F. Schorkopf u.a. (Hrsg.): Gestaltung der Freiheit

Cover
Titel
Gestaltung der Freiheit. Regulierung von Wirtschaft zwischen historischer Prägung und Normierung


Herausgeber
Schorkopf, Frank; Schmoeckel, Mathias; Schulz, Günther; Ritschl, Albrecht
Reihe
Rechtsordnung und Wirtschaftsgeschichte 6
Erschienen
Tübingen 2013: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XIII, 301 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerold Ambrosius, Fachbereich 1, Universität Siegen

Der Titel des Bandes kann als Programm verstanden werden. Durch Regulierung soll im Verständnis der Herausgeber der Übergang von monopolistischen in wettbewerbliche, und damit wohl „freiheitliche“, Märkte ermöglicht werden. Im Vordergrund stehen die Infrastrukturen. In verschiedenen Sektionen werden unter rechtshistorischer, wirtschaftsgeschichtlicher und öffentlich-rechtlicher Perspektive verschiedene Formen der Regulierung aufgegriffen und in einem Dutzend Beiträge – einschließlich der ausführlichen Kommentare – behandelt. Unter rechtshistorischer Perspektive geht es um die Reform der Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor im 19. Jahrhundert sowie um die Dienstgüte- und Preisdiversifikation im Fernmeldewesen im 19. und 20. Jahrhundert; die Anmerkungen zu diesen Beiträgen beschäftigen sich mit „Preisregelung und Preisregulierung zwischen Gerechtigkeit und Effizienz“. In den beiden wirtschaftshistorischen Sektionen werden die Herausbildung „hybrider“ Regulierungsregime im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, der Staat als Unternehmer im Hinblick auf das industrielle Bundesvermögen nach 1945 und die Entwicklung der Bankenregulierung in den USA und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt; im Kommentar wird auf das historische Verhältnis von öffentlichen Betrieben und Bankenregulierung eingegangen. In der Sektion, die sich mit der öffentlich-rechtlichen Perspektive beschäftigt, geht es um die Neuordnung der europäischen Finanzmarktaufsicht und um einen „Werkstattbericht“ zum Regulierungsrecht der elektronischen Kommunikation.

Die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität. Sie sind mehr oder weniger „wissenschaftlich“ angelegt. Sie argumentieren historisch, juristisch und ökonomisch. Sie beschäftigen sich mit geschichtlichen Entwicklungen und aktuell-systematischen Perspektiven. Sie bieten Neues und/oder Bekanntes. Sie behandeln verschiedene Branchen. Insofern ist ein roter Faden in disziplinärer und in methodischer Hinsicht nur bedingt zu erkennen. Auch inhaltlich halten sich die Gemeinsamkeiten in Grenzen, weil Regulierung unterschiedlich definiert wird. Dies ist nicht als Kritik zu verstehen, sondern spiegelt lediglich die Tatsache wider, dass Regulierung ein ausgesprochen vielschichtiges Phänomen ist, das multi- oder sogar interdisziplinär bearbeitet werden kann und muss.

Wahrscheinlich gelingt es nur wenigen Sammelbänden zur Regulierung – zumal, wenn die Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen stammen –, die verschiedenen Autoren auf einen gemeinsamen, präzise definierten Begriff von Regulierung festzulegen. Auch in diesem Band reicht die Spannbreite von Steuerung ganz allgemein bis zur hoheitlichen Einführung und Sicherung von Wettbewerb auf ehemals monopolistischen Märkten. Das ist unbefriedigend, weil der Begriff damit zu einer Leerformel ohne analytische Schärfe wird, aber wohl nicht zu ändern. Eine Klammer, die die verschiedenen Beiträge zusammenhält, ist denn auch nur schwer auszumachen. Vielleicht besteht sie zum einen in dem konfliktreichen Verhältnis von Wettbewerb und Gemeinwohl, das zumindest implizit in einigen Beiträgen angesprochen wird. Wenn man Regulierung mit öffentlicher Steuerung in Verbindung bringt, so wird ja reguliert, weil normativ ein Marktversagen konstatiert worden ist. Die freien Märkte sind nicht in der Lage, ein gesellschaftlich gewünschtes Angebot an Gütern und Diensten bereitzustellen. Es stellt sich also die Frage, wie viel Wettbewerb zugelassen werden soll und wie viel Regulierung notwendig ist, um ein solches Angebot zu sichern. Die Aufsätze vermitteln einen Eindruck davon, wie schwierig dies ist. Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart ging bzw. geht es ja sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene um Verhaltensregulierung und nicht – wie im US-amerikanischen Ansatz – um Strukturregulierung.

Zum weiteren könnte man eine Klammer in dem damit auf das Engste verbundenen Verhältnis von Regulierung und Freiheit erkennen. Die Herausgeber stellen zwar fest, dass der Titel des Bandes „Gestaltung der Freiheit“ von keinem Beteiligten kritisch aufgegriffen worden sei, was allerdings nicht ganz richtig ist. Zumindest implizit schwingt dieser Aspekt in einer Reihe von Beiträgen mit, ohne allerdings differenzierter auf die damit zusammenhängenden Probleme einzugehen. Den Herausgebern ist jedenfalls die Doppeldeutigkeit ihres Titels bewusst und sie stellen die rhetorische Frage, ob Freiheit nicht gerade voraussetzt, dass keine Gestaltung (Regulierung) „von außen“ vorgenommen wird. In dieser Formulierung drückt sich das urliberale Verständnis aus, dass Märkte eben nicht gesellschaftlich verfasst sind, sondern außerhalb der politisch-gesellschaftlichen Sphäre ihrer eigenen wirtschaftlichen Rationalität folgen. Für Neoliberale – hier nicht als Schimpfwort zur Diffamierung des politischen Gegners verstanden – kann es allerdings nur eine Antwort geben: Wirtschaftliche Freiheit setzt einen stabilen, bewusst gestalteten Ordnungsrahmen voraus, weil sie sich ansonsten selbst aufhebt. Aus neoliberaler Sicht kann der Titel des Bandes daher nur in dem Sinne verstanden werden, dass erst Regulierung wirtschaftliche Freiheit schafft.

Eine dritte Klammer könnte das Verhältnis von Regulierung und Effizienz sein, auf das einige Beiträge eingehen. Auch hier bleiben die Ausführungen vage, müssen es wahrscheinlich auch bleiben, weil die Dinge einfach zu komplex sind. Die Probleme beginnen mit der Frage, was eigentlich mit Effizienz gemeint ist – Produktivität, Effektivität, Ressourceneffizienz, Kosteneffizienz etc. –, und enden damit, wie sie durch Regulierung beeinflusst wird. Gerade weil die Dinge so kompliziert sind, besteht die Gefahr, die Perspektive auf die einzelwirtschaftliche Effizienz zu verkürzen. Schon bei ihr ist es ausgesprochen schwierig, die Auswirkungen von hoheitlicher (?) Regulierung auf unternehmerische Effizienz zu messen und nicht in vagen Vermutungen stehen zu bleiben. Wahrscheinlich dürften historische Forschungen schon hier scheitern. Noch schwieriger, wenn nicht gar unmöglich ist die Messung der Auswirkungen von Regulierung auf die gesamtwirtschaftliche Effizienz, um die es ja eigentlich geht. Inwieweit fördert oder behindert Regulierung, mit der mehr „Gemeinwohl“ und mehr „Gerechtigkeit“ erzeugt werden soll, ihre Entwicklung? Wenn man daran denkt, dass sich einzel- und gesamtwirtschaftliche Effizienz ganz unterschiedlich darstellen können, dass nicht selten zumindest ein Spannungsverhältnis, wenn nicht gar ein Widerspruch besteht, muss die Frage nach den Folgen der Regulierung mehr oder weniger offen bleiben. Selbst die auch in diesem Band wie selbstverständlich unterstellte Annahme, dass regulierte Wettbewerbsmärkte (kosten-)effizienter sind als öffentliche Monopolunternehmen, muss letztlich hinterfragt werden.

Insgesamt bleiben zum schwierigen Verhältnis von Wettbewerb, Regulierung, Effizienz und Gemeinwohl mehr Fragen als Antworten. Die in diesem Band zusammengeführten Aufsätze tragen aber ohne Zweifel dazu bei, einige der vornehmlich mit öffentlicher Regulierung verbundenen Probleme aufzuzeigen, spezifische Zusammenhänge zu systematisieren und in ihrem historischen Kontext zu analysieren.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch