: The Plough that Broke the Steppes. Agriculture and Environment on Russia's Grasslands, 1700–1914. Oxford 2013 : Oxford University Press, ISBN 978-0-199-55643-4 xx, 319 S. £ 65.00

: Heart-Pine Russia. Walking and Writing the Nineteenth-Century Forest. Ithaca, United States 2012 : Cornell University Press, ISBN 978-0-801-45059-4 270 S. $36.50

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Arend, Lehrstuhl für Geschichte Ost- und Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München

Welches sind die Naturräume, in denen die Geschichte Russlands spielt? Zwei Antworten drängen sich auf: zunächst der Wald und später auch die Steppe. In den Mischwäldern um Moskau nahm die russische Staatlichkeit ihren Anfang. Die Expansion dieser Staatlichkeit führte die Russen dann nicht nur in die Taiga-Nadelwälder Sibiriens, sondern auch in die Steppen im Süden und Südosten des Reiches. Es liegt auf der Hand, dass die politische und kulturelle Aneignung dieser russischen Naturräume ein für die neuere Umweltgeschichte zentrales, wenn auch noch wenig erforschtes Thema darstellt.1 Die beiden hier besprochenen Bücher liefern dazu wichtige Beiträge. Dabei verfahren sie insofern arbeitsteilig, als das eine die Steppe, das andere den Wald in den Vordergrund stellt.

David Moon analysiert in „The Plough that Broke the Steppes“ die russische Besiedelung der Steppenregion des Zarenreiches seit dem frühen 18. Jahrhundert als ideen- und umweltgeschichtliches Ereignis. Er betont dabei, dass es sich bei der Kolonisierung der Steppe nicht zuletzt um eine Migration aus einem Naturraum in einen anderen handelte. Die Kolonisten kamen mehrheitlich aus dem europäischen Kernland des Zarenreiches, also aus einer Region mit großen Waldflächen, genügend Wasser und nur wenig fruchtbaren Böden. In der Steppe hingegen fanden sie eine Graslandschaft mit semi-aridem Klima, wiederkehrenden Dürreperioden und äußerst fruchtbaren Böden vor. David Moon fragt nun danach, wie aus der Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des neuen Lebensraums „conceptual and practical innovations for understanding and managing the relationship between the human and non-human worlds” (S. 1) entstanden. Auf diese Weise kann er eine Geschichte der Produktion von praktisch verwertbarem Wissen über die Umwelt erzählen, die auch Episoden des Trial und Error beinhaltet.

Der erste Teil des Buches, betitelt mit „Understanding the Steppe Environment“, handelt von reisenden Schriftstellern und Gelehrten sowie ihren Versuchen, die Eigenheiten des Naturraumes Steppe zu verstehen. Herodot, der im fünften Jahrhundert v.Chr. die Region als „Skythien“ beschrieb, ist der Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung mit Klima, Flora und Fauna der Steppe. Seit dem Mittelalter stieg die Zahl von Berichten, verfasst etwa im 13. Jahrhundert von einem Franziskanermönch auf Mongolenmission (William of Rubruck) oder von dem deutschen Gelehrten und Diplomaten des 17. Jahrhunderts Adam Olearius. Sie alle kamen, so Moon, als „outsiders“ (S. 35) in die Steppe und neigten deshalb zum kontrastiven Vergleich mit den (meist bewaldeten und feuchteren) Naturräumen, aus denen sie stammten: „They focused on what was different.“ (S. 36)

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Steppen des Zarenreiches systematischer und mit Blick auf die Nutzbarkeit der Region erforscht. Auch die Teilnehmer der zu diesem Zweck organisierten Expeditionen beschäftigte die Waldlosigkeit als eines der Merkmale, die den Naturraum Steppe im Vergleich mit dem Kernland des Zarenreiches auszeichnete. Das Fehlen von größeren Waldflächen erschien ihnen rätselhaft und erklärungsbedürftig. Moon zeichnet die sich bis ins späte 19. Jahrhundert hinziehende gelehrte Debatte über die Frage nach, ob die Steppe in früheren Zeitaltern bewaldet war. Erst der Bodenkundler Wassili Dokutschajew setzte in den 1890er-Jahren einen Schlusspunkt unter diese Diskussion, als er nachwies, dass die für die Steppen typischen fruchtbaren Schwarzerdeböden nur unter Bedingungen einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden Waldlosigkeit entstanden sein konnten. Mag Moons Auseinandersetzung mit diesen Debatten auf den ersten Blick so wirken, als räume er einem relativ marginalen Spezialproblem ungebührlich viel Platz ein, so stellt man bald fest: Dies sind hochspannende Diskurse, in denen beispielsweise Vorstellungen von Klimawandel ebenso greifbar werden wie die normative Landschaftsvorstellung russischer Wissenschaftler, dass zu einer „gesunden“ Landschaft Wald gehöre.

Wie Moon ebenfalls zeigt, nahmen schon die ersten Generationen russischer Steppensiedler wahr, dass die Steppe sich – nicht zuletzt unter ihrem Einfluss – veränderte. Das Klima schien über die Jahrzehnte trockener zu werden, die ohnehin seltenen bewaldeten Flächen wurden zunehmend abgeholzt und immer mehr Steppenland kam unter den Pflug. Im zweiten Teil des Buches zeigt Moon, wie Siedler und Wissenschaftler versuchten, den Umweltwandel zu verstehen, den sie zum Teil selbst ausgelöst hatten.

Während die zuvor die Steppe bevölkernden Nomaden für ihre pastorale Wirtschaftsform keinen Holzschlag betreiben mussten, brachten die russischen Siedler einen Lebens-, und insbesondere Bau-Stil mit sich, der die Verfügbarkeit von Holz in größeren Mengen zur Voraussetzung hatte. Dass diese „Russian predilection for timber“ (S. 103) in der Steppe problematisch werden musste, leuchtet ein und wurde von Wissenschaftlern und gebildeten Beobachtern im Laufe des 19. Jahrhunderts auch erkannt. Viele waren überzeugt, dass die Rodungen auch für das scheinbar immer trockener werdende Steppenklima verantwortlich waren. Während diese These vom menschlich induzierten Klimawandel noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschte, argumentierten Vertreter der sich Ende des Jahrhunderts formierenden Disziplin der Meteorologie, dass sich das Klima zyklisch und weitgehend ohne menschliche Einwirkungsmöglichkeit verändere.

Der dritte und letzte Teil des Buches („Combating the Steppe Environment?“) ist der agrarpolitischen und landwirtschaftlichen Praxis gewidmet. Hier zeigt David Moon, wie russische Siedler und Agrarpolitiker in den Steppen versuchten, der Probleme des Holzmangels, der Trockenheit und der Bodenerosion Herr zu werden. Gigantomane, auf die Stalinzeit vorausweisende Pläne zur großflächigen Aufforstung der Steppe gab es ebenso wie die Absicht, dort Bewässerungswirtschaft in großem Stil einzuführen. Laut Moon waren jedoch Nutzen und Realisierbarkeit beider Maßnahmen umstritten, so dass sie letztlich nicht umgesetzt wurden. Größeren Erfolg hätten Eingriffe von geringerer Tragweite wie die kleinflächige Aufforstung zum Schutz vor Erosion und Wanderdünen gehabt.

Eine positive Rolle schreibt Moon den Agronomen und Bodenkundlern zu, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts professionell organisierten. Sie entwickelten und popularisierten innovative landwirtschaftliche Methoden (z.B. neue Fruchtfolgen), die die Vorteile der Steppe für die Landwirtschaft nutzten und zugleich ihre Nachteile abmilderten. Moon erzählt auf diese Weise die Geschichte eines aus ökologischer Sicht positiven Lernprozesses, denn „these methods aimed to work with the environment, rather than combat or struggle against it“ (S. 281). Zugleich ist Moon nicht blind für gegenläufige Tendenzen. Die Auffassung vom „Kampf“ gegen die Steppennatur sei bei Experten und landwirtschaftlichen Praktikern verbreitet geblieben (S. 168).

„The Plough that Broke the Steppes“ ist eine der ersten Monographien, die die Fragen und Methoden der neueren Umweltgeschichte für die Geschichte des Zarenreichs fruchtbar machen. Die Interpretation der Steppenbesiedelung als Prozess der Generierung und Erprobung von Umweltwissen ist überzeugend und eröffnet eine neue Perspektive auf die Geschichte der bäuerlichen Kolonisierung im Zarenreich.2 Kritisch einwenden ließe sich einzig, dass die Darstellung von wissenschaftlichen und intellektuellen Eliten und ihren Positionen überwiegt und eine Perspektive auf die Steppenbesiedelung „von unten“, also durch die Siedler, nicht wirklich zum Tragen kommt. Der Untertitel des Buches – „Agriculture and Environment on Russia’s Grassland“ – lässt den Leser eine Darstellung erwarten, die stärker auch die Sichtweisen und Handlungen der weniger gebildeten Schichten einschließt.

Während Moons Ansatz ein genuin historischer ist, arbeitet Jane T. Costlow in weiten Teilen von „Heart-Pine Russia. Walking and Writing the Nineteenth-Century Forest” literatur- und kunstwissenschaftlich. Das Buch handelt davon, wie russische Intellektuelle (vor allem Schriftsteller, Maler und Wissenschaftler) den Wald zu Fuß erkundeten und über ihn schrieben. Zugleich ist das Buch selbst als Erkundungsgang durch die Wälder Russlands und ihr dichtes Geflecht aus Natur und Kultur konzipiert.

“Heart-Pine Russia” besteht aus Einzelstudien zu Künstlern und Gelehrten und ihren Bildern bzw. Texten über den Wald. Bekannte Figuren wie der Maler Michail Nesterow und die Schriftsteller Iwan Turgenew und Wladimir Korolenko werden ebenso behandelt wie die weniger bekannten Autoren Pawel Melnikow-Petscherski und Dmitri Kajgorodow. Am Rande und eher ergänzend untersucht Costlow einer Vielzahl weiterer Künstler, etwa den für seine Wald-Darstellungen bekannten Maler Iwan Schischkin.

Costlow interpretiert die untersuchten Autoren und Künstler als Repräsentanten einer spezifisch russischen Tradition des nature writing (bzw. nature painting). Ihren Ausgang nahm diese Tradition ihr zufolge bei Turgenew und seinen Texten mit Waldmotiven, vor allem der Kurzgeschichte „Reise ins Polesje“ von 1857. Dem Literaturwissenschaftler Thomas Newlin und dessen vom Ecocriticism geleiteter Turgenew-Lektüre folgend entdeckt Costlow in diesem Werk Ansätze einer originär russischen „kontemplativen Epistemologie“ bzw. eines „affektiven (Natur-) Bewusstseins“. Es gehe dabei um „a way of knowing the natural world that is neither analytically dissective nor subjectively oblivious of what is really out there” (S. 32).

Eingehend beschäftigt sich Costlow mit dem Werk Pawel Melnikows (1818–1883), der zunächst als Beamter des Zarischen Innenministeriums um die Mitte des 19. Jahrhunderts für Angelegenheiten der Altgläubigen zuständig war. Auf seinen Reisen zu den abgelegenen Siedlungen der Altgläubigen erkundete Melnikow die nördlichen Wälder des europäischen Russlands. Nach seinem Rückzug aus dem Staatsdienst suchte er diese Wälder erneut auf, diesmal jedoch allein mittels literarischer Einbildungskraft. Der Wald ist bei Melnikow-Petscherski laut Costlow als Rückzugsraum für allerlei Außenseiter (Häretiker, Einsiedler, Kriminelle) gestaltet und zugleich mit einem Netz von Bedeutungen überzogen, die ihn als sakralen Ort kenntlich machen. Costlow betont die Vielfalt des von Petscherski benutzten historischen und folkloristischen Quellenmaterials, das Heiligenviten, Legenden und Chroniken umfasste. Christliche Mythen seien in Petscherskis Wald ebenso eingeschrieben wie pagane. Zusammen evozieren sie laut Costlow das mittelalterliche „Heilige Russland“ als positiven Gegenraum zu einer als problematisch erlebten Moderne. Auf ähnliche Weise interpretiert Costlow die übrigens von Melnikow-Petscherski inspirierten mystisch gestimmten Gemälde von Michail Nesterow.

Ein weiterer Protagonist in Costlows Darstellung ist der Forstwissenschaftler Dmitrij Kajgorodow (1846–1924), der mit seinen populären Naturkundebüchern bei seinen russischen Landsleuten eine patriotische Liebe zur Natur ihres Landes hervorrufen wollte (und, wie Costlow zeigt, dabei auch erfolgreich war). Die illustrierten Texte Kajgorodows, die auch noch sowjetischen Schülern die Natur ihres Heimatlandes näherbringen sollten, hätten, so Costlow, ein „ethos of conservation“ (S. 185) und „informed love“ (S. 200) vermittelt, stünden also jener „ökologischen“ Natursicht nahe, wie sie Costlow schon bei Turgenew erkennt. Besonders hebt Costlow hervor, dass mit Kajgorodow ein Mann der Wissenschaft den Wald in ähnlicher Weise ausdeutet wie die erwähnten Maler und Schriftsteller. Dies ist ein wichtiger Befund, den die Autorin auch am Beispiel weiterer Forstwissenschaftler und anderer mit Waldfragen befassten Expertengruppen (Ökonomen, Juristen) plausibel machen kann: „Artists and forest scientists occupied a common space, both geographic and symbolic“ (S. 84).

Kritisch zu hinterfragen ist Costlows These von einer besonderen, „russischen“ Waldsicht, die gekennzeichnet sei durch eine Assoziierung des Waldes mit „religious traditions, dissent, and potentials for renewal“ einerseits und die schon Turgenew zugeschriebenen „ökologischen“ Qualitäten des Kontemplativen und Affektiven andererseits (S. 76). Als Leser wünscht man sich zu erfahren, wie verbreitet diese Sichtweise im Russland des 19. Jahrhunderts war und ob es sich nicht eher um eine Tradition des Schreibens über die Natur unter mehreren handelte. An manchen Stellen finden sich diesbezüglich recht generalisierende Formulierungen, zum Beispiel wenn Costlow in Bezug auf den Schriftsteller Wladimir Galaktionovitsch Korolenko schreibt: “For someone interested in just what nature, or wilderness, or the forest itself is for Russians, there can be no better guide than Vladimir Galaktionovich.“ (S. 118) Unabhängig von dieser Kritik gilt: Die Text- und Bilddeutungen, die den substantiellen Kern des Buches ausmachen, lesen sich mit großem Gewinn, weil sie voller gedanklicher Schärfe und zugleich einfühlsam und abwägend sind.

Costlow und Moon haben sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen lesenswerte Bücher geschrieben. Sie teilen uns mit, wie vergangene Generationen versuchten, sich einen Reim auf die sie umgebenden Landschaften und Naturvorgänge zu machen. Zusammen zeigen Moon und Costlow, dass diese Bemühungen nicht losgelöst gedacht werden können von ästhetischen Text- und Bildwelten einerseits und der Praxis des Arbeitens in und mit der Natur andererseits.

Anmerkungen:
1 Erst kürzlich ist zu dem Thema eine erste Synthese erschienen, deren Schwerpunkt allerdings auf der Sowjetzeit liegt. Vgl. Paul Josephson u.a., An Environmental History of Russia, Cambridge 2013.
2 Vgl. aus anderer Perspektive: Willard Sunderland, Taming the Wild Field. Colonization and Empire on the Russian Steppe, Ithaca 2006 sowie: Ders. / Nicholas Breyfoogle / Abby Schrader (Hrsg.), Peopling the Russian Periphery. Borderland Colonization in Eurasian History, London 2007.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
The Plough that Broke the Steppes
Sprache der Publikation
Heart-Pine Russia
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension