Cover
Titel
Henry Ford.


Autor(en)
Curcio, Vincent
Reihe
OUP USA Locke Lecture Series
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 306 S.
Preis
$ 24.95 / £ 16.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Hachtmann, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Wer sich grob über das Leben Henry Fords (1863–1947) informieren will, ist mit der hier vorzustellenden, leicht lesbaren Biographie des US-amerikanischen Automobilkönigs gut bedient. Vincent Curcio ist kein Historiker, sondern war jahrzehntelang Direktor des White Barn Theater in Norwalk / Connecticut; in den letzten Jahren hat er sich erfolgreich als Sachbuchautor versucht (unter anderem mit einer Biographie über Walter P. Chrysler).

Das jetzige Buch ist übersichtlich in insgesamt elf Kapitel gegliedert. In den ersten beiden Kapiteln bietet Curcio aufschlussreiche, bisher nicht oder kaum bekannte Informationen aus den ersten drei Lebensjahrzehnten Fords. In den folgenden Kapiteln skizziert der Autor den Aufstieg des Ford’schen Unternehmensimperiums und liefert auch hier interessante Einzelheiten. So schildert Curcio zum Beispiel ausführlich, dass Ford selbst an den damals üblichen Autorennen teilnahm, obwohl ihm diese eigentlich zuwider waren. Der Grund: Der Sieg in einem solchen Wettkampf konnte schon damals eine ungemeine Werbekraft entfalten und machte zahllose potentielle Käufer auf „sein“ Auto aufmerksam (S. 34ff.). Im fünften Kapitel wird die Vorgeschichte des berühmten Modells T (S. 58ff.) ausführlich dargestellt. Gerade hier zeigt sich ein großer Vorzug der Biographie Curcios: Er skizziert längerfristige Veränderungen und führt die Implementierung des Fließbandes in den Ford’schen Werken nicht etwa auf einen genialen Gedankenblitz Fords zurück, sondern beschreibt sie als Resultat einer längeren Entwicklung (S. 69ff.).

Etwas krampfhaft wirkt dagegen die Abgrenzung der Ford’schen Prinzipien von Frederic W. Taylor und dessen Konzept einer systematischen Arbeitszerlegung zwecks Intensivierung der Arbeit (S. 72f.). Tatsächlich war der Taylorismus Voraussetzung und Bestandteil der Einführung fordistischer Produktionsregime. Die enormen Belastungen für den einzelnen Arbeiter, die die monotone Bandarbeit und die rücksichtslose Heraufsetzung des Tempos des fließenden Bandes mit sich brachten, deutet Curcio an verschiedenen Stellen immerhin an – etwa wenn er in Kapitel 7 schreibt, dass kein Arbeiter, der mit den Fließbändern Fords Bekanntschaft gemacht hatte, bei den berühmten ersten Szenen aus Charlie Chaplins „Modern Times“ lachen konnte; „it was simply too true to be funny“ (S. 128).

Ein weiteres Kapitel ist den politischen Initiativen Fords gewidmet, namentlich seiner gescheiterten Friedensmission Ende 1915, als er mit einem gecharterten Hochseedampfer gen Europa fuhr, die Alte Welt jedoch nicht davon überzeugen konnte, die Kriegsmetzeleien einzustellen, sowie seinen vergeblichen Versuchen, in den US-Kongress gewählt zu werden und als Präsident zu kandidieren – Kampagnen, die vordergründig scheiterten, gleichwohl seinen ohnehin hohen Bekanntheitsgrad weiter steigerten und damit indirekt seinem Unternehmen zugute kamen. Andere Passagen schildern die persönlichen Freundschaften Fords, etwa zu Thomas Edison und die Camping Trips beider. Die abschließenden Kapitel widmen sich den letzten Lebensjahrzehnten Fords. Auch hier erfährt man bisher wenig Bekanntes – etwa dass Ford, der aus seinen Arbeitern puritanisch sittsame Menschen und gute Familienväter machen wollte, diesen Idealen selbst nicht unbedingt folgte und mit seiner Sekretärin einen unehelichen Sohn zeugte (S. 193f.). Auf die Darstellung der Geschichte „Fordlandias“, einer von Ford initiierten konkreten Sozialutopie im Amazonasbecken, die – konzipiert als riesige Kautschuk-Plantage – gleichzeitig exemplarisch für das autarkistische Unternehmenskonzept Fords steht, und anderer ähnlicher Projekte verzichtet Curcio, mit Verweis auf die tatsächlich großartige Darstellung von Greg Grandin.1 Ärgerlich ist dagegen, dass es dem Leser nicht möglich ist, Feststellungen und Zitate Curcios genauer zu überprüfen. Anmerkungen fehlen, und die bibliographischen Hinweise zu den „Quellen“ bieten lediglich einige Lesetipps. Nützlich ist dagegen das elaborierte Register.

Offensichtlich ist, dass Curcios Biographie vor allem an US-amerikanische Leser gerichtet ist. Nachsehen mag man dem Verfasser, dass er der in Europa je nach Nation sehr unterschiedlichen Rezeption der unter dem Schlagwort „Fordismus“ höchst populären ökonomischen wie weltanschaulichen Vorstellungen Fords nicht weiter nachspürt; dies hätte zweifellos den Rahmen einer Biographie gesprengt. Doch werden auch die subjektive Sicht Fords selbst auf Europa und besonders die Konstellationen in Deutschland lediglich am Rande angesprochen und tendenziell auf Klischees verengt. Das Verhältnis Fords zur NS-Bewegung und zum NS-Regime ist Curcio nur wenige Zeilen wert. Interessant ist immerhin eine beiläufig eingeschobene Bemerkung: Die Frage, ob Ford den frühen Nazis Gelder habe zukommen lassen, könne heute nicht mehr beantwortet werden, da die Archivdokumente der Ford Motor Company in den 1960er-Jahren vernichtet worden seien (S. 155).

Eine Reihe grundsätzlicher Schwächen der Biographie ist nicht zu übersehen. Die drei wichtigsten: Erstens bagatellisiert Curcio wortreich in einem eigenständigen Kapitel den Antisemitismus Fords2, etwa wenn er mehrfach betont, dessen Judenhass sei nicht mit demjenigen der Nazis zu vergleichen. Ford habe sich lediglich nostalgisch in eine „social past“ zurückgesehnt, als er seine antisemitischen Pamphlete verfasste (S. 138f.). Curcio verniedlicht Fords Antisemitismus zu einem moderaten „Anti-Judaismus“ und macht letztlich andere für dessen judenfeindliche Ausfälle verantwortlich. Er suggeriert eine Harmlosigkeit des Ford’schen Antisemitismus, indem er feststellt, dass anti-jüdische Tendenzen in den 1920er- und 1930er-Jahren in den USA weit verbreitet gewesen seien (was stimmt) und dass Ford selbst mit mehreren Juden eng befreundet gewesen sei – eine namentlich in der Bundesrepublik nach 1945 gern verwendete exkulpatorische Rhetorik.

Zweitens: Harry Bennett und der von diesem in den Ford-Werken aufgebaute, brutale Sicherheitsdienst werden zwar erwähnt, ebenso dessen enge Kontakte zur Mafia, zum FBI sowie zu den lokalen Dearborner Faschisten (S. 224, S. 247). Angesprochen wird auch der Hungermarsch von entlassenen Ford-Arbeitern Anfang März 1937, den Bennett rigoros niederschießen ließ (vier Tote). Curcio geht jedoch nicht der Frage nach, ob Bennett, von 1915 bis 1944 einer der engsten Vertrauten Fords und diesem blind ergeben, mit seinen Schlägertrupps und seinem Spitzelsystem neben der Mafia europäischen Vorbildern (S. 224, S. 230) folgte oder aber ob dieses System umgekehrt für die SA und andere, gegen die Arbeiterbewegung aufgebaute faschistische Milizen in Europa zum Vorbild wurde. In Deutschland jedenfalls fühlten sich 1933 Ford-Arbeiter an Bennett und seinen „Werkschutz“ erinnert, als sie Bekanntschaft mit Gestapo-Methoden machen mussten.3

Schwerer wiegt drittens, dass Curcio sich zwar bemüht, die Ambivalenz der Persönlichkeit Fords herauszuarbeiten; er lässt dessen skurrile Eigenheiten sowie sein herrisches Auftreten nicht unerwähnt. Dennoch macht er ihn unfreiwillig zur Ikone, und zwar auf zwei Ebenen: zum einen, indem er Ford mit Columbus, Gutenberg und Luther vergleicht, die als Persönlichkeiten gleichfalls ihre Schattenseiten gehabt hätten (S. IX, S. XIII, S. 274). Auch wenn Ford wie kaum ein anderer Unternehmer dem 20. Jahrhundert seinen Stempel aufgedrückt hat, ist dies doch zu viel der Ehre. Zum anderen – und dies ist gravierender – dividiert Curcio den angeblichen „Idealisten des Fünf-Dollar-Tages“, der seine Belegschaft mit zahllosen weiteren sozialen Wohltätigkeiten überschüttet habe, einerseits sowie den Antisemiten und Gewerkschaftsfeind andererseits auseinander (z.B. S. 229f.). Dieser für Curcio anscheinend unerklärliche Zwiespalt hätte sich leicht auflösen lassen – wenn er den Terminus „Social Engineering“ nicht nur beiläufig erwähnt (S. 48, S. 74), sondern als Konzept ernstgenommen hätte. Oder wenn er dem Leser wenigstens das 1922 erschienene, in Millionenauflage und in zahlreichen Sprachen verbreitete Werk „My Life and Work“ näher vorgestellt hätte. Dann wäre er nicht so verwundert gewesen, dass Lockung und Zwang für Ford und viele seiner Zeitgenossen wie selbstverständlich zusammengehörten. Denn in diesem als Fords „Autobiographie“ verkauften Opus – tatsächlich wurde es vom Journalisten Samuel Crowther verfasst, spiegelt jedoch treffend Fords Mentalität und Weltanschauung – sind seine Affinitäten zu durchsetzungsstarken „Führern“, zu autoritären Regimen, seine Verachtung der unkalkulierbaren Massen und damit auch seiner Beschäftigten sowie die Ablehnung jeglicher Form inner- wie überbetrieblicher kollektiver Interessenvertretungen der Arbeitnehmerseite unverklausuliert zu Papier gebracht. Nur mit den wenig werbewirksamen antisemitischen Positionen, mit denen Ford zuvor in zahlreichen Kolumnen des von ihm aufgekauften „Dearborn Independent“ und in weiteren Schriften Furore gemacht hatte, hielten er bzw. sein Ghostwriter sich in „My Life and Work“ zurück.

Wenn man bereit ist, über die genannten Schwächen hinwegzusehen, bietet Curcios Biographie einen guten Überblick zum Leben der „most significant figure of our age“ (S. XII, S. 274) namens Henry Ford.

Anmerkungen:
1 Greg Grandin, Fordlandia. The Rise and Fall of Henry Ford’s Forgotten Jungle City, London 2010, sowie meine Rezension, in: H-Soz-u-Kult, 29.11.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-151> (27.06.2014).
2 Vgl. Christiane Eifert, Antisemit und Autokönig. Henry Fords Autobiographie und ihre deutsche Rezeption in den 1920er-Jahren, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 6 (2009), S. 209–229, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Eifert-2-2009> (27.06.2014).
3 Vgl. James J. Flink, The Automobile Age, Cambridge 1990, S. 125; Chip Berlet / Matthew N. Lyons, Rightwing Populism in America. Too Close for Comfort, New York 2000, S. 108.