J. Eulenstein: Territorialisierung mit dem Schwert?

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Titel
Territorialisierung mit dem Schwert?. Die Fehdeführung des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg (1307/08–1354) im Erzstift Trier


Autor(en)
Eulenstein, Julia
Reihe
Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 115
Anzahl Seiten
X, 612 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne-Katrin Kunde, Institut d’Histoire, Université du Luxembourg

Balduin von Luxemburg, Bruder des 1313 verstorbenen Kaisers Heinrich VII., Onkel des böhmischen Königs Johann und langzeitiger Unterstützer König Ludwigs des Bayern, amtierte nicht nur als Erzbischof von Trier, sondern zwischen 1328 und 1336 als Administrator des Erzbistums Mainz sowie zwischen 1331 und 1337 zeitweise auch als Administrator der Bistümer Speyer und Worms. Damit war er war nicht nur eine der einflussreichsten und mächtigsten Personen seiner Zeit, sondern seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Gegenstand etlicher Biografien, diverser Untersuchungen zu verschiedensten Aspekten der Geschichte des späten Mittelalters und natürlich auch zahlreicher landesgeschichtlicher Studien. So mag eine Dissertation zu einem vermeintlich derart „beackerten Feld“ zunächst überraschen, zumal hier oft behandelte Themen wie Burgenbau bzw. -politik und Ausbau bzw. Territorialisierung der Kurlande vor dem Hintergrund einer ebenfalls nicht unbekannten Quellenlage abermals aufgegriffen werden. Die Autorin der 2009/10 an der Universität Gießen eingereichten Dissertation stellt daher das Instrument der Fehde bzw. der anschließenden Sühne in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, um aus landesherrlicher Perspektive zu hinterfragen, ob „das Wechselspiel von Fehde und Sühne zur Konsolidierung und zum Ausbau der eigenen Einflussbereiche [zu] nutzen [war], und welchen Stellenwert [...] Fehdeführung und Sühneschluss als Mittel im Territorialisierungsprozess in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts“ (S. 6) hatte, wobei sie betont, dass der „Blick gerade auf diesen Zeitraum [...] bisher ein Desiderat der Fehdeforschung“ (S. 19) war.

Wie in der Einleitung (S. 3–42) formuliert, war eine wesentliche Grundlage der Untersuchung zunächst das in Kopialbüchern, den sogenannten Balduineen1, versammelte Urkundenmaterial, in das die „meisten erzbischöflichen Sühnen eingetragen wurden“ (S. 14f.) und das somit für die Herausarbeitung des Fehdegrundes und der Intentionen Erzbischof Balduins besonders wichtig war. Doch zog die Autorin ebenfalls die Urkundenausfertigungen der Bestände zahlreicher vor allem südwestdeutscher Archive heran (ohne leider genaue Signaturen im Quellenverzeichnis auszuweisen), was nicht nur ein immenser Arbeitsaufwand gewesen sein dürfte, sondern der Beschreibung der einzelnen Fehden im Detail zu Gute kommt. Darüber hinaus wurde sogenanntes Verwaltungsschriftgut, ferner erzählende Quellen auch jüngeren Datums berücksichtigt, um die „Konfliktwahrnehmung und vor allem [die] Konfliktdarstellung auf der kurtrierischen Seite“ (S. 14f.) zu untersuchen.

In „Fortführung des von Otto Brunner initiierten Ansatzes“ (S. 6f.)2 versteht Julia Eulenstein Fehde als „Rechtsstreit unter Einsatz von Waffengewalt“ (S. 27) bzw. als legitimes Rechtsinstrument, das in der Zeit des Spätmittelalters einen hohen Stellenwert besaß und bei dem am Ende der Fehde „das neue Recht in der die Gewalt beendenden Sühne festgeschrieben wurde“ (S. 5). Den von ihr verwendeten „Arbeitsbegriff“ Fehde, für den es „im Umkreis des Erzstifts Trier in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts keine feststehende Begrifflichkeit“ (S. 31) gegeben zu haben scheint, möchte sie daher im Weiteren schärfen, indem sie Fehde mittels einer Binnendifferenzierung semantisch von anderen Streitformen, Straftaten oder auch vom Krieg abzugrenzen sucht. Als Unterscheidungskriterium gilt ihr die Intensität, mit der die Auseinandersetzungen geführt wurden, die sie anhand der Kombination der in den Quellen verwendeten überwiegend deutschen Begriffe auszumachen sucht. Auf Grund dessen unterscheidet die Autorin drei unterschiedliche Eskalationsstufen von Konflikten: Die erste sei durch die Vokabel zweiunge und Gewaltfreiheit gekennzeichnet. Stufe zwei lasse sich durch die Verwendung einer Begriffsreihe charakterisieren, in der die Ausdrücke schaden, zweyungen, missehelungen, ansprachen und ufleufe kombiniert werden können. Die oberste Eskalationsstufe weise „meistens die Begriffsreihe criege, urleuge, tzweiung, uffleufe und mishellunge“ (S. 23f.) auf. Letztere seien immer an gewalttätige Konfliktlösung geknüpft. Aber nur für die höchste Stufe möchte die Verfasserin den Terminus ‚Fehde‘ anwenden. Die von ihr definierte mittlere Ebene sei dagegen ein Gewalteinsatz unterhalb der Fehde (S. 26f.). Auch wenn hier eine sprachliche Gradation innerhalb der Quellen ablesbar ist, scheint eine solche etwas schematisch anmutende Unterteilung besonders der beiden letzten Ebenen eher schwierig begründbar. Da die Autorin selbst auf deren Variabilität bzw. fallweise eingeschränkte Verwendbarkeit verweist, bleibt fraglich, ob sich diese sprachlichen Beobachtungen und Klassifizierungen, die anhand des Trierer Materials getroffen wurden, verallgemeinern lassen. Ob sie für den Untersuchungsgegenstand Fehde wirklich weiterführend sind, kann daher nur mittels vergleichender weiterer Studien beantwortet werden.

Die „Untersuchung der [die Fehden abschließenden] Sühnebestimmung und die Analyse ihrer Bedeutung für die Konsolidierung und den Ausbau der erzbischöflichen Einflussbereiche“ (S. 20) benennt die Autorin als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen. Die darin getroffene weitere Unterscheidung der Sühnen in solche mit erzbischöflicher Beteiligung unter militärischem Vorgehen (fehdebedingte Sühnen) und solche ohne „vorherige explizite Gegnerschaft des Erzbischofs“ (frevelbedingte Sühnen) (S. 21) strukturiert die Arbeit im Wesentlichen.

Für den ersten Teil (Fehden und Landfriedensexekutionen als Sühnegelegenheit, S. 43–484) macht Eulenstein innerhalb ihres Untersuchungszeitraums von fast 50 Jahren „38 Fehden kleineren, größeren und sehr großen Ausmaßes“ (S. 4) aus, wobei hier die Dauer das Unterscheidungsmerkmal darstellt. Diese Fälle scheidet sie anhand der Fehdegegner in Adlige und Städte. Die überwiegenden adligen Fehdeführer werden wiederum in fünf geografische Konfliktfelder gliedert: Westerwald, Mittelrhein, Hunsrück und Mosel, Eifel sowie schließlich Saar (woran sich noch ein Kapitel zu kleineren Fehden anschließt, S. 403–431). Die einzelnen Fehden und auch Landfriedensexekutionen werden weitgehend nach demselben Muster beschrieben: Vorstellung der Gegner, Auslöser der Fehde, Fehdeverlauf, Sühnebestimmungen, Motive und Gründe, Analyse. Diesem Muster folgt auch Teil zwei (Umdeutung von Fehde und fehdeähnliche Handlungen als Sühnegelegenheit, S. 485–511). Sprachlich klar gelingt es der Autorin die einzelnen, oft durchaus verworrenen Auseinandersetzungen, die an dieser Stelle keine nähere Vorstellung erfahren können, in zudem stark fragmentierten Gebieten übersichtlich und gut nachvollziehbar darzustellen. Im Ergebnis dieser Einzelfallbetrachtungen konstatiert sie (Fazit, S. 512–530), dass die Fehde ein wichtiges Element im Zusammenhang mit dem Territorialisierungsprozess bildete, da an ihrem Ende rechtsverbindliche Sühnen standen, die in 43 von 50 überlieferten Fällen „den Ausbau und in der Regel auch die Konsolidierung der erzbischöflichen Einflussbereiche zu Ungunsten der gegnerischen Rechte und Möglichkeiten“ (S. 515) ermöglichten, wozu nicht nur die bischöfliche Finanzkraft und Infrastruktur des Erzstifts, der Kontakt Balduins zum entsprechenden Reichsoberhaupt und die militärische Überlegenheit des Luxemburgers, sondern auch „die außerordentlich gut organisierte Schriftgutverwaltung“ (ebd.) beigetragen habe. Bei der Ausgestaltung der Sühnen agierte der Erzbischof keineswegs aus starrer Haltung heraus, sondern war auch zu Zugeständnissen bereit oder gezwungen und musste in Einzelfällen auch negative Konsequenzen für das Erzstift verzeichnen. Der mittels der Sühnen vorangetriebene Ausbau des Erzstiftes erfolgte in den meisten Fällen jedoch zu Gunsten des Erzbischofs durch die Reaktivierung alter oder den Gewinn neuer Rechte und die Herstellung von „Bindungen“, die die Autorin in An- und Einbindungen unterteilt, wovon erstere „eine nicht allzu starke und vor allem (...) nicht exklusive“ meint (Lehnsbindungen, Dienstverträge), die zweite hingegen „eine stärkere politische und personelle Bindung an das Erzstift [darstellt] und exklusiv sein“ konnte (Ernennung zum Amtmann) (S. 37). Da Frau Eulenstein herausarbeitet, dass „die dauerhafte personelle Anbindung des Gegners (...) für die Entwicklung des späteren Kurstaates Trier einen besonderen Stellenwert“ auch aufgrund ihres generationsübergreifenden Charakters beanspruchen kann, wird einmal mehr die Bedeutung der Amtszeit Erzbischofs Balduin von Trier für die Ausgestaltung des späteren Kurstaates unterstrichen.

Der umfangreichen Studie sind sechs Karten beigegeben, die vermutlich farbig konzipiert waren, im Druck jedoch in Schwarz-Weiß gehalten sind. Dadurch und durch die geringe Größe und damit einhergehende inhaltliche Reduzierung verlieren sie ihre Informationskraft weitgehend und sind als Illustration der vorangegangenen Ausführungen nur bedingt nutzbar. Auch wenn das Literaturverzeichnis nicht alle zitierte Literatur ausweist (Schütz, „Ludwig der Bayer“ oder auch Böhn, nicht Böhm, „Ausgriff in den pfälzischen Raum“3) und die Forschungsergebnisse der Luxemburger Mediävistik unberücksichtigt geblieben zu sein scheinen sowie die Gestaltung des Orts- und Personenindexes nicht immer zur Orientierung beiträgt, kann die vorliegende Monografie nahezu als ein Kompendium für die Landesgeschichte des umrissenen geografischen Raumes im 14. Jahrhundert bezeichnet werden, was neben dem Beitrag zur Diskussion um das mittelalterliche und frühneuzeitliche Fehdewesen ihren eigentlichen großen Wert ausmacht.

Anmerkungen:
1 Johannes Mötsch (Bearb.), Die Balduineen. Aufbau, Entstehung und Inhalt der Urkundensammlung des Erzbischofs Balduin von Trier, Koblenz 1980.
2 Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Wien 1965, Nachdruck Darmstadt 1990.
3 Alois Schütz, Ludwig der Bayer, König und Kaiser, in: Balduin von Luxemburg, Erzbischof von Trier – Kurfürst des Reiches 1285–1354. Festschrift aus Anlaß des 700. Geburtstages, hrsg. v. Franz-Josef Heyen / Johannes Mötsch, Mainz 1985, S. 55–88; Georg Friedrich Böhn, Der territoriale Ausgriff Balduins von Trier in den pfälzischen Raum, in: ebd., S. 403–412.

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