S. Norwood: Antisemitism and the American Far Left

Titel
Antisemitism and the American Far Left.


Autor(en)
Norwood, Stephen H.
Erschienen
Cambridge, MA 2013: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 71,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sina Arnold, Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Seit mehreren Jahrzehnten werden die USA von der historischen Antisemitismusforschung vernachlässigt. Zwar importierten die protestantischen Siedler/innen durchaus antijüdische Vorurteile in die Neue Welt. Zur Zeit der großen Einwanderungswellen aus Ost- und Südeuropa um die Wende zum 20. Jahrhundert verdichteten sich diese zu einer weit verbreiteten antisemitischen Weltsicht, die in den 1930er- und 1940er-Jahren ihren Höhepunkt fand. Sie führte zu systematischen Ausschlüssen von Juden und Jüdinnen aus Berufszweigen und Colleges wie auch zu erheblicher Alltagsdiskriminierung. All diese Phasen haben in der amerikanischen Geschichtswissenschaft Beachtung gefunden. Doch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfuhren amerikanische Juden und Jüdinnen einen sozioökonomischen Aufstieg, der mit Anerkennung in der Mehrheitsgesellschaft einherging und den Forschungsgegenstand in den Hintergrund treten ließ. Aktuelle Arbeiten fokussieren zumeist den „Neuen Antisemitismus“ seit Anfang des 21. Jahrhunderts, der einen globalen Wandel der Kontexte und Argumentationsfiguren antisemitischer Diskurse beschreibt. Demnach sei unter anderem der Nahostkonflikt zum zentralen Bezugspunkt geworden und Kritik an Israel würde zunehmend antisemitische Formen annehmen. Somit rückt nicht nur die arabische Welt, sondern auch die antizionistische Linke in den Fokus der Antisemitismusforschung. Während aktuelle Arbeiten zu „Neuem Antisemitismus“ aus dem US-amerikanischen Kontext oft stark populärwissenschaftlich geprägt sind 1, stammen die meisten historischen wie aktuellen Forschungen zum Themenkomplex „Antisemitismus von links“ aus dem deutschsprachigen Raum.

Eine seriöse historische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der US-Linken zu Antisemitismus findet sich in nur wenigen Arbeiten. Darunter fallen Arthur Liebmans Standardwerk „Jews and the Left“ 2 ebenso wie Debatten um Antisemitismus bei den „Populists“, einer sozialreformerischen Bewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert, die in den 1950er-Jahren für Kontroversen unter amerikanischen Historikern sorgte. Vereinzelte Analysen antijüdischer Vorurteile in der Ersten und Zweiten Frauenbewegung ergänzen die lückenhafte Forschungslandschaft. Vor dem Hintergrund dieser Leerstelle ist das Buch von Stephen H. Norwood, Professor für Geschichte und Jüdische Studien an der University of Oklahoma, bedeutsam. Es arbeitet erstmals das Verhältnis der amerikanischen radikalen Linken zum Antisemitismus von den 1920er-Jahren bis zur Gegenwart systematisch heraus. Die verwendeten Primärdokumente sind Zeitschriften, Zeitungen, Flugblätter und andere Publikationen der jeweils einflussreichsten linksradikalen Parteien und Organisationen.

Ausgangspunkt von Norwoods Analysen ist die „New Left“ der 1960er- und 1970er-Jahre. Diese zeichnete sich besonders seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 durch einen militanten Antizionismus und eine hohe Toleranz gegenüber antisemitischen Positionen aus. Letztere wurden nicht zuletzt durch die schwarze Befreiungsbewegung und Gruppen wie die Black Panthers in die Bewegung getragen. Auch die Kooperationen mit arabischen antizionistischen Gruppen in den 1970er-Jahren nährte sie. Der Autor nennt im ersten Kapitel zahlreiche Beispiele, in denen antisemitische Stereotype in Texten, Karikaturen oder Reden aufgerufen wurden. Diese bezogen sich primär auf die Darstellung des Nahostkonfliktes, die von Dämonisierungen Israels sowie Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus gekennzeichnet war. Aber auch innenpolitisch wurden verschwörungstheoretische Bilder von Juden als kapitalistischen Ausbeutern reproduziert.

Norwood zufolge haben diese Bilder ihren Ursprung in der sogenannten „Old Left“, den sozialistischen und kommunistischen Parteien und trotzkistischen Organisationen der 1930er- und 1940er-Jahre. Einer detailreichen Analyse ihrer ideologischen Phasen sind vier der acht Kapitel des Buches gewidmet, ein Schwerpunkt liegt auf der Analyse der politisch einflussreichen „Communist Party of the United States of America“ (CP). Eng an der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und den Direktiven Moskaus orientiert, stellen die Entwicklungen der CP auch einen Spiegel weltweiter partei-kommunistischer Haltungen zu Juden, Antisemitismus und Israel dar.

In den 1920er-Jahren bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges wandte sich die CP gegen die jüdische Einwanderung in Palästina. Den politischen Zionismus setzte sie mit Faschismus und Nazismus gleich und begrüßte 1929 die arabischen antijüdischen Pogrome. Innenpolitisch sprach sie sich gegen jede Form des ethnisch-religiösen Partikularismus, darunter auch des jüdischen, aus.

Mit Beginn der von der Kommunistischen Internationalen 1935 offiziell verabschiedeten Volksfrontpolitik begann die CP allerdings, den Nationalsozialismus in Deutschland wie auch den Antisemitismus in den USA stärker zu thematisieren. Diese Politik setzte auf Geheiß der KPdSU während des im August 1939 beschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts aus. Parteikommunist/innen mobilisierten nun primär gegen die amerikanische Kriegsbeteiligung und setzten westliche Demokratien und den Nationalsozialismus gleich. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 sollte ihre Politik abermals eine starke Kehrtwendung einnehmen: Kommunist/innen gehörten nun zu den entschiedensten Gegnern des nationalsozialistischen Regimes und des amerikanischen Antisemitismus. Noch in den Nachkriegsjahren mobilisierte die CP gegen judenfeindliche Vorfälle und institutionalisierte Diskriminierung oder forderte zum Boykott antisemitischer Filme und Theaterstücke auf. Sie kritisierte auch die in ihren Augen zu tolerante US-Politik gegenüber dem Nachkriegsdeutschland und die Situation in amerikanischen DP-Camps. Der Boykott deutscher Handelsmessen wurde ebenso gefordert wie die Zusammenarbeit mit zionistischen Organisationen nicht gescheut wurde. Erstmals wendete die Bewegung sich von Stalins Diktum, nach dem die Juden keine Nation darstellen würden, ab, und förderte jüdische Kultur in den USA kurzzeitig offensiv. Die CP gründete unter anderem die Zeitschrift „Jewish Life“ und eine „School of Jewish Studies“ in New York City. Kommunist/innen setzen sich für die Aufhebung amerikanischer Einwanderungsbeschränkungen für Juden und Jüdinnen in den USA wie in Palästina ein und forderten ab 1947 sogar explizit die Schaffung eines jüdischen Staates. Während Trotzkist/innen der Staatsgründung unverändert ablehnend gegenüberstanden, begrüßte die CP 1948 den neugeschaffenen Staat Israel enthusiastisch.

Doch mit der veränderten sowjetischen Politik gegenüber Israel änderte auch die CP ab 1949 ihre Positionen und wurde von nun an militant antiisraelisch. Die unbedingte Moskautreue ließ die Partei zu den antisemitischen Schauprozessen gegen Rudolf Slánský und andere Angeklagte in der Tschechoslowakei 1952 ebenso schweigen, wie sie es schon zu jenen unter Stalin in den 1930er-Jahren getan hatte. Erst mit der geheimen Rede von Nikita Chruschtschow beim Parteitag der KPdSU 1956 kam es zu einer Krise der Partei, die nicht nur Massenaustritte und Spaltungen nach sich zog, sondern auch ermöglichte, über sowjetischen Antisemitismus zu sprechen und nuanciertere Positionen zum Nahostkonflikt zuzulassen.

Der Verfasser hat eine beeindruckende Fülle an Material zusammengetragen und stellt die damaligen Debatten detailliert dar. Seine Sammlung veranschaulicht die Auswirkungen der marxistisch-leninistischen Weltsicht auf Positionierungen zu Antisemitismus: die universalistische Abwehr von Partikularidentitäten, die die phasenweise Unterdrückung jüdischer Kultur nach sich zog; der manichäische Antiimperialismus, der den Nahostkonflikt ausschließlich binär interpretierte und in einer Dämonisierung Israels mündete; das Verständnis von Antisemitismus als „von oben“ indoktrinierte Ideologie zur Spaltung der Arbeiterklasse, dem am Besten durch den Klassenkampf beizukommen ist. Eine verkürzte Kapitalismuskritik ließ stellenweise jüdische Geschäftsleute für die Verarmung schwarzer Stadtteile verantwortlich erscheinen und die Analyse des Nationalsozialismus entlang des Dimitroffschen Faschismusverständnisses führte zur Ausblendung des zentralen Stellenwerts des Antisemitismus.

Die quantitative Fülle des Buches ist allerdings zuweilen von einem Hang ins Deskriptive gekennzeichnet: So wird nicht klar, mit was für einem Antisemitismusbegriff der Autor arbeitet und welchen Stellenwert die beschriebenen Aussagen in den jeweiligen linken Weltbildern hatten. Norwood führt die Ursprünge des „Antisemitismus von links“ stattdessen quasi linear auf Karl Marx Text „Zur Judenfrage“ zurück, welchen Autoren wie Thomas Haury 3 hingegen in detaillierten Analysen historisch eingebettet und als Quelle eines genuin „linken Antisemitismus“ überzeugend verworfen haben.

Diese verkürzte Ursachenanalyse wird besonders deutlich in Norwoods abschließendem Kapitel zu linken Bewegungen von 1973 bis zur Gegenwart. Der Autor arbeitet die Bedeutung der Universitäten als gegenwärtigen Schauplatz pro-palästinensischer studentischer Aktivitäten heraus und beschreibt eine weit verbreitete und unbedingte Israelfeindschaft in der Linken. Er räumt zwar ein, dass die aktuelle Linke durch netzwerkartige Organisationsformen und theoretischen Pluralismus gekennzeichnet ist, bezieht sich dann aber lediglich auf marxistische Traditionslinien. Damit entgeht ihm, dass die heutige radikale US-Linke stärker von (neo)anarchistischen und poststrukturalistischen Traditionen geprägt ist und entsprechend andere Quellen zur weiterhin existenten Trivialisierung und Tolerierung von Antisemitismus beitragen: etwa Kulturrelativismus, der arabischen Antisemitismus verharmlost oder eine verkürzte Anwendung der „Critical Whiteness“-Studien, die aschkenasische Juden ausschließlich als „privilegiert“ wahrnimmt.

Norwoods enge Definition der neueren Linken führt leider auch zum Ausblenden von Bruchstellen wie den lebhaften Diskussionen, die jüdische Feministinnen in den 1980er-Jahren offensiv in der Frauenbewegung einforderten. Auch für die „New Left“ räumt Norwood den Kontroversen um Antisemitismus keinen Platz ein. Antizionistische Positionen mögen zwar dominant gewesen sein, doch blieben diese nicht immer unwidersprochen.4 So entsteht mitunter das Bild einer bruchlosen ideologischen Kontinuität eines originär linken Judenhasses, der lediglich von strategisch motivierten Pausen durchsetzt war. Der kommunistische Antizionismus ist für den Autor lediglich verschleierter Antisemitismus, doch ist seine Beweisführung nicht sauber. Das aber ist fatal angesichts der Tatsache, dass dieses historische Buch auch einen Beitrag zu einer gegenwartspolitisch hart umkämpften Debatte liefert, nämlich den Trennlinien zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik an israelischer Politik wie auch der spezifischen Rolle der Linken.

Norwoods Dokumentation stellt ein detailreiches und nützliches Werkzeug für das Verständnis eines unterbeleuchteten Aspekts des US-amerikanischen Antisemitismus wie auch für die international vergleichende Arbeit zu Antisemitismus „von links“ dar. Es sollte mit kritischem Auge gelesen werden.

Anmerkungen:
1 Phyllis Chesler, The New Anti-Semitism: The Current Crisis and What We Must Do about It, San Francisco 2003; Abraham Foxman, Never Again? The Threat of the New Anti-Semitism, New York 2003.
2 Arthur Liebman, Jews and the Left, New York 1979.
3 Thomas Haury, Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002.
4 Jack Nusan Porter / Peter Dreier (Hrsg.), Jewish Radicalism. A Selected Anthology, New York 1973.

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