E. Cheauré u.a. (Hrsg.): Geschlecht und Geschichte in populären Medien

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Titel
Geschlecht und Geschichte in populären Medien.


Herausgeber
Cheauré, Elisabeth; Paletschek, Sylvia; Reusch, Nina
Reihe
Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen / History in Popular Cultures 9
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Inge Marszolek, Zentrum für Medien- Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI), Universität Bremen

Der von Elisabeth Cheauré, Sylvia Paletschek, Nina Reusch herausgegebene Sammelband „Geschlecht und Geschichte in populären Medien“ geht auf eine gemeinsame Tagung der Forschergruppe „Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart“ und des „Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung“ im Dezember 2011 zurück. Bezogen auf populäre Geschichtsdarstellungen fragen die Autor/innen, so Reusch und Paletschek in ihrer Einleitung, „nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht für die historische Wissensgenerierung und historische Wissenskulturen“ (S. 22). Sie formulieren vier Forschungsperspektiven: Erstens gehe es um den Stellenwert von Frauen- und Geschlechtergeschichte in populären Medien. Zweitens werde danach gefragt, ob populäre Medien offener für Frauen- und Geschlechtergeschichte seien als andere Medien bzw. als die akademische Geschichtsschreibung. Drittens werde die Wirkung von Medien und Formaten auf die in populären Medien konstruierten Geschlechterverhältnisse untersucht sowie, viertens, die Wechselwirkung zwischen den in populären Medien konstruierten Geschlechterbildern und den jeweiligen Gesellschaften beleuchtet.

In ihrer Einleitung betonen Reusch und Paletschek, dass eine von Männern betriebene akademische Geschichtsschreibung nicht nur die Ausblendung bestimmter Themen zur Folge hatte, sondern zudem bewirkte, dass weibliche Lebenswelten in der Erinnerungskultur nicht vorkamen. In der populären Geschichtsschreibung hingegen konnten zum Beispiel in literarischen Genres auch Frauen als historische Akteurinnen sowie weibliche Lebenswelten beschrieben werden. Für die Gegenwart sehen die Autorinnen die populäre Geschichtsschreibung als Teil der ausdifferenzierten Geschichtskultur. Populäre Geschichtsschreibung vermittle „Wissen über Geschichte in einer verständlichen, attraktiven Weise“1 und richte sich an ein breites Publikum, das aber kein Massenpublikum sein müsse. Auch wenn diese Formen von Geschichtsschreibung zunehmend erforscht würden, finde die Kategorie Geschlecht nur wenig Beachtung. Dabei, so das Resümee der Autorinnen, könnten und sollten gerade in der populären Geschichtsschreibung heteronormative Geschlechterrollen dekonstruiert werden. Das würde auch zur Hinterfragung der bisherigen normativen Hierarchie zwischen akademischer (besserer) Geschichtsschreibung und populärer (schlechterer Geschichtsschreibung) führen.

Damit legen die beiden Herausgeberinnen die Messlatte sehr hoch. Allerdings werden die angerissenen Forschungsfragen leider nicht explizit zu roten Fäden für die Beiträge. Hingegen war es offenbar die Intention der Herausgeberinnen, das weite Feld zu bespielen: Die Artikel sind recht kurz, aber informativ, und oft durch ausführliche Bibliografien angereichert. Thematisch behandeln sie höchst unterschiedliche Medien wie Gegenstände der Darstellungen, durchschreiten den Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis heute, und dokumentieren höchst unterschiedliche Zugänge. Das Forschungsfeld ist also äußerst vielfältig: Leider fehlt der gewiss schwierige, doch sinnvolle Versuch einer Systematisierung. Statt der sehr weiten Definition von „populärer Geschichtsdarstellung“ könnte man zum Beispiel die Spezifik der medialen Verbreitung näher ausleuchten. Offenbar geht es zunächst um ein nicht in erster Linie akademisches Publikum. Die Vehikel der Verbreitung unterscheiden sich je nach Medium. Jenseits der wichtigen Genre-Problematik wäre nach visuellen, auditiven und literarischen Formen zu differenzieren, die aber durchaus Mischungsverhältnisse eingehen. Ein weiterer Unterschied, der in der Aufreihung deutlich wird, ist, dass es sich bei der Mehrzahl um historische Narrative bzw. geschichtskulturelle Ereignisse handelt, die in diesen Darstellungen reproduziert bzw. neu erzählt werden. Andere behandeln die Repräsentationen von Familie und Gender oder beschäftigen sich explizit mit der Geschichtskultur.

Bereits die beiden Beiträge, die sich mit Schulbüchern auseinandersetzen, sind nicht nur von den Thematiken, sondern auch von den Fragestellungen her höchst unterschiedlich: Martin Nissen nimmt in seiner Untersuchung der Vermittlung historischen Wissens in Schulbüchern des 19. Jahrhunderts die Geschichte der höheren Mädchenbildung und der Schulgeschichtsbücher in den Blick. Lehrer an jenen Schulen entwickelten eigene Konzepte für den Geschichtsunterricht für Mädchen: Das biografische Element solle ebenso wie die Anschaulichkeit dominieren. Zugleich wurden die „harten Themen“ wie Verfassung, Politik, Militär weitgehend zugunsten von Sitte und Kultur vernachlässigt. Damit, so Nissen, zogen wesentliche Charakteristika der zeitgenössischen populären Geschichtsschreibung vor allem der Romane in das Schulbuch ein. Einen anderen Zugang wählen Jasmin Meier und Annabelle Thurn, die aus einem laufenden Forschungsprojekt über die Darstellung von Gender im antiken Rom in heutigen Schulbüchern in Deutschland und der Türkei berichten. Die Autorinnen resümieren – was als Befund nicht sehr überrascht –, dass die Darstellungsformen von Frauen und Männern in den Schulbüchern in aktuelle virulente Diskurse in beiden Ländern eingebettet sind.

Reusch und Doris Lechner untersuchen illustrierte Familienzeitschriften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien und im Deutschen Reich, die „Leisure Hour“ und die „Gartenlaube“. Am Beispiel der Kleidungs- und Modegeschichte illustrieren sie, wie zum einen die Autoren und Autorinnen der Artikel durchaus eine Form alternativer Schreibkultur entwickelten, die sich an der Konstruktion der weiblichen Leserin orientierte. Zugleich durchbrachen sie partiell die Grenzen zwischen privat und öffentlich, indem sie die Mode als „Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse“ beschrieben. Reusch und Lechner werten diese Artikel als „Hybridform von Wissenschaft, kommunikativem Gedächtnis und Essay“, in denen die „geschlechtlichen Zuschreibungen immer wieder irritiert wurden“ (S. 98). Hier stellt sich allerdings die Frage, wie und ob dies zu belegen ist. Welche Grenzüberschreitungen wurden von wem wahrgenommen? Ebenfalls den Vergleich zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich unternehmen Barbara Korte und Sylvia Paletschek in ihrer Untersuchung feministischer Zeitschriften am Ende des 19. Jahrhunderts. Hier überwiegen die Gemeinsamkeiten: Geschichtsschreibung werde intentional als „Gegengeschichte“ zur männlich dominierten Geschichte geschrieben. Wenn dies so ist, wäre zu fragen, warum kulturelle Unterschiede die Repräsentation von Geschlecht in populären Schriften offenbar nicht prägten.

Sylvia Schraut beleuchtet, wie Geschlechtsstereotypen in populären oder journalistischen Beiträgen über politisch motivierte Anschläge und Terrorismus bis heute die Terrorismusdebatten einfärben. Leonie Treber zeigt, wie aus einem räumlich begrenzten Phänomen, dem Einsatz von Frauen zur Trümmerräumung in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), seit den 1980er-Jahren eine Ikone des kollektiven Gedächtnisses in Westdeutschland wurde. Treber arbeitet signifikante Unterschiede zwischen Westdeutschland, der SBZ und Berlin heraus. Wenngleich sowohl in der SBZ wie in Berlin die „Trümmerfrauen“ bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit medial zu Heldinnen stilisiert wurden, geschah die eigentliche Mythologisierung der Trümmerfrau erst in den 1980er-Jahren in Westdeutschland und West-Berlin. Leider werden die Gründe in ihrem Beitrag nicht weiter ausführt. Das ist umso bedauerlicher, als hier eine Möglichkeit bestanden hätte, die Untersuchung von Einzelmedien auf die Medienensembles auszuweiten, um so die Ursachen und Dynamiken dieser Entwicklung herauszuarbeiten.

André Dechert untersucht die Konstruktion von Geschlechterrollen in US-amerikanischen Familien in ausgesuchten Sitcoms der 1950er- und 1960er-Jahre. Die zum Ausdruck kommenden Vorstellungen einer patriarchalisch imaginierten Kernfamilie kontrastiert er mit Diskursen in der US-amerikanischen Presse bis in die 1990er-Jahre. Er resümiert, dass, wenngleich von konservativer Seite immer wieder versucht wurde, diese Familienbilder als Abbild von Wirklichkeit zu definieren, sie im Mainstream der US-amerikanischen Presse und wohl auch der Öffentlichkeit deutlich in den Bereich der Fiktion verwiesen wurden. Jedoch zeigen die Diskussionen, wie groß die Wirkmächtigkeit der Sitcoms war, dienten sie eben als Referenzpunkt für familienpolitische Diskurse. Zu ergänzen wäre diese Sicht durch die Bedeutung des Fernsehens selbst als Domestizierungselement (Lynn Spigel), das seit den 1950er-Jahren das Familienleben in einer neuen Weise strukturierte.2

Weitere Beiträge des Sammelbands befassen sich mit der Bedeutung von Gender in geschichtskulturellen Diskursen: Regine Nohejl zur Darstellung Napoleons in Russland, Jule Nowoitnick über Tschingis Khaan und Gintare Malinauskaite zu jüdischen Frauen in litauischen Filmen über den Holocaust sowie der Darstellung im Comic „Gift“, der sich mit der Figur der Bremer Giftmörderin Geesche Gottfried auseinandersetzt (Sylvia Kesper-Biermann). Weiterhin thematisiert Renée Winter Ambivalenzen in der Serie „Mad Men“, Michaela Fenske analysiert am Beispiel des Biedermeier in der Altstadt von Werben die Performation von „Doing Gender“ durch Formen des „Re-enacting“, und Imke van Helden beschäftigt sich mit dem zunehmenden Eindringen von Frauen in die Heavy-Metal-Szene.

Insgesamt gibt der Band einen guten Einblick in ein Forschungsfeld, das – nicht zuletzt durch die Anstrengungen der Herausgeberinnen – in den letzten Jahren durchaus viele anregende Studien hervorgebracht hat, die sowohl die Medien- und die Geschlechtergeschichte, aber auch insgesamt das Wissen über Lebenswelten und Wissenskulturen bereichert hat. Auffällig ist, dass die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in dem Band völlig ausgespart ist, obgleich gerade in der Zwischenkriegszeit traditionelle Geschlechterverhältnisse in die Krise gerieten. Auch die beiden Diktaturen in Deutschland werden mit Ausnahme von Trebers Beitrag nur marginal behandelt. Das ist umso bedauerlicher, als ein Vergleich der Genderkonstruktionen in populären Schriften wichtige Erkenntnisse zu den Lebenswelten im Dritten Reich und der DDR liefern könnte. Aus Sicht der Mediengeschichte ist anzuregen, dass stärker die Interaktionen oder auch die Interdiskursivität von Medien in den Blick genommen werden sollten, denn nur dann könnten gesicherte Aussagen über die Wirkmächtigkeit bzw. über Wandel in den Konstruktionen von Geschlecht gemacht werden.

Anmerkungen:
1 Barbara Korte / Sylvia Paletschek, Geschichte in populären Medien und Genres: Vom historischen Roman zum Computerspiel, in: dies. (Hrsg.), History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009, S. 9–60, S. 13; vgl. die Rezension von Olaf Hartung, in: H-Soz-u-Kult, 30.10.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-095> (20.02.2014).
2 Lynn Spigel, Make Room for TV. Television and the Family Ideal in Postwar America, Chicago 1992.

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