Cover
Titel
Mediating Memory in the Museum. Trauma, Empathy, Nostalgia


Autor(en)
Arnold-de Simine, Silke
Erschienen
Basingstoke 2013: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
X, 239 S.
Preis
£50.00 / € 62,72
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ludwig, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Museen haben sich in den vergangen dreißig Jahren von sammlungsbezogenen Institutionen des Wissens und der Bildung zu Erinnerungsstätten gewandelt, deren Ausstellungen ihrem Publikum emotionale Anteilnahme abfordern. Die Vorstellung, dass durch Einfühlen, ja Durchleben Empathie gefördert und somit eine Rezeption auf ethischer Basis möglich werden soll, ist Gegenstand der Untersuchung von Silke Arnold-de Simine. Auf Grundlage von Einzelanalysen verschiedener Museumsausstellungen untersucht sie die unterschiedlichen Präsentationsmodi und -medien im Hinblick auf ihre intendierten Wirkungen, insbesondere des Verhältnisses von historischen Inhalten zu emotionalisierenden Strategien der Darstellung. Mit den im Untertitel genannten psychologischen Grunddispositionen Trauma, Empathie und Nostalgie wird eine Kategorisierung der vielfältigen Positionen und Präsentationsformen in neueren Museen vorgenommen, deren Gemeinsamkeit in einer institutionell konstruierten Erinnerungspraxis liegt. In einem einleitenden Kapitel resümiert Arnold-de Simine aktuelle Kritiken am traditionellen Museum, es sei auf soziale Kohäsion einer Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet gewesen; neue Museumstypen der vergangenen Jahre würden dagegen vor allem das zeigen wollen, was an historischen Themen bislang ausgespart blieb, sie würden sich stärker an gegenwärtigen Debatten und den Bedürfnissen eines aktuellen Publikums orientieren und sich insgesamt einer synthetisierenden Mastererzählung verweigern. Zudem seien neuere Museen zunehmend medial und kommerziell ausgerichtet, kurzum, sie seien hybride Institutionen zwischen konfligierenden Erinnerungskulturen und Trägerinteressen. Mit Bezug auf Alison Landsberg bewirken memorial museums eine moralische Verantwortlichkeit von Museum und Besuchern, wo zuvor eine auf Wissen beruhende Verantwortlichkeit bestand.

Veränderungen in der Erinnerungskultur haben seit den 1980er-Jahren zu Museen geführt, die auf der Erfahrung von Gewalt und Trauma beruhen, in denen Besucherinnen und Besucher zu „sekundären Zeugen“ (secondary witnesses) werden. Als Beispiele untersucht Arnold-de Simine das Imperial War Museum North in Manchester, das Museum In Flanders Fields in Ypern und das Militärhistorische Museum Dresden. Individuelle Erfahrungen werden in diesen Museen, multimedial aufbereitet, mit dem Ziel berichtet, originäre Erfahrungen nachvollziehbar zu machen. Gemeinsam ist diesen Museen auch, dass ihre Themen zu verallgemeinerbaren Botschaften transformiert werden, in Ypern zum Beispiel als Appell zum Pazifismus. Empathie, der zweite Basisbegriff in Arnold-de Simines Untersuchung, beruht auf der Übertragbarkeit von Erfahrungen, die normalerweise getrennt sind: Ethnie, Geschlecht, Nation, Religion. Als eines ihrer Beispiele wählt sie das Militärhistorische Museum Dresden mit seiner Aufforderung zum Perspektivwechsel, des Einfühlens in die „andere Seite“. Im International Slavery Museum in Liverpool werden Erfahrungen von Sklaven als nachträglich produzierte audio-visuelle virtual testimonies präsentiert, die vor allem das Gefühl der Hilflosigkeit und Heimatlosigkeit vermitteln sollen. Die filmischen Erinnerungen beruhen teils auf literarischen Texten, teils sind sie erfunden, präsentiert werden sie von Schauspielern in einem historischen Filmsetting. Es ist sicher kein Zufall, dass hier das Prinzip des Dokudramas aufgenommen wird, um an mediale Gewohnheiten des Publikums anzuknüpfen. Im Zentrum der Präsentation in Liverpool steht die Installation des Innern eines Sklavenschiffs, die Enge, Ängste und Leiden vermittelt, jedoch kaum Informationen. Intendiert ist Überwältigung durch einen auch körperlich spürbaren Schock. Zu Recht kritisiert Arnold-de Simine die mit solchen Präsentationen verbundene Verallgemeinerung als Enthistorisierung und Dekontextualisierung. Da die gewählten Museumsbeispiele insgesamt sehr didaktisch ausgerichtet sind, stellt sich die Frage nach den jeweiligen Lernzielen, die hier als affektive Identifikation beschrieben werden. In einem dritten Teil ihrer Untersuchung wendet sich Arnold-de Simine der durch Museen transportierten Nostalgie zu, dem Verlangen nach dem Verlorenen. Nostalgie ist sicher einer der wesentlichen Gründe für Geschichtsinteresse und Museumsbesuche. Die hier beschriebenen Museen, das Ecomusée d’Alsace, zwei Hausmuseen im Londoner Stadtteil Spitalsfield und verschiedene DDR-Museen unterscheiden sich vielleicht deshalb von den zuvor beschrieben, als sie nicht „pädagogisch“, ausgerichtet auf schulische Lerngruppen konzipiert sind. Während das Ecomusée d’Alsace eine verlorene agrarische Lebenswelt in Erinnerung rufen will und die beiden Londoner Hausmuseen das von Immigration geprägte Eastend des 18. und 19. Jahrhunderts lebendig machen wollen, stehen die DDR-Museen in einer erinnerungspolitischen Konfliktsituation zwischen historischer Meistererzählung und individueller Erinnerung. Zugrunde liegt der Analyse der DDR-Museen die Frage nach der Nostalgie und ihrer Funktion im Prozess der Erinnerung, die Arnold-de Simine, leider nur sehr kurz, mit ähnlichen Entwicklungen im Westen Deutschlands („Generation Golf“) vergleicht. Dagegen sind die Londoner Beispiele als Wiederaneignung lokaler Geschichte ausgelegt, einer Art historisch-kulturellem Branding, nachdem das Eastend einem massiven Gentrifizierungsprozess unterliegt. Dort, wo unmittelbare Erfahrung fehlt, agiert ein Erzähler in einem Haus, das so wirkt als sei es eben erst verlassen worden (18 Folgate Street). In dieser Präsentation sei das Haus für Besucher als Rekonstruktion erkennbar und das Museum wird deshalb als „post-nostalgic“ bezeichnet, ebenso wie das hier ebenfalls analysierte Pitt-Rivers-Museum, dessen Viktorianisch-koloniale Sammlungen eben erst durch eine informierte Dekonstruktion post-kolonial analysiert werden kann. Als Gemeinsamkeit dieser höchst unterschiedlichen „Nostalgie-Museen“ sieht Arnold-de-Simine das Konzept des Unheimlichen, Unbehausten (uncanniness), das vor allem auf Verlusterfahrung und Verlustempfinden basiert.

Auf die in der Untersuchung verwendeten Konzepte von Erinnerung kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden, es sei jedoch auf sie insofern hingewiesen, als sie sich gegenüber der im deutschen Raum bekannten Gedächtnisdebatte um Aleida und Jan Assmann wesentlich stärker auf Persönlichkeitskonstruktionen als auf das Kollektive fokussieren. Der in der Untersuchung häufig verwendete Begriff der Collective Memory scheint sich deshalb eher auf „Erinnerung“ als auf „Gedächtnis“ auszurichten. Silke Arnold-de Simines in der Verlagsbuchreihe „Memory Studies“ erschienene Untersuchung konzentriert sich dabei auf das Verhältnis zwischen Präsentation und Besuchern, während das Museum als institutioneller Gedächtnisträger weitgehend unbeachtet bleibt. Obwohl viele Museen sich in der vergangenen Zeit als Orte der öffentlichen Geschichtserfahrung präsentiert haben, sind die institutionellen Hintergründe und vor allem die Einordnung in eine langfristige Museumsentwicklung noch genauer zu untersuchen.

„Mediating Memory in the Museum“ besticht zunächst vor allem durch die detaillierten Beschreibungen unterschiedlichster Museumsausstellungen, eine Kunst der Kritik, die leider zu wenig praktiziert wird. Die beschriebenen Beobachtungen in den Ausstellungen sind zugleich fokussiert auf die dem Band zugrunde liegenden Fragenstellungen, in welcher Form Erinnerung aufgerufen und Gedächtnis produziert werden (im Englisch beides: memory), es werden deshalb immer nur Ausstellungsausschnitte beschrieben, in denen Konzepte von Trauma, Empathie und Nostalgie analysierbar werden. Arnold-de Simine stützt sich dabei auf eine breite Literatur über Erinnerung zumeist aus dem angelsächsischen Forschungskontext. Die Analysen von Intention, medialer Umsetzung und Wirkung von Ausstellungen als Konzepte von historischer Konstruktion und Erinnerungsarbeit sind auf dieser Grundlage ebenso elaboriert, wie die Schlussfolgerungen eindeutig: die auf psychologischen Effekten beruhenden Konzeptionen neuer Erinnerungs-Museen haben die kognitive Grundlage von Museumsarbeit insoweit verlassen, als sie eher Einstellungen befördern als Wissen bereitstellen wollen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension