J. Dybiec: Polska w orbicie wielkich idei

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Titel
Polska w orbicie wielkich idei. Polskie przekłady obcojęzycznego piśmiennictwa 1795–1918, Tom 1 [Im Orbit großer Ideen. Polnische Übersetzungen des fremdsprachigen Schrifttums 1795–1918, Teil 1]


Autor(en)
Dybiec, Julian
Reihe
Monografie z Dziejóv Nauki i Techniki, Instytut Historii Nauki
Anzahl Seiten
412 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Surman, Herder-Institut Marburg

Der polnische Nestor der Krakauer Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Julian Dybiec, setzt sich bereits seit Jahrzehnten mit Fragen der Übersetzung- und Rezeptionsforschung auseinander.1 Sein neuestes Buch widmet er der Problematik der Übersetzungen ins Polnische in der Periode 1795–1918, also einem Zeitraum, in dem polnisch-sprachige Literatur aufgrund der Teilung des Landes in drei zentraleuropäischen Imperien erschien. Der Großteil des hier anzuzeigenden Bandes einer auf Fortsetzung angelegten Reihe behandelt wissenschaftliche Literatur, kleinere Teile betreffen religiöses Schrifttum sowie schöngeistige Literatur.

Wenn Dybiec vor allem die Frage interessiert, was übersetzt wurde, so beginnt er in erster Linie mit der Funktion der Übersetzungen und deren Rolle bei der Erhaltung und Erweiterung des Wissens in polnischer Sprache. Seines Erachtens war es vor allem die politische Situation, die dem übersetzten Buch eine primäre Funktion als „Ersatz für die fehlenden Forscher und die Disziplinen, die in den polnischen Gebieten nicht behandelt wurden“ (S. 13), gegeben hat. Dennoch war die Bedeutung des Übersetzens nicht immer unkritisch akzeptiert worden: auch wenn im 19. Jahrhundert die Mehrheit der Autoren meinte, durch translatorische Tätigkeiten kämen die Polen der „westlichen Zivilisation“ näher, so beklagten andere, dass dadurch wiederum die innere Produktivität geschwächt würde (S. 7f.). Für Dybiec aber lag die Rolle der Übersetzungen vor allem in der Zugänglichmachung neuen Wissens, auch wenn er anmerkt, dass zum Beispiel bei Spezialpublikationen nicht wirklich eine Übersetzungsnotwendigkeit bestand, da die polnischen Forscher meist mehrsprachig waren.

Wie Dybiec zeigt, war die Übersetzungstätigkeit beträchtlich – seine Berechnungen kommen auf 3849 wissenschaftliche, 4484 literarische und 1793 religiöse Übersetzungen; in einigen Jahrzehnten waren die wissenschaftlichen Bücher (darunter werden auch populärwissenschaftliche Publikationen und Lehrbücher gefasst) sogar die am zahlreichsten übersetzen Schriften (S. 26f.). Veröffentlicht wurden die Übersetzungen vor allem in Warschau (5600), Krakau (2000) und Lemberg (900) – die beiden letztgenannten Städte haben vor allem im späteren 19. Jahrhundert die Führungsrolle übernommen (S. 60f.). Behandelt werden auch kurz die Übersetzer, die sich vornehmlich aus den höher gebildeten Schichten rekrutierten (S. 33). Wie bei Serien-Publikationen fällt eine weitgehende Spezialisierung auf einzelne Wissensgebiete auf, die mit der Ausbildung des jeweiligen Übersetzers sowie seiner Profession zusammenfallen (S. 34).

Wie Dybiec ausführt, waren die Übersetzungen keine bloßen Übertragungen, sondern oft mit Ergänzungen verbunden oder stellten umgekehrt längere Zusammenfassungen dar, namentlich wenn sich die Bücher an ein breiteres Publikum wandten. Vorwiegend in den Wissenschaften wurden Korrekturen und Aktualisierungen sogar von Rezensenten verlangt – diese konnten von Ergänzungen zur polnischen Geschichte oder Geographie in historischen Publikationen bis zu Hinzufügungen neuer Erkenntnisse in Physik oder Mathematik reichen (S. 45ff.). Oft haben die Übersetzungen auch neue Terminologien eingeführt oder popularisiert, was vielfach Konsultationen mit Experten voraussetzte (S. 47f.). Keine Überraschung kommt auf, wenn Dybiec die Sprachen der Originale analysiert (S. 19–25): in den Wissenschaften dominierte Deutsch, auch wenn in politischer Ökonomie und Pädagogik viel aus der Französischen Sprache übersetzte wurde. In der Literatur dagegen war Deutsch an dritter Stelle, nach Französisch und Englisch. Religiöse Werke waren ebenfalls mehrheitlich aus dem Französischen übersetzt worden, mit Deutsch und Latein auf den nachfolgenden Plätzen.

Im weiteren Verlauf des Buches bespricht Dybiec detailliert einzelne Gebiete, wobei die Wissenschaft ein deutliches Übergewicht hat (S. 68–255). Die Übersetzungen ordnet er nach Disziplinen, deren Bedeutung er vor dem Hintergrund neuerer wissenschaftlicher Tendenzen erläutert. Auf der Grundlage von Übersetzungen einzelner Verfasser und Ausgaben versucht Dybiec dabei die Popularität spezieller Autoren im polnischsprachigen Publikum anzudeuten, was allerdings angesichts fehlender Auflagezahlen nur eine Annäherung sein kann. Nicht allein akademische Wissenschaften werden dabei berücksichtigt. Große Bedeutung in der gesamten Periode kam Publikationen aus den Bereichen Landwirtschaft und Tierarzneikunde zu (S. 102 u. 227f.); die Zahl der übersetzten Technik- bzw. Technologie-Titel stieg erst nach 1890 an (S. 107). Für alle drei analysierten Literatursorten bemerkt Dybiec, dass mehrheitlich jeweils ein Buch von einem/r Autor/in übersetzt wurde, was seines Erachtens auf wenig Koordinationsarbeit in der translatorischen Tätigkeit deutet.

Die minutiöse Auswertung fördert auch einige Überraschungen zutage. Unter den deutschen Literaten war mit Christian Schmid ein Pater und Jugendbuchautor der meistübersetzte Autor (S. 289ff.). Obgleich Johann Friedrich Herbart großen Einfluss auf das Bildungssystem seit 1848 hatte, wurden dessen pädagogische Schriften erst nach 1900 übersetzt, als sie bereits „nur noch einen historischen Wert hatten“ (S. 156). Als signifikant muss auffallen, dass russischsprachige Autor/innen nur bei der Historiographie zahlreicher vertreten waren (S. 125f.). Bei literarischen Werken gab es in über 100 Fällen je nur eine Übersetzung (S. 309). Trotz Slawophilie wurden auch andere slawischen Autor/innen bis auf die allgemein anerkannten Schriftsteller/innen selten übersetzt. In den Wissenschaften fehlten sie nahezu ganz (S. 309ff.). Obwohl dieses Phänomen durch Sprachkenntnisse und teilweise gegenseitige Verständlichkeit der Sprachen erklärbar ist, bleibt der nach Westen gerichtete Blick der wissenschaftlichen Übersetzer unverkennbar.

Dass der Leser solche Interpretationen selbst herausfinden muss, ist ein großes Manko des Buches. Bis auf die Einleitung handelt es sich eigentlich um eine kommentierte Bibliographie, ohne erkennbare Fragestellungen und Analysen. Kaum angesprochen bleibt beispielsweise, wie Übersetzungen für die Untermauerung eigener ideologischer Positionen eingesetzt wurden. Solche Einflüsse werden nur kursorisch angemerkt. Durch die Kategorie „Deutsch“ statt der Zuordnung der Autor/innen zur jeweiligen Teilungsmacht, wie auch durch die Vernachlässigung der Erscheinungsorte der Translate werden der Staat bzw. das Imperium als wichtiger Einflussfaktor ausradiert – Ausnahme sind die Lehrbücher, da sie mit dem jeweiligen Edukationssystem verbunden waren (S. 201–19).

Die Lesbarkeit des Textes wird durch das Ergebnis einer äußerst mangelhafte Redaktionsarbeit beträchtlich vermindert; zahlreiche Druckfehler, unterschiedliche Schreibweisen der Autorennamen und Originaltitel (mal polnisch, mal in der Ausgangssprache) erschweren die Orientation im Buch. Dennoch hat Dybiec eine wertvolle Übersicht vorgelegt, die für weitere translationssoziologische Bearbeitungen geeignet sind. Auf dem Feld der wissenschaftlichen Übersetzungen handelt es sich um eine Pionierarbeit, die, so der Autor selbst, gleichwohl eher Fragen für künftige Projekte aufwerfen soll als diese vollständig zu beantworten. Spannend wird die Lektüre gerade bei den nur angedeuteten Fragen, etwa nach der Bewertung der Rolle der Übersetzungen bei den polnischen Intellektuellen, oder nach den Diskussionen, was eine „gute“ Übersetzung ausmacht(e).

Anmerkung:
1 Julian Dybiec, Recepcja idei pedagogicznych w Polsce [Rezeption pädagogischer Ideen in Polen], in: Adam Strzałkowski (Hrsg.), Recepcja w Polsce nowych kierunków i teorii naukowych [Rezeption neuer wissenschaftlicher Richtungen und Theorien in Polen], Kraków 2001, S. 195–202; ders., Polonais en voyages d'études et d'éducation en Grande Bretagne de 1795 ŕ 1918, in: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego. Prace Historyczne 88 (1989), S. 313–327.

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