Forschung (S. 71–111). Er streicht heraus, dass Polybios systematisch zwischen den aitiai und der Tyche als den beiden die Geschichte prägenden Hauptfaktoren unterscheide, wobei als dritte Kategorie noch der Zufall zu nennen sei. Während die aitiai die nachvollziehbaren Ursachen der Ereignisse darstellten, verwende Polybios die Tyche bei unberechenbaren oder wechselhaften Einflüssen, die mit der menschlichen Vernunft nicht zu greifen seien. Die Frage nach dem Wesen der Tyche beantwortet Deininger mit der vorsichtigen Schlussfolgerung, dass es sich in den Augen des Polybios um eine „real existierende ‚jenseitige‘ Macht“ (S. 110) handle.

Wie Frank Daubner aufzeigt, dienen geographische Schilderungen in den Historien einem historisch-didaktischen Zweck. An Beispielen aus dem nordwestgriechisch-illyrischen Raum kann er außerdem belegen, dass Polybios immer dann ausführlichere geographische Angaben liefert, wenn dies für das Verständnis der Ereignisgeschichte notwendig erscheint (S. 113–126). Burkhard Meißner beschäftigt sich mit Polybios als Militärhistoriker und kommt zu dem Schluss, dass Polybios Krieg und Militär eine geschichtskonstitutive Rolle beimesse und die Historien in vielfacher Hinsicht sowohl in der Tradition als auch in einer Reihe mit der griechischen Militärliteratur stehen. Bemerkenswert erscheint Meißners Beobachtung, dass Polybios aus der Militärliteratur stammende Elemente der militärischen Handlungs- und Planungslogik auf die Geschichtsschreibung übertrug (S. 127–157).

Clemens Koehn untersucht die Nutzung von Inschriften in den Historien und verbindet dies mit der Frage, inwieweit sich die zeitgenössische Amtssprache auf Polybios’ Sprachstil auswirkte (S. 159–181). Dabei kann er zeigen, dass sich dieser Sprachstil größtenteils im Rahmen der Literatursprache bewegt. Volker Grieb behandelt „Polybios’ Wahre Demokratie und die politeia von Poleis und Koina in den Historien“ und arbeitet heraus, dass die deutlich aristokratisch geprägte politische Überzeugung des Polybios bei seinen Darstellungen von Verfassungen einzelner Poleis und Koina zu einer tendenziösen Überlieferung führt (S. 183–218). Auch Linda-Marie Günther stellt fest, dass Polybios zwar eine vertrauenswürdige Quelle hinsichtlich der Formen innergriechischer Diplomatie und zwischenstaatlicher Beziehungen darstellt, dies jedoch nur bedingt für seine inhaltliche Darstellung dieser Kontakte gelte (S. 219–232).

Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Polybios und den hellenistischen Monarchien kommt Boris Dreyer zu dem Schluss, dass die Sympathien und Antipathien des achaiischen Geschichtsschreibers zumindest in Bezug auf die Könige nicht zwingend zu einer absichtlichen Verzerrung der Darstellung geführt hätten. Vielmehr sei für die jeweilige Bewertung ausschlaggebend gewesen, wie konsequent die Herrscher ihre selbstgesetzten Ziele verfolgten (S. 233–249).

Martin Tombrägel, Alain Bresson, Peter Scholz und Wolfgang Spickermann sehen sich in den letzten vier Beiträgen des Bandes jeweils mit der Problematik konfrontiert, dass die von ihnen behandelten vier Themenfelder „Kunst“, „Wirtschaft“, „Philosophie“ sowie „Kultisches und Religiöses“ in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios (in unterschiedlichem Maße) eher beiläufig Beachtung finden. So stellt Tombrägel fest, dass die Kunst in den Historien besonders stiefmütterlich behandelt werde, wofür er verschiedene Erklärungsmöglichkeiten bietet. Bemerkenswert ist, dass Kunst zwar selten bei Polybios thematisiert wird, er aber die Beschreibung sinnloser Zerstörung von Kunst dazu nutzt, den negativen Charakter der jeweiligen Akteure hervorzuheben (S. 251–267). Bresson kommt zu dem Schluss, dass wirtschaftliche Sachverhalte für Polybios allem Anschein nach zur Allgemeinbildung zählten und er sie wohl deshalb nicht detailliert analysieren zu müssen glaubte. Passend zum vorherigen Beitrag weist Bresson darauf hin, dass Polybios wirtschaftliche Entwicklungen in seiner Darstellung nutzt, um Individuen oder Städte moralisch zu bewerten (S. 269–283). Scholz zeigt, dass Polybios mit dem zeitgenössischen philosophischen Diskurs vertraut war, und hält es für möglich, dass einige Grundsätze der durch Diogenes von Seleukeia modifizierten Stoa in die Historien eingeflossen sind. Diese Einflüsse seien jedoch nicht durch eine besondere Nähe des Polybios zur Philosophie bedingt, sondern entsprechen dem üblichen Maß an rhetorisch-philosophischer Bildung (S. 285–299). Spickermanns Untersuchung erweist, dass sich die Historien in religiösen Fragen nicht klar positionieren und es deshalb unmöglich ist, die persönliche religiöse Einstellung des Polybios zu bestimmen (S. 301–318).1 Abgerundet wird der Band durch ein Literaturverzeichnis (S. 319–335) und ausführliche Namens- und Stellenindices (S. 337–359). Die Beiträge von Daubner, Meißner und Tombrägel werden durch insgesamt 13 Abbildungen illustriert.

Gerade dadurch, dass sich jeder Beitrag des Sammelbandes auf einen eigenen Schwerpunkt konzentriert, behandeln die 15 vorwiegend hochqualitativen Untersuchungen ein weitreichendes thematisches Spektrum, das sowohl traditionelle Themen der Polybiosforschung aufgreift als auch Gegenstände zur Sprache bringt, die bisher eher wenig Beachtung gefunden haben. Wie auch bei dem ebenfalls kürzlich erschienenen Sammelband „Polybius and his World“2 gelingt es dabei, zahlreiche neue Perspektiven aufzuzeigen und weitere Forschungen anzuregen. Etwas bedauerlich erscheint in diesem Zusammenhang allerdings, dass das in der Polybios-Forschung etwas vernachlässigte Themenfeld der Frauen keinerlei Beachtung findet, hätte es doch gut zur Konzeption des Bandes gepasst. Insgesamt betrachtet bleibt festzuhalten, dass die Herausgeber ihr eingangs vorgestelltes Ziel, Polybios und seine Historien innerhalb der Hellenismusforschung wieder stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, mit diesem sehr gelungenen Sammelband sicherlich erreichen werden.

Anmerkungen:
1 Auf S. 316 spricht Spickermann versehentlich von den „Karthagern“ statt von den „Trojanern“.
2 Bruce Gibson / Thomas Harrison (Hrsg.), Polybius and his World. Essays in Memory of F. W. Walbank, Oxford 2013, vgl. die Rezension von Felix K. Maier, in: H-Soz-u-Kult, 22.07.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-3-051> (27.03.2014).

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