P. Piesche (Hrsg.): Euer Schweigen schützt Euch nicht

Titel
Euer Schweigen schützt Euch nicht. Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland


Herausgeber
Piesche, Peggy
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 19,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Aline Maldener, Historisches Institut, Universität des Saarlandes

Mit ihrer Anthologie zur Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland unternimmt die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche den Versuch, einerseits den Blick auf bisher marginalisierte Akteurinnen innerhalb der deutschen Frauenbewegung zu richten und andererseits an aktuelle Strömungen innerhalb der postcolonial und cultural studies sowie an die (deutsche) Zeitgeschichtsschreibung anzuknüpfen, die sich gerade für die 1980er Jahre zu öffnen beginnt.1 Der Stellenwert kolonialen Erbes für die (postmoderne) deutsche Geschichte wurde bisher in der Forschung fast gänzlich ausgeklammert.2 Wie wichtig und prägend allerdings der Erfahrungs- und Wissensschatz ehemals Kolonisierter und ihrer Nachfahren für eine Frauen- und Geschlechtergeschichte insgesamt war, möchte Peggy Piesche am Beispiel der deutschen Schwarzen Frauenbewegung demonstrieren. Mit diesem Unterfangen rekurriert sie auf aktuelle Forschungsdebatten rund um die Kategorie der „Whiteness“ im Kontext von Race- und Genderpolitiken, das heißt auf die Problematik eines Ethnozentrismus innerhalb der deutschen (aber auch US-amerikanischen) Frauenbewegung.3

Dem Phänomen der deutschen Schwarzen Frauenbewegung nähert sich Peggy Piesche kreativ-eklektizistisch. Mittels einer Zusammenstellung unterschiedlicher literarischer (Selbst-)zeugnisse schwarzer Aktivistinnen wie allen voran Audre Lorde, aber auch May Ayim, Katharina Oguntoye, Ana Herrero Villamor oder Maisha M. Eggers in Form von Vorträgen, Interviews, Gedichten und Essays verbindet sie Oral History mit literarischen Elementen. In insgesamt fünf Kapiteln spürt die Herausgeberin Aufbau und Wesen der Bewegung nach, skizziert Organisationen wie ADEFRA (Afro-deutsche Frauen) und ISD (Initiative Schwarze Deutsche), bemüht sich um eine transnationale, globale Perspektive und bearbeitet dabei im Wesentlichen die Themenfelder Sexismus, Rassismus/Ethnozentrismus, Sozialismus/Kapitalismus, widmet sich aber auch dem weiblichen Körper, seiner Erotik, Krankheit und Gesundheit. Ziel ist es, die Texte der Aktivistinnen für sich sprechen zu lassen. Zum einen soll das literarische Kompendium einer marginalisierten Gruppe eine Sprache und mit Audre Lorde auch eine Sprecherin, eine Identifikationsfigur geben. Zum anderen soll aber auch ihr Schweigen thematisiert werden, die Aktivistinnen sollen sichtbar werden, ohne sie zu „bevormunden“, sodass auf eine weitreichende Kommentierung der Werke verzichtet wird. Neben einer literarisch-künstlerischen Würdigung soll damit gleichsam eine Historisierung der deutschen Schwarzen Frauenbewegung erreicht werden.

Einer Bewegung eine Sprache zu geben, bedeutet zunächst eine Sprache zu schaffen, ein gemeinsames Vokabular und bestimmte Terminologien zu definieren. Peggy Piesche präsentiert in diesem Zusammenhang eine ganze Sammlung von Eigennamen wie „Schwarze Geschichte“, „Schwarze Stimmen“, „Schwarze Gruppen“, „Schwarze Organisationen“ bis hin zu genrebildenden Ausdrücken wie „Schwarzem Englisch, Schwarzer Dichtung“ und „Schwarzer Ausdrucksweise“ (S. 223) – Begriffsbildung dient hier als linguistischer Emanzipationsversuch. Das konsequente Großschreiben der Begriffe erweist sich dabei als elementares Mittel im Prozess der Sichtbarmachung der Schwarzen Frauenbewegung und setzt ein orthographisches Zeichen: Hier soll ein Phänomen in Zukunft großgeschrieben werden, das heißt auch semantisch an Wichtigkeit gewinnen. Leider bleibt Peggy Piesche eine Erklärung darüber schuldig, ob es sich bei diesen Termini um breit etablierte, wissenschaftlich legitimierte Begrifflichkeiten handelt oder ob sie an dieser Stelle eigene Neologismen vorschlägt. Die Sprache, das Schreiben, gerade auch das Schreiben über sich selbst, so betont die Herausgeberin stets, sei ein politisches Instrument gewesen, das von der Schwarzen Frauenbewegung stark genutzt wurde (S. 89). Schweigen schützt nicht, und es nützt auch nicht. Stattdessen mussten die Aktivistinnen verbalisieren, kommunizieren, schriftlich wie mündlich. Problematisch an dieser Perspektive erscheint allerdings, dass vor dem Hintergrund der propagierten Transnationalität bzw. Internationalität der Schwarzen Frauenbewegung keine Aussagen dazu getroffen werden, wie eine gemeinsame Sprache jenseits bestimmter Landessprachen gefunden werden kann. Die Sprache Lordes ist Englisch und daher ergibt sich für eine deutsche Schwarze Frauenbewegung und ihre Begriffsfindung automatisch das Problem der Übersetzung und der damit verbundenen begrifflichen Änderungen und Bedeutungsverluste. Die Schwierigkeiten, aber auch Chancen, einer solchen Mehrsprachigkeit für eine Bewegung lässt die Anthologie leider unerwähnt.

Prinzipiell positiv hervorzuheben ist die Tatsache, dass sich Peggy Piesche mit Vorstellungen von Räumlichkeit, konkret mit den Bedeutungsmustern von Heimat und Diaspora und damit auch implizit mit Konstrukten wie den Third Spaces und hybriden Zwischenräumen auseinandersetzt.4 So wünscht sich die Herausgeberin mit ihrer Anthologie den Anstoß zu einer „diasporischen Vernetzung über nationale Grenzen hinweg“ (S. 1) zu geben – versäumt allerdings eine Definition dieser jeweiligen Räume und insbesondere des Nationenbegriffs. So gehen in ihrer Beschreibung die Vorstellung von kulturellen und geographischen Räumen nicht selten durcheinander, welche Nation nun als Referenzpunkt für Piesches postulierten Internationalismus einer Schwarzen Frauenbewegung zu veranschlagen sei, bleibt außen vor.

Ein weiterer zu überdenkender Aspekt ist Peggy Piesches starke Akzentuierung der Person Audre Lordes. Die afroamerikanische Wissenschaftlerin und Lyrikerin, deren Wirken auch in Deutschland entscheidenden Einfluss auf Struktur und Agitation der Schwarzen Frauenbewegung hatte, wird im Rahmen der Anthologie als Schlüsselfigur gewürdigt. Ähnlich wie die 2013 etablierte Angela-Davis-Gastprofessur an der Frankfurter Goethe-Universität zur Erforschung von Geschlechterverhältnissen, verweist auch die zentrale Betrachtung der Person Audre Lordes in diesem Sammelwerk darauf, wie wichtig einzelne Vordenkerinnen als „Gesichter“ für die Bewegungsgeschichte insgesamt waren und immer noch sind. Allerdings bringt die Huldigung einzelner Galionsfiguren eine Reihe unlösbarer Probleme mit sich. Zum einen wird Audre Lorde zum Beispiel nicht flächendeckend von queeren Aktivistinnen innerhalb der Schwarzen Frauenbewegung als Leitfigur akzeptiert, legt sie in ihrem Werk „Zami: A new spelling of my name“ von 19825 doch schonungslos ihre Antipathie gegenüber (queeren) Identitäten wie Femmes, Butches sowie ihre Abneigung gegenüber Sadomasochistinnen offen. Zum anderen gehen gerade die afrodeutschen Bewegungsfrauen in ihrer Bedeutung gegenüber der US-amerikanischen „Lichtgestalt“ Audre Lordes ein wenig unter, die zwar unbestreitbar eine Art institutionelle Klammer für die afrodeutsche Frauenbewegung darstellte, aber deren Besuche in Deutschland doch letztlich nur vergleichsweise kurze Stippvisiten waren und damit eher Impuls- als Instruktionscharakter haben konnten.

Hieraus ergibt sich eine weitere Schwierigkeit – die Doppelfunktion der an dieser Anthologie beteiligten Frauen als (einstige) Aktivistinnen und (heutige) Wissenschaftlerinnen. Insbesondere Peggy Piesche, die prominent als Herausgeberin der Anthologie fungiert, aber gleichzeitig ein Interview gibt, in dem sie selbst in dritter Person von sich spricht (S. 16), verdeutlicht dieses Problem par excellence. Derart präsentiert sich Piesche einerseits als „Erzählerin aus dem Off“, als geschichtsbildend, indem es ihren Selektionskriterien obliegt, die Texte und Quellen schwarzer bewegter Frauengeschichte in Deutschland zu „komponieren“ und damit eine objektive „Vogelperspektive“ auf ein Phänomen zu erwirken, andererseits involviert sie sich persönlich, plädiert mitunter eher als dass sie argumentiert und torpediert damit ihren eigenen, in der Einleitung der Anthologie postulierten Anspruch auf Historisierung der afrodeutschen Frauenbewegung. Die aus dieser Doppelrolle resultierende mangelnde analytische Distanz zum Untersuchungsgegenstand als auch der Umstand, dass die Anthologie primär auf literarischen Quellen basiert, weitgehend ohne Forschungsliteratur, ohne geschichtliche Kontextualisierung oder Kommentierung auskommt, und darüber hinaus auf jedwede Fragestellung und Thesenbildung verzichtet, lassen den Anspruch auf Geschichtsbildung von daher überzogen erscheinen.

Nichtsdestotrotz legt Peggy Piesche mit ihrer Anthologie eine literarisch wertvolle und literaturwissenschaftlich interessante Zusammenstellung von Schlüsseltexten der afrodeutschen Frauenbewegung vor und verdeutlicht einmal mehr die Heterogenität und den Facettenreichtum der (deutschen) Frauenbewegung im Ganzen. Mit ihrem Verweis auf Mehrfachidentitäten, cross-over-Verortungen in unterschiedlichen communities, aber auch gerade durch ihre Problematisierung ethnozentrischer „weißer“ Interpretationshoheiten, legt sie die Komplexität und Vielfalt schwarzen Feminismus frei, der eindeutig mehr ist als „weißer Feminismus im Schwarzen Gewand“ (S. 222).

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Archiv für Sozialgeschichte, Band 52 (2012): Wandel des Politischen: Die Bundesrepublik Deutschland während der 1980er Jahre.
2 Vgl. u.a. Birthe Kundrus (Hrsg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt am Main 2003.
3 Gabriele Dietze, Weiße Frauen in Bewegung. Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken, Bielefeld 2013.
4 Homi K. Bhabha, The Location of Culture, London 1994.
5 Audre Lorde, Zami, A New Spelling of My Name, Freedom (Calif.) 1982

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