Cover
Titel
Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895–1961)


Autor(en)
Keßler, Mario
Reihe
Zeithistorische Studien 51
Erschienen
Anzahl Seiten
759 S.
Preis
€ 59.90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Eumann, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Eine der umstrittensten Figuren der Linken in der Weimarer Republik war gewiss Ruth Fischer, die am 27. Juli 1896 als Tochter des Wiener Philosophen Rudolf Eisler in Leipzig geboren wurde. Zu besonderer Prominenz kam sie in zwei sehr unterschiedlichen Lebensabschnitten: 1921 bis 1925 als führende Politikerin und zuletzt Parteichefin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und ab Ende der 1940er-Jahre als rabiate und skrupellose Antikommunistin, die vor dem Komitee des Repräsentantenhauses über unamerikanische Aktivitäten (HUAC) weitreichende Aussagen machte, einschließlich der Denunziation ihrer Brüder Hanns und Gerhart Eisler.

Den großen Rest ihres 65-jährigen Lebens verbrachte sie dann recht unspektakulär als Sozialarbeiterin und Autorin. Mario Keßler, Professor am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, der sich den Großteil seines akademischen Lebens an der Geschichte des Kommunismus abgearbeitet und zuletzt mehrere einschlägige biografische Beiträge beigesteuert hat, war offenbar dennoch so fasziniert von der schillernden „Kommunistin und Antikommunistin“ Fischer, dass er ihrem „dramatische[n] Leben“ (S. 7) sehr viel Arbeit und eine umfassende Lebensbeschreibung gewidmet hat.

Wie bei jeder guten Biografie werden auch hier die Leser umfassend und kompetent über die wichtigsten Phasen des Lebenswegs der porträtierten Person informiert, die im Folgenden knapp zusammengefasst seien. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, im Wintersemester 1914/15, begann die damalige Elfriede Maria Friedländer ihr Studium in Wien. Da sie dem Krieg kritisch gegenüberstand, trat sie bald der österreichischen Sozialdemokratie bei. Im November 1918 wurde sie Mitbegründerin der österreichischen KP. 1919 ging sie ohne Studienabschluss nach Deutschland, wo sie im Frauensekretariat der KPD eine Beschäftigung fand. 1919 lernte sie in Berlin den ukrainisch-deutschen Kommunisten Arkadij Maslow kennen. Es war „Liebe auf den ersten Blick“ (S. 80) und er wurde der wichtigste Mann in ihrem Leben. Im gleichen Jahr begann Friedländers Aufstieg in der Berliner Parteiorganisation der KPD. Anfang 1921 wurde „Ruth Fischer“, wie sie sich von nun an nannte, Mitglied der Bezirksleitung Berlin-Brandenburg, Ende November 1921 war sie schon deren Vorsitzende.

Nach der gescheiterten Revolution vom Oktober 1923 gelangte Ruth Fischer als Kandidatin des Chefs der Kommunistischen Internationale (KI), Grigorij Zinov'ev, mitsamt ihrer linksradikalen Gruppe 1924 an die Spitze der KPD. Zwar hatte, wie Keßler ganz richtig unterstreicht, „die revolutionäre Bewegung in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht und auch schon überschritten“, aber das hielt Fischer nicht davon ab, mit allen innerparteilichen Machtmitteln zu versuchen, gegen die politisch-soziale Wirklichkeit recht zu behalten. Die erste Frau an der Spitze einer europäischen Massenpartei drängte mit Intoleranz und unnachgiebiger Härte die hochrangigen Gegner ihres Kurses aus der Partei. „Ihr Schwarz-Weiss-Denken [sic!] und ihr Hang, Andersdenkende innerhalb der eigenen Reihen zu maßregeln und zu disziplinieren, trugen in ihrer übersteigerten Diktion durchaus ihre eigene, im negativen Sinne unverwechselbare Handschrift.“ (S. 203) Mit der von ihr durchgeführten „Bolschewisierung“ der Partei, leistete Fischer einen wichtigen Beitrag zur weiteren Unterordnung der deutschen Sektion der Kommunistischen Internationale unter die Befehlsgewalt der sowjetischen KPdSU. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht begann der rapide Fall. Der Aufstieg Stalins in der Auseinandersetzung mit den anderen Lenin-Erben und vor allem der Schwenk der KI hin zu einer pragmatischeren Politik war mit den Überzeugungen Fischers nicht vereinbar. Ende 1925 wurde sie nach Moskau beordert, während die neue KPD-Führung unter Ernst Thälmann ihre Anhänger von den Schaltstellen entfernte. Mitte 1926 war sie zurück in Berlin, um dort ihren Parteiausschluss zu erleben. Der von Fischer 1927 mitbegründete Leninbund konnte keinen Einfluss mehr auf die KPD nehmen, so dass sie sich fortan mehr auf ihren Beruf als Kinderfürsorgerin im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg konzentrierte.

Über Prag gelangten Fischer und Maslow 1933 nach Paris, wo sie 1935 naturalisiert wurde. Von dort aus flohen sie 1941 über Lissabon in die USA, in die aber nur Fischer einreisen durfte. Maslow starb dagegen 1941 auf Kuba – aus Fischers Sicht war er von stalinistischen Agenten ermordet worden. Ihr Antistalinismus wurde dadurch laut Keßler zum hasserfüllten und fanatischen Antikommunismus, der selbst vor der Denunziation ihrer Brüder vor dem HUAC und der bewussten Erfindung von Lügen über die kommunistische Gefahr in den USA nicht halt machte. Dank einer Reihe von Forschungsstipendien der Harvard University, konnte sie ihren Lebensunterhalt auf recht angenehme Weise finanzieren. 1948 erschien auf dem Höhepunkt der McCarthy-Ära ihre antikommunistische Selbstrechtfertigungsschrift „Stalin and German Communism“. Mitte der 1950er-Jahre rückte Fischer aber „von ihrer manichäischen Denkweise“ ab (S. 525), wozu auch die überraschenden Offenbarungen des XX. Parteitags der KPdSU beitrugen. Zu dieser Zeit lebte sie wieder in Paris, wo sie am 13. März 1961 verstarb.

Diese sehr akribisch erforschte und gut lesbare Nacherzählung der Lebensgeschichte Ruth Fischers, die in dem Band fast 620 Seiten in Anspruch nimmt, hätte man problemlos auf 500 Seiten reduzieren können1 Die Faszination der Protagonistin, die den Autor zu solch Ausführlichkeit motiviert hat, hat sich dem Rezensenten während der Lektüre leider nicht erschlossen. Mario Keßler verlässt einige Male den Hauptstrom der Erzählung und erkundet die Hintergründe bestimmter Entwicklungen oder verfolgt Seitenzweige von bestimmten Lebensabschnitten. Mitunter fällt seitenlang der Name der Protagonistin nicht. Die Marke von Maslows Klavier und Fischers Motorrad oder der Name des chinesischen KP-Chefs, der anonym Ehrenpräsident des KPD-Parteitags von 1927 war, zählen gewiss nicht zu den unverzichtbaren Informationen. An einer besonders wichtigen Stelle wird dagegen leider auf eine eingehende Analyse der Hintergründe verzichtet. Über die Umstände von Ruth Fischers zweitem Aufstieg zur Prominenz in den 1940er-Jahren erfahren wir nicht viel. Die Hintermänner der Harvard-Stipendien für die Forschungstätigkeit einer abgebrochenen Studentin auf dem Höhepunkt der zweiten „Red Scare“ in den USA und ihre Interessen bleiben leider im Dunkeln.

Grundsätzlich schwierig finde ich persönlich das Wissenschaftsverständnis, das in diesem Buch zum Ausdruck kommt, was natürlich auch dem Genre zu schulden ist. Ob die Liebe auf den ersten oder zweiten Blick erfolgte, ist herzlich irrelevant. Natürlich war Fischer aus Sicht vieler Zeitgenossen eine höchst kontroverse Persönlichkeit. Die kritische Würdigung ihres Verhaltens gehört folglich in eine wissenschaftliche Biografie, nicht notwendigerweise aber Bewertungen wie die folgende: „Ruth Fischer hatte die Grenze des Entschuldbaren längst überschritten.“ (S. 451).

Charakteristisch für diese Art eher populärwissenschaftlicher Biographik ist leider auch der grundsätzliche Verzicht auf den Versuch einer Erklärung von Fischers Wendungen. Keßler zeigt keinerlei Interesse daran, die Motive für die Wege und Irrwege seiner Protagonistin zu untersuchen. Man muss sich als Biograf natürlich vor ausschweifenden psychologischen Spekulationen hüten, aber man könnte doch zumindest ein paar Thesen wagen. Was Fischers Rolle in der McCarthy-Ära betrifft, wird ihr Gefühlshaushalt – die Schuldzuweisung für Maslows Tod – eine wichtige Rolle gespielt haben. Darauf verweist Keßler auch mehrfach. Unter Umständen waren jedoch auch ganz andere Motive im Spiel, so etwa der Wunsch erneut eine prominente öffentliche Rolle zu spielen. Die Richtungswechsel und Exzesse einer Ruth Fischer verlangen doch nach wissenschaftlicher Durchdringung. Keßler greift dann lieber auf ein besonders ausdrucksstarkes Zitat eines Zeitzeugen zurück, wie des Hans-Eisler-Freunds Charlie Chaplin, der den Umgang der Geschwister mit Verwandtschaftsverhältnissen in Shakespeares Dramen verglich (S. 448).

Was bleibt von dem Menschen mit seinen Emotionen, Widersprüchen, Zweifeln in einem stilisierten Narrativ wie einer klassischen Biografie? Die eigene Lebenserfahrung zeigt einem täglich, wie wenig rational Menschen denken und wie wenig gradlinig sie sich zuweilen verhalten. Die neue Gehirnforschung lässt uns ahnen, wie wenig wir über unsere eigenen Motive und Intentionen wissen. Von der derzeit florierenden Forschung zur Geschichte der Emotionen ist hier ein großer Innovationsschub in Richtung auf eine Biografik des realen Menschen zu erwarten. Will man auf eine möglichst objektive Weise die Motive und Intentionen von Menschen ergründen, reicht es sicherlich nicht aus, ihre eigenen Selbstinterpretationen und Rechtfertigungsschriften zu konsultieren.

Anmerkung:
1 Auf die Lebensbeschreibung folgt ein Anhang, der neben den üblichen Apparaten und Indizes die vom Autor übersetzte Aussage Fischer vor dem HUAC am 6. Februar 1947 (20 S.) und eine 13-seitige Zeittafel ihres Lebens umfasst.

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