Cover
Titel
Strange Rebels. 1979 and the Birth of the 21st Century


Autor(en)
Caryl, Christian
Erschienen
New York 2013: Basic Books
Anzahl Seiten
XV, 407 S.
Preis
€ 22,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Bösch, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der Titel und das Cover des Buches verstehen zu irritieren. Hier treten in fröhlichen Orangetönen die Gesichter von Khomeini, Deng Xiaoping, Johannes Paul II. und die winkende Margret Thatcher dem Leser entgegen – wie Popstars ihren Fans. Hinter ihnen erkennt man mit psychedelischen Ziffern die Zahl „1979“, darunter hochgereckte Hände. Was diese „Strange Rebels“ gemeinsam haben und wieso das Jahr 1979 als „Birth of the 21st Century“ bezeichnet wird, macht neugierig. Obgleich das Buch darauf verzichtet, Forschungsdebatten und Studien zu dieser Dekade auch nur zu nennen, knüpft es mit seinem Titel implizit an die Debatte über die rasanten Veränderungen in den 1970er-Jahren an, die für gewöhnlich mit linken Protestbewegungen verbunden werden. Während amerikanische Studien zu dieser Zeit ansonsten oft die amerikanischen Verhältnisse mit globalhistorischem Anspruch verallgemeinern1, präsentiert Caryl einen Blick auf die Welt, bei dem die USA allenfalls implizit berücksichtigt werden. Statt den „68ern“ oder der oft zitierten Ölkrise von 1973 stehen hier, so verspricht der Titel, die unerwarteten Umbrüche rund um vier „Counterrevolutionaries“ im Vordergrund, die sich 1979 verdichtet abzeichneten und auf die Gegenwart verweisen.2

Der amerikanische Journalist Christian Caryl nimmt fünf Ereignisse aus dem Jahr 1979 als Ausgangspunkt, um die Geschichte fundamentaler Wandlungsprozesse zu erzählen: die Wahl Thatchers, den Papstbesuch in Polen, die Iranische Revolution, Dengs Wirtschaftsreformen und den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Gemeinsam sei diesen, so seine sehr knappen konzeptionellen Bemerkungen im Vorwort, dass sie das Ende der sozialistischen Utopie eingeleitet und stattdessen die „twin forces of markets and religion“ als „great backlash against revolutionary overreach“ befördert hätten, weshalb der Autor seine Protagonisten als Konterrevolutionäre bezeichnet (S. xiii). Dabei orientiert Caryl sich an der biographischen Entwicklung und den Handlungen seiner Hauptpersonen und präsentiert detailreich deren Vordenker. Das Jahr 1979 wird entgegen des Titels nur kurz thematisiert, länger dafür die konfliktreichen Umbruchsituationen in den fünf Ländern während der 1970er-Jahre, nur knapp wiederum die langfristigen Nachwirkungen.

Caryl schöpft viel Kolorit aus seinen Erfahrungen als langgedienter Journalist, der besonders in Osteuropa und Asien arbeitete und somit selbst ein Kind jener Globalisierung ist, über die er schreibt. Gerade in der angelsächsischen Presse wurde das Buch des prominenten Journalisten vielleicht auch deshalb mit einiger Aufmerksamkeit bedacht. Jede der fünf Geschichten ist für sich interessant, selbst wenn er sie nicht anhand eigener Forschungen darstellt, sondern nur auf Basis einiger kompilierter neuerer Publikationen.

Veranschaulicht werden fünf verschiedene Gesellschaften und politische Systeme, die sich alle grundlegend verändern. Verbindungen und Synergie-Effekte der fünf biographischen bzw. regionalen Studien sind jedoch leider kaum zu erkennen. Die einzelnen Stränge erzählt Caryl vielmehr als Fortsetzungsgeschichte mit chronologischen Häppchen, die unverbunden neben- und hintereinander stehen. Dabei hätten sich zahlreiche übergreifende Interpretationen angeboten. Die „Strange Rebels“ waren alle, so hätte man sie gemeinsam interpretieren können, Außenseiter, die gerade durch zur Schau gestellte Kompromissbereitschaft überraschend nach oben kamen und dann zum Teil gegen große Widerstände radikale Veränderungen einleiteten. Vor allem aber führt Caryls biographische und regionale Fixierung dazu, dass er die globalhistorischen Kontexte und Folgen weitgehend ausblendet. Die Iranische Revolution verursachte etwa 1979/80 eine Ölverknappung, die eine erneute weltweite Wirtschaftskrise und einen Inflationsanstieg auslöste, die auch die anderen thematisierten Länder betrafen. Aber solche strukturellen Folgen jenseits des Irans sucht man bei Caryl vergeblich. Und ob Markt und Religion tatsächlich die beiden neuen, miteinander verbundenen Dogmen waren bzw. sind, mag aus US-amerikanischer Perspektive einleuchten, aus deutscher oder gar osteuropäischer Perspektive schon weniger. In China spielte Religion keine Rolle, den Umbruch im Iran und in Afghanistan hingegen wird man sicherlich nicht über Marktmechanismen erklären können.

Indirekt lässt sich aus diesem Buch dennoch ein anderer Blick auf die 1970er-Jahre gewinnen, als wir ihn von den meisten Studien gewohnt sind, die einzelne westliche Länder betrachten. So waren die Umbrüche in der untersuchten Dekade keine „Silent Revolution“3, sondern oft sehr laut, blutig und konfliktreich. Nicht überall dominierte eine Liberalisierung oder gar eine Hinwendung zu „postmateriellen Werten“, sondern vielmehr kamen oft gegenteilige Trends auf. Die Zeitgenossen betonten zwar die Macht von Strukturen und Diskursen; zugleich traten aber mächtige Männer und Frauen nach vorne, die auf neuartige Weise Massen von sich begeistern konnten. Christian Caryls Buch bleibt indes eine Collage, die ähnlich wie das Titelbild konservative Reformer farbig nebeneinanderstellt, ohne jedoch aus dieser Collage einen Mehrwert zu gewinnen.

Anmerkungen:
1 Vgl. aus der jüngeren US-amerikanischen Literatur zu den 1970er-Jahren etwa: Thomas Borstelmann, The 1970s. A New Global History from Civil Rights to Economic Inequality, Princeton 2012 (rezensiert von Georg Schild, 11.04.2012: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-2-030> [27.11.2013]).
2 Vgl. Frank Bösch, Umbrüche in die Gegenwart. Globale Ereignisse und Krisenreaktionen um 1979, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 9 (2012), S. 8–32, URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Boesch-1-2012> (27.11.2013); Jeremy Black, 1979: The Real Year of Revolution – Jeremy Black discusses a turbulent year, in: History Today 59 (2009) H. 5, S. 5; Niall Ferguson, The Revelation of 1989 – Why 1979 was an even bigger year, in: Newsweek, 16.11.2009, S. 32–37.
3 So der klassische Begriff von Ronald Inglehart, The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles among Western Publics, Princeton 1977.