M. Zeman: Reise zu den „Illyriern“

Titel
Reise zu den „Illyriern“. Kroatienstereotype in der deutschsprachigen Reiseliteratur und Statistik (1740–1809)


Autor(en)
Zeman, Mirna
Reihe
Südosteuropäische Arbeiten 147
Erschienen
München 2013: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Batelka, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Wer reiste zwischen 1740 und 1809 in die historischen Territorien Kroatiens und warum, was sahen und erlebten die Reisenden dort und welche Images und Stereotype brachten sie über die dort lebenden Völkerschaften zurück in den deutschsprachigen Raum? Diese vier Fragen versucht die Kulturwissenschaftlerin Mirna Zeman in ihrer 2013 erschienen Dissertation zu beantworten. Das zu rezensierende Buch schließt eine Forschungslücke: Während die Reiseliteraturforschung in den letzten 30 Jahren zu einer schwer beherrschbaren Fülle an Literatur geführt hat, blieb die Beschäftigung mit deutschsprachigen Reiseberichten über Kroatien bislang größtenteils aus. In der Einleitung findet sich ein Resümee des Forschungsstands, das zwischen Stereotypenforschung und Reiseliteraturforschung oszilliert und dabei immer wieder die Themen Reisen und Alterität sowie das Problem der Kollektivierung individueller Zuschreibungen streift.

Das zweite Kapitel steht im Zeichen der titelgebenden Imagothemen, die als dauerhafte semantische Komplexe definiert werden, die „in sich bündelnd das Kollektiv-Typische einer (Volks-)Gruppe thematisier[en] und produzier[en]“ (S. 41), was zu martialischen, illyrischen, poetischen und exotistischen Imagothemata führt: Zunächst wurden die Kroaten aufgrund der Türkenkriege, der Einrichtung der österreichisch-osmanischen Militärgrenze und nicht zuletzt infolge ihrer Einsätze im Dreißigjährigen Krieg und in den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts als Volk von Söldnern und Soldaten wahrgenommen. Dann zeigt Zeman auf, wie die Kroaten, ganz im Sinne „proto- oder pränationale[r] Identitätskonstruktionen“ (S. 61) der Zeitgenossen, mit der antiken Bezeichnung „Illyrier“ belegt wurden. Eng damit verknüpft ist das poetische Imagothema, womit die Vorstellung verbunden war, die „Morlaken“ genannten Einwohner des dalmatinischen Hinterlands seien „Naturdichter“ die das poetische Altertum der Slawen bewahrten. Als zweischneidiges Schwert zeigte sich schließlich die Exotik der Balkanhalbinsel: Einerseits wurden die Illyrier als faule Barbaren wahrgenommen, andererseits konnten sie innerhalb des exotistischen Imagothemas in den Status edler Wilder aufsteigen.

Wer für die Verbreitung dieser Stereotype sorgte, ist Thema des dritten Kapitels „Reise- und Augenzeugenberichte“. Über Genre- und Gattungsgrenzen hinweg untersucht Zeman Reisetexte auf charakteristische Züge der Kroaten. Bei den zehn ausgewählten Reisenden und Augenzeugen handelt es sich um Geistliche, Beamte, Soldaten, Kaufleute, Naturwissenschaftler und schließlich mit Joseph II. sogar um einen Kaiser. Gemeinsam sind den meisten Schriften Schilderungen der Wildheit der Bevölkerung, die nicht nur mit dem Befund eines großen Zivilisationsdefizits sondern auch mit der Beschreibung beinahe herkulischer Kräfte und einer unerschütterlichen Physis der Bewohner einhergehen. Daneben zeichnen die Reiseberichte naturgeschichtliche Bilder von „Liederlichkeit und Faulheit“ (S. 121) oder Tapferkeit und Patriotismus, sie thematisieren die aus Sicht der Wirtschaftspolitik bedenklichen, beinahe unpassierbaren Land- und Wasserwege, bemängeln die ungenügende Verpflegung vor Ort und gipfeln in prototouristischen Abenteuergeschichten. Viele Reisende waren implizit oder explizit im Auftrag der Regierung unterwegs, die ihren Einfluss auf die Bevölkerung steigern wollte. Eingeflochten in derartige Motive war nicht selten die Suche nach der slawischen Nation.

Bei der Wissensvermittlung durch Reiseberichte spielten im 18. und 19. Jahrhundert vor allem solche Reisende eine Rolle, denen die Länder, die sie beschrieben, wenn überhaupt nur aus Büchern, nicht aber aus eigener Anschauung bekannt waren. Im vierten Kapitel stehen mit Exzerpt, Abschreibepraxis, Wissens-, Rang- und Einordnung daher die Techniken der Verbreitung von Reisewissen im Vordergrund. Diese Techniken dienten jedoch nicht nur der Verbreitung, sondern auch der Konservierung von Wissen, Vorurteilen und Fehlern, die in späteren Reiseerzählungen verarbeitet wurden und Eingang fanden in statistische, didaktische, geographische und schließlich ethnographische und anthropologische Werke der Zeit. In solch einem „nachahmerische[n] Klima“ (S. 266) hätten sich völkerbezogene Stereotype überhaupt erst verbreiten können.

Bei der schriftlichen Verarbeitung ihrer Erlebnisse, so ein Fazit in den „Schlussbetrachtungen“, kamen die Reisenden nicht umhin, Alterität und Identität zu verhandeln, ob sie nun vorgefunden oder imaginiert war. Daraus ergab sich eine „Vielfalt der Identifikationsangebote“ (S. 317), die sich nicht nur in der Unzahl verschiedener Bezeichnungen für die Bewohner, sondern auch in der Bewertung ihrer Taten, ihrer körperlichen Merkmale und schließlich auch ihres Wesens niederschlugen.

Das sicherlich größte Verdienst dieser Arbeit besteht darin, den Blick auf die Beschäftigung mit Identität und Alterität im südosteuropäischen Raum um einige Themen erweitert zu haben. Die Arbeit besticht durch die Fülle an verwertetem gedruckten Material, das sich von Reiseberichten und -tagebüchern bis zu statistischen, naturhistorischen und geographischen Werken erstreckt, und zeigt deutlich, wie wenig der durchaus große Widerhall, den die „Crabaten“ in der deutschsprachigen Literatur der Frühen Neuzeit erzeugten, bislang gewürdigt wurde. In Bezug auf Fragen von Ethnizität, Identität und Alterität der Kroaten bestehen etliche Desiderata, die in der Arbeit kompetent benannt werden. Insofern stellt besonders das Einleitungskapitel einen wertvollen Einstieg in die Beschäftigung mit Stereotypen im Allgemeinen und Kroatien im Besonderen dar.

Die Kroaten spielten in der deutschen Publizistik viele verschiedene Rollen, die sich, das zeigt Zeman überzeugend, auf unterschiedliche Arten interpretieren lassen. In Bezug auf das von manchen Zeitgenossen aus dem „Nationalcharakter“ der Illyrier herausgelesene zivilisatorische Gefälle folgt die Arbeit einer stringenten Ideologiekritik. Dass allerdings auch viele dieser Illyrier selbst ihre Landsleute als rückständig betrachteten, ist – zumindest in der kroatischen Germanistik – nicht unbekannt. „Mit neuen Ideen der Aufklärung und praktischen Ratschlägen auf seine rückständigen Landsleute zu wirken“1, war beispielsweise das erklärte Ziel des Romans „Satyr illiti dyvji csovik“ [Satyr oder der wilde Mensch, Dresden 1762] aus der Feder des kroatischen Grammatikers Matija Antun Relković, der während des Siebenjährigen Krieges in Magdeburg in preußische Kriegsgefangenschaft und dort mit den Ideen der Aufklärung in Kontakt geriet.

Einer der gewichtigsten Einwände gegen Stereotypenforschung ist die Tatsache, dass sie von der „impliziten Annahme“ ausgeht, „Völker seien Kollektivindividuen“2. Dem entgeht die Arbeit, indem sie Texte über Gattungsgrenzen hinweg auf Alteritätsbeschreibungen untersucht und die vorgefundenen Imageme, Namen und Beschreibungen der Bewohner Kroatiens, in ihrer Vielfalt gelten lässt und lediglich als Imagothemen systematisiert.

Leider reflektiert Zeman nicht, inwieweit der Inhalt der Reiseliteratur von den Erwartungen der anvisierten Leserschaft abhängig war. Ebenso wenig finden sich Gedanken darüber, ob sich Reisebeschreibungen als Literaturgattung in der Frühen Neuzeit bereits soweit verfestigt hatten, dass übertriebene oder erfundene Elemente der Darstellung ein fester Bestandteil einer Reiseerzählung waren und somit nicht mehr weggelassen werden konnten.

Dass das Vorgehen der Sammlung von Imagemen, die dann zu Imagothemen verbunden werden, auch problematische Seiten hat, zeigt sich in der Darstellung des martialischen Imagothemas: So ist nicht die „schwer greifbare ethnisch-kulturelle Vielfalt“ (S. 46) Südosteuropas der Grund für die Verwendung des Begriffs „Kriegsvölker“. Das Kriegswesen der Frühen Neuzeit kennt württembergische, ungarische, böhmische, polnische und viele weitere Kriegsvölker. Dass den Kroaten spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg der Nimbus von Raublust und Grausamkeit anhaftete, hat nur sehr wenig mit der Publizistik der Zeit zu tun, sondern mit aktenkundigen Berichten von Grausamkeit, welche die Vorstellungskraft der Zeitgenossen bei Weitem übertraf. Wenn Zeman an anderer Stelle der Publizistik des 18. Jahrhunderts das „Weiterstricken an diesem Muster“ (S. 55) unterstellt, so übersieht sie, dass viele der Verbrechen, die den Kroaten und Panduren zur Last gelegt wurden, auf aktenkundigen Tatsachen beruhen und im Falle des Pandurenobersten von der Trenck zu einer Verurteilung wegen Kriegsverbrechen vor einem österreichischen Militärgericht führten. Es entspricht nun einmal der historischen Realität, dass die überwiegende Mehrheit der Besucher aus kroatischen Landen im 18. Jahrhundert nicht in Frieden nach Bayern, Schlesien, Preußen oder an den Oberrhein kamen. Vor diesem Hintergrund führt trotz der lobenswerten Menge an verarbeitetem gedruckten Material im historischen Kontext kein Weg an der Durchsicht von Archivquellen vorbei.

Anmerkungen:
1 Žepić, Stanko, Deutsche Grammatiken kroatischer Verfasser in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Peter Wiesinger (Hrsg.): Schriften zur deutschen Sprache in Österreich, Bd. 24, Frankfurt am Main 1998, S. 12.
2 Florack, Ruth, Bekannte Fremde. Zu Herkunft und Funktion nationaler Stereotype in der Literatur, (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 114), Tübingen: Niemeyer 2007, S. 18.

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