B. Schnepel u.a. (Hrsg.): Kultur all inclusive

Cover
Titel
Kultur all inclusive. Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus


Herausgeber
Schnepel, Burkhard; Girke, Felix; Knoll, Eva-Maria
Reihe
Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
346 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sarah Willner, Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen

Der Sammelband widmet sich dem Verhältnis von kommerzialisiertem Reisen und Kulturerbe. Die Autoren/innen kommen hauptsächlich aus der Ethnologie oder Soziologie, jeweils ein Beitrag stammt aus der Humangeografie und der Europäischen Ethnologie. Das ausführliche Vorwort von Felix Girke und Eva-Maria Knoll (S. 7ff.) verheißt ausnahmslos praxisbezogene Beiträge zum Verhältnis touristischer Imaginationen, kultureller Performanzen und der Kommodifizierung von Kultur an den jeweiligen Zielen. Dabei richten die Beiträge ihre Aufmerksamkeit auch auf die ambivalenten Bewertungen der dortigen Akteure/innen, auf die Chancen und Risiken, Hoffnungen und Befürchtungen die mit den Tourismusströmen verbunden sind. Mehrfach distanzieren sich die Herausgeber/innen von Interpretamenten der Tourismuskritik, die in diesem Zusammenhang immer wieder anklingen.

Der einführende Beitrag von Burkhard Schnepel stellt bekannte theoretische Konzepte der Kulturerbeforschung wie Authentizität, Kommodifizierung und Kontaktzonen vor und konstatiert in der deutschen Tourismusforschung einen Mangel im Hinblick auf die Berücksichtigung kultureller und historischer Dimensionen. Das Ziel des Bandes sei es dagegen, „die Bedingungen, Möglichkeiten und Auswirkungen“ des Kulturerbekonsums zu untersuchen. Tourismuskritik, die bei diesem Thema schnell das Worte führe, sei als „integraler Bestandteil des Tourismus selbst“ (S. 38) zu verstehen, für dessen Erforschung aber nicht zielführend.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der empirisch gesättigte Text von Regina Bendix. Sie verweist zum einen auf zentrale Begriffe der Heritageforschung, stellt zum anderen aber auch die Interdependenzen von Kulturwissenschaft und Kulturpraxis heraus (etwa die latent noch immer mit dem Verlustgedanken laborierende Tourismuskritik ethnografisch arbeitender Wissenschaftler). Bendix vergleicht Kulturerbe-Regime und Tourismus als zwei potentiell aggressive Strategien der In-Wertsetzung von Kultur. Die praxeologische Perspektive auf das Feld profitiert von der Unterscheidung zwischen Kommodifizierung, als mit dem Verlust von kulturellen Werten verbunden, und In-Wertsetzung als „intrinsischer Teil kulturellen Handelns“ (S. 49). Hieraus ergibt sich die Auflösung der von Barbara Kirshenblatt-Gimblett angelegten Trennung von der Handlungsebene der Kulturschaffenden und -träger/innen und der dieses Handeln lenkenden Metaebene: „Damit kann ein latent weiter schwelender Rest der Vermutung in Schranken gewiesen werden, dass nur (meist sogar außenstehende) Akteure auf einer die Kultur instrumentalisierenden Meta-Ebene agieren, während die ‚Kulturträger‘ durch deren Tun von ihrem Gut entfremdet werden.“ (S. 49) Von diesem Perspektivwechsel konnten die restlichen Beiträge des Bandes allerdings nicht mehr profitieren.

Thomas Schmitt hat eine klar strukturierte Governanzanalyse durchgeführt, die einen informativen Überblick über die Institutionen, Akteure/innen und Prozesse der Erbwerdung gibt. Besonders spannend lesen sich die Beschreibungen der Aushandlungspraktiken des „outstanding universal value“ (o.u.v.) innerhalb ausgewählter Sitzungen des Welterbekommitees. Schmitt präpariert hieraus unterschiedliche Zugänge zur Begründung des o.u.v. Die Frage nach den vom Welterbesystem produzierten Kulturgeografien in Gestalt der Welterbeliste als „globale Kanonisierung des kulturell Wichtigen“ (S. 140), beantwortet Schmitt, indem er sowohl die bekannten Kritikpunkte am Welterbesystem (sein Eurozentrismus und die wirtschaftlich bedingte Chancenungleichheit bei den Antragstellern/innen) als auch weniger verbreitete gegenhegemoniale Interpretamente in Betracht zieht. In Bezug auf den Tourismus folgert er, dass obgleich die Tourismusförderung als zentrales Movens für Bemühungen zur Erlangung eines Erbestatus gelte, Tourismus im Diskurs des Welterbes ein ambivalent besetzter Begriff bleibe.

Hasso Spodes Beitrag widmet sich der Bedeutung, Erforschung und Kritik touristischer Authentizitätskonzepte. Er beschreibt komplexe Wechselbeziehungen von Authentizitätskonzepten und Raumkonstruktionen innerhalb des Tourismus und der Tourismusforschung und ist davon überzeugt, dass Authentizität für soziale Distinktionspraktiken, trotz aller postmodernen Dekonstruktionsleistungen und ohne die klassische Kritik am Massentourismus reanimieren zu wollen, ein unentbehrliches Konzept bleibt. Allerdings verharrt er dabei in einer binären Vorstellung von Reisezielen als Hetero- und Chronotopien, die entweder einzigartige Erinnerungsorte oder vereinheitlichte Freizeitlandschaften hervorbrachten. Die verhärtete Unterteilung in einen so genannten Kulturtourismus auf der einen und „populär-konsumistische Tourismusformen“ (S. 97) auf der anderen Seite ist schwer nachvollziehbar, zumal doch die hier gezeichneten Typologien mit dem jeweiligen touristischen Erleben – wie die von Spode kritisierten „Mikrostudien“ sicherlich zeigen könnten – wenig zu tun haben. Spode aber schließt nach der Beschreibung eines homogenen europäischen Freizeitraums mit Folgerungen wie dieser: „Der Erholungstourismus forcierte eine baulich-soziale Homogenisierung Europas.“ (S. 109)

Wie ein Konzept moderner Zeitlichkeit, dass einem Fortschrittsnarrativ verpflichtet ist, auf der Insel La Réunion für Touristen/innen erlebbar wird, zeigt David Picards Beitrag. Interessant wäre hier ein kleiner Einblick in sein empirisches Material und eine Darlegung seiner methodischen Vorgehensweise gewesen. Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour hat Ingrid Thurner in ihrem Text versucht, die Performanz von Sehenswürdigkeiten in Jordanien und Marokko zu analysieren. Der Beitrag profitiert vom enormen Materialfundus, den die Autorin als Studienreisebegleiterin gesammelt hat. Im Missverständnis, dass die von ihr beschriebenen Netzwerke tatsächlich außerhalb der Theorie existieren, verbleibt ihre Interpretation allerdings bei der Neuauflage bekannter Texte zum Tourismus und verfehlt damit die anvisierte Nische zwischen angewandter Touristik und Tourismusforschung.

Stark auf die Wechselwirkungen von touristischen Imaginationen und Performanzen an den jeweiligen Zielen gehen die folgenden drei Beiträge ein. Joachim Görlich untersucht den Prozess der Kommodifizierung eines Initiationsrituals im Rahmen eines Kulturfestivals in Papua Neuguinea. Er beschreibt die Veränderungen der Abläufe mit zunehmender Anwesenheit von Touristen/innen. Mit der Ein- und Ausrichtung des Kulturfestivals ginge auch die fortlaufende Aushandlung kultureller Wertigkeiten einher, die im Hinblick auf die touristischen Bedürfnisse entwickelt würden. Görlich folgert, die „Kommodifizierung des Rituals für den globalen Touristenmarkt bringe eine erhöhte Reflexionstätigkeit mit sich und damit ein Bewusstwerden des kulturellen Erbes“ (S. 211). Anna Hüncke hat in einem von Angehörigen des San-Stammes geführten Camp in Namibia die Funktionalität und Durchlässigkeit der so genannten „tourist bubble“ für die Touristen/innen und für ihre Gastgeber/innen untersucht, das heißt inwieweit das touristische Erleben mit den jeweiligen Erwartungen übereinstimmt. Dabei hat sich gezeigt, dass Touristen/innen sehr bewusst mit Typologisierungen umgehen und versuchen, diesen nicht zu entsprechen. Abhängig von den touristischen Imaginationen werden die Begegnungen mit modern oder traditionell lebenden San unterschiedlich bewertet und tragen zum Teil unbeabsichtigt zur Marginalisierung der San bei. Markus Lindner betrachtet aktuelle Umgangsweisen in nordamerikanischen Indianerreservationen mit Touristen und bettet sie in den historischen Kontext der Entwicklung des „Indianertourismus“ und Souvenierhandels sowie den damit einhergehenden Modifikationen des Geschmacks einer weißen Käuferschicht ein. Das Prinzip „sharing and protecting“ nach dem die Reservationen heute ihr kulturelles Angebot ordneten und die Regeln für dessen Besuch festlegten, fasst er als Antagonismus auf, in dem um die Objekte und das Maß der touristischen Verwertung gerungen wird.

Exit through the gift shop: Georg Maternas Beitrag fragt, warum selbstständige Kleinunternehmer/innen im Senegal sich nicht als „Ethnopreneure“ etablieren können, die ihre eigenen Kulturen im Ethnotourismus erfolgreich vermarkten. Schließlich leisteten diese einen signifikanten Beitrag zur Kommodifizierung ‚ihrer‘ Kultur. Er zeigt interessante Grenzen der ethnografischen Forschung in diesem Bereich, auch wenn er leider versäumt, diese zu reflektieren. Seine methodische Vorgehensweise, etwa den Wahrheitsgehalt seiner Studienteilnehmer/innen investigativ ermitteln zu wollen oder die in der Studie verwendeten völkischen Kategorien sind für fachfremde Leser/innen irritierend. Anja Peleikus und Jackie Feldman untersuchen abschließend Musemsshops im Jüdischen Museum Berlin und in Yad Vashem in Jerusalem im Hinblick auf die hier verhandelten und inszenierten Besuchergruppen. Es zeigte sich, dass die von den Besuchern/innen geforderten Museumsshopprodukte zum Teil erst geschaffen werden mussten. Sie konnten unterschiedliche Strategien der Ökonomisierung der Erinnerung beobachten, die sich nach der Ausrichtung des Museums und dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext richten.

Die „Verheißungen“ des Sammelbandes wurden weitgehend eingelöst. Die Beiträge beziehen sich fast ausnahmslos auf empirisches Material von unterschiedlichen Schauplätzen der Kommodifizierung von Kultur. Der Band erweitert so das Spektrum von bereits erfolgten Veröffentlichungen zum ambivalenten Verhältnis von Tourismus und Erbe. Die Ambivalenzen finden sich jedoch nicht nur bei den untersuchten Akteuren/innen, sondern auch auf der erzählerischen Ebene der meisten Texte wieder. Dass diese Mehrdeutigkeiten, beziehungsweise die normativen Positionen der Autoren/innen nicht offen dargelegt und reflektiert, sondern vielmehr theoretisch überlagert werden, verkompliziert die Lektüre unnötig und steht der Erfüllung der eingangs formulierten Ziele im Weg. Anstatt sich wiederholt rhetorisch von kulturpessimistischen Positionen abzugrenzen, wäre es wünschenswert gewesen, eingehender zu prüfen, welche Möglichkeiten eine Betrachtung performativer Praktiken des Tourismus tatsächlich birgt.

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