Cover
Titel
Der Wiener Kongress. Die Neugestaltung Europas 1814/15


Autor(en)
Duchhardt, Heinz
Reihe
Beck'sche Reihe 2778
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 8,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Mohr, Nussloch

Der Wiener Kongress, dessen Beginn sich im Jahre 2014 zweihundertmal jährt, stellt eine der großen Weichenstellungen der neueren europäischen Geschichte dar. Nach einem Vierteljahrhundert Instabilität und Krieg leitete er eine europäische Friedensperiode ein, die immerhin 40 Jahre andauerte.

Momente des Theatralischen hat Heinz Duchhardt als Leitmotive seiner knappen Darstellung des Wiener Kongresses gewählt, die in der „Beck‘schen Reihe“ erschienen ist. Das erste Kapitel behandelt das „Vorspiel und das Nachspiel“ des Kongresses. Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen die „Akteure und Aktricen“, die „Gesellschaftsspiele“ sind Gegenstand von Kapitel drei, mit den „Spielregeln“ beschäftigt sich das folgende Kapitel. Die Konflikte, die vor allem um die Zukunft Sachsens und Polens entbrannten, fasst der Autor unter dem Titel „Spiele mit dem Feuer“ zusammen. Das sechste, abschließende Kapitel – „Finale furioso“ – steht im Zeichen der Rückkehr Napoleons.

In seinen einleitenden Bemerkungen bietet Duchhardt einen kurzen Überblick über die sprudelnden Quellen zu dem politisch-diplomatischen Großereignis von 1814/15, auf dessen europäische Dimension er zu Recht nicht müde wird, hinzuweisen. Er erinnert zudem, aus Platzgründen skizzenhaft, an die Parallelen zu den Pariser Friedenskonferenzen von 1919 und erwähnt – er nimmt diesen Faden am Ende des Buches wieder auf – die (relative) Stabilität der Wiener und die Brüchigkeit der späteren Pariser Friedensordnung.

Die in historischen Darstellungen wie selbstverständlich erscheinende Verbindung der Stadt Wien mit dem Kongress als Wegmarke des 19. Jahrhunderts trägt den Zug des Kontingenten. Voraus gingen die Pariser Friedensverhandlungen, bei denen es wohl geblieben wäre, hätte sich nicht die – von Talleyrand zuerst aufgebrachte – Idee eines europäischen Staatenkongresses durchgesetzt. Es gibt nach Duchhardt keinen besonderen Grund, warum die Wahl auf Wien als Kongressstadt fiel – Sankt Petersburg sei zu entlegen und klimatisch zu kühl gewesen, die Öffentlichkeit in London zu unberechenbar und Berlin nicht mondän genug.

Der Wiener Kongress stellte eine Zäsur in der europäischen Staatengeschichte dar: die Etablierung eines europäischen Sicherheitssystems, das von den Großmächten garantiert wurde. Nicht unwesentlich zum Zustandekommen dieser neuen Ordnung trug bei, dass Paris und London ihre Rivalitäten begruben und sich zu einer „begrenzten Partnerschaft“ bereitfanden. So zukunftsweisend dieser Ansatz war, so anachronistisch mutet andererseits die Diktion des Vertragstextes der Heiligen Allianz an, „eins der merkwürdigsten Dokumente des gesamten 19. Jahrhunderts“ (S. 31).

Das mit Abstand ausführlichste Kapitel ist den Personen gewidmet, die während des Kongresses eine Rolle spielten – die Souveräne, in erster Linie Kaiser Franz I., Zar Alexander I., König Friedrich Wilhelm III., die Minister und Delegierten wie Metternich, Castlereagh und Wellington, Talleyrand, Hardenberg und Humboldt, Nesselrode sowie Gentz, der Publizist und die „rechte Hand Metternichs“. Porträtiert werden auch einige Frauen, deren tatsächlicher Einfluss auf die Ergebnisse des Kongresses aber unbestimmt bleibt. Erwähnung finden die Fürstin Bagration, die Herzogin von Sagan und ihre Schwestern, die Gräfinnen Julie und Sophie Zichy, Auersperg, Saurai-Hunyday und Széchenyi-Guilford.

Duchhardt weist darauf hin, dass die den Kongress begleitenden Festivitäten („Le Congrès danse et ne marche pas“, S. 62) eine politische Funktion besaßen. So boten sie den Rahmen für informelle Gespräche und Agreements, die am Verhandlungstisch weit schwieriger hätten erzielt werden können. Darüber hinaus war der Kongress ein kulturgeschichtliches Ereignis, weil er politische, militärische, künstlerische und intellektuelle Eliten aus ganz Europa auf einzigartige Weise zusammenführte. Der Autor erwähnt die zahllosen und mannigfaltigen Theater- und Opernaufführungen, die Feuerwerke und sonstigen Festivitäten. Das Panorama, das er zeichnet, ist beeindruckend, hätte aber zugunsten einer Analyse der sozio-kulturellen Funktionszusammenhänge knapper ausfallen können.

Das Wort „Kongress“ kann insofern in die Irre führen, wie außer zur Unterzeichnung der Schlussakte im Juni 1815 niemals ein Plenum der Kongressteilnehmer zusammentrat. Die Arbeit wurde in den zahlreichen Komitees und Kommissionen geleistet, an deren Spitze ein „Leitkomitee“ stand, dem die vier Alliierten und Frankreich angehörten. Von geringerem Gewicht war das Achterkomitee, in dem auch Schweden, Portugal und Spanien vertreten waren. Zahlreiche Repräsentanten, etwa der kleineren deutschen Staaten, der Reichsritterschaft und von Kommunen, von Standes- und Interessengruppen waren nach Wien gereist und versuchten, auf die Gremien Einfluss zu nehmen (S. 74).

Konflikte taten sich auf dem Wiener Kongress vor allem wegen der „Sachsen-Polen-Frage“ auf. Weder Russland noch Preußen konnten ihre ambitionierten Pläne für Polen respektive Sachsen durchsetzen und mussten sich auf Druck der anderen Großmächte mit Kompromissen zufrieden geben. Duchhardt erwähnt auch den britisch-amerikanischen Konflikt am Rande des Kongresses, der von London wohlweislich aus den Wiener Verhandlungen herausgehalten wurde.

Einzelfragen wurden in verschiedenen Komitees verhandelt wie die Zukunft der Eidgenossenschaft, deren Neutralität und Unabhängigkeit schließlich bestätigt wurde, das Verbot des Sklavenhandels, die Freiheit der Rheinschifffahrt und Regeln des diplomatischen Verkehrs. Inwieweit die Bevölkerung das Objekt von Machtspielen war, zeigt die Arbeit der „Statistischen Kommission“, die an Hand von Bevölkerungsstatistiken den Wert von Territorien bezifferte und damit einen Maßstab für den politischen Handel von Gebieten und ihren Bewohnern schuf.

Von herausragender Bedeutung war die im „Deutschen Komitee“ behandelte Frage, wie nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation die Mitte Europas politisch verfasst werden würde. Hinter den Erwartungen der jungen deutschen Nationalbewegung blieb die Konföderation souveräner Staaten unter dem Dach eines „Deutschen Bundes“ natürlich weit zurück, doch wurde für Mitteleuropa immerhin eine politische Ordnungsstruktur gefunden, die für ein halbes Jahrhundert stabil blieb.

Duchhardt weist darauf hin, dass der Wiener Kongress viele Fragen – von denen die „deutsche Frage“ nur eine war – offen ließ. So konsequent Duchhardt plakative Zuschreibungen wie etwa das Schlagwort von der „Restauration“ vermeidet, kommt er nicht umhin, den konservativen Charakter der Wiener Ordnung zu betonen. Zugleich waren die Beteiligten bemüht, diese als „alternativlos“ (S. 120) erscheinen zu lassen. Damit ist ein Bogen skizziert zu den Rettungsbemühungen des europäischen Währungsraumes, gut 200 Jahre nach dem Wiener Ereignis.

Vielleicht hätten die Schilderungen der zahlreichen Festivitäten etwas knapper ausfallen und dafür die politischen Verflechtungen der beteiligten Mächte ausführlicher zu Wort kommen können. Dem Autor ist es dennoch gelungen, durch eine insgesamt nachvollziehbare Schwerpunktsetzung eine konzise Darstellung des Wiener Kongresses auf engem Raum zu geben, die überdies gut lesbar ist und daher einen Einstieg in die Thematik und einen ersten Überblick bietet.

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