L. Rizzo: Gender and Colonialism

Cover
Titel
Gender and Colonialism. A History of Kaoko in North-Western Namibia 1870s–1950s


Autor(en)
Rizzo, Lorena
Reihe
Basel Namibia Studies Series 14
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
CHF 42.00 / € 29,73
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Laura Bleckmann, Institute for Anthropological Research in Africa, KU Leuven

Die historische Monographie von Lorena Rizzo beruht auf ihrer an der Universität Basel eingereichten Dissertation und behandelt eine Region, der Historiker bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, lag sie doch am Rande des südafrikanischen Empires und größtenteils jenseits der sogenannten Barbarengrenze, die den „dunklen Kontinent“ von der „Zivilisation“ trennte: das Kaoko im Nordwesten Namibias.1 Ausgehend von der Marginalität dieser Region in der kolonialen „topography of power“ stellt Rizzo in ihrer Arbeit die sozio-politische Instabilität und Dynamik Kaokos in den Vordergrund und beschreibt sie als besonderes Charakteristikum für die koloniale Geschichte des nordwestlichen Namibias. Die Richtigkeit dieser Annahme belegt Rizzo in eindrucksvoller Weise in den verschiedenen Kapiteln ihrer facettenreichen Geschichte Kaokos, die sich in allen Teilen gleichermaßen kritisch, einfühlsam und mit einem besonderen Blick fürs Detail gestaltet. Ergänzt durch Oral Histories und Analysen visuellen Materials basiert die Monographie vor allem auf einer kritischen Analyse von Dokumenten der Kolonialverwaltung. Rizzos Untersuchung gibt Einblick in die verschiedenen Kolonialregierungen Namibias, das 1884 unter deutsche Kolonialherrschaft geriet, im Ersten Weltkrieg für eine kurze Periode der britischen Krone unterstand und im Jahr 1920 als fünfte Provinz der Mandatsverwaltung Südafrikas zugeteilt wurde, bis es im Jahr 1990 als eines der letzten Länder Afrikas seine Unabhängigkeit erlangte.

Sehr sinnvoll gewählt ist die Gliederung der Arbeit, die sich auf Höhepunkte der Narrative der kolonialen Archive stützt. Unter ganz neuen Gesichtspunkten behandelt Rizzo in Teil I, „Gender & Conflict“, den Aufbau und Zerfall der „Oorlam Hegemony“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, indem sie ihre sozio-ökonomischen Aspekte hervorhebt.2 Rizzo betont die losen Gruppierungen und ethnischen Durchmischungen der Oorlam-Kommandos, die auf der temporären sozio-politischen Einbindung von lokalen Gemeinschaften aufbauten. Somit integrierten die Oorlam in ihre Raubökonomie, die sich vor allem auf ein Rinder- und Waffenmonopol stützte, nicht nur khoisansprechende Gruppen aus dem Süden des Kontinents, sondern auch weitere lokale Gruppen des Landes. In Teil II, „Gender & Colonialism“, untersucht Rizzo die in den schriftlichen Dokumenten der Kolonialverwaltung ausführlich beschriebenen Expeditionen von Major Manning zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die in erster Linie die Entwaffnung der lokalen Bevölkerung zum Ziel hatten. Entlang detaillierter Verweise auf Protokolle von Sitzungen zwischen traditionellen Autoritäten und Kolonialbeamten führt Rizzo in die lokalen Machtgefüge ein. In Teil III, „Gender & Containment“, greift Rizzo das von Michael Bollig vertretene Argument über die sozio-ökonomische Einkapselung Kaokos auf und gibt einen Überblick über die koloniale Grenzziehung in den 1920er- und 1930er-Jahren und die Möglichkeiten der lokalen Bevölkerung, diese sozio-ökonomischen und sozialen Grenzen zu überwinden.3 Der vierte Teil, „Gender & Colonial Law“, rekonstruiert einen lokalen Mordkomplott, bei dem die illegale Jagd und der Kampf um Ressourcen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine besondere Rolle spielen. Die beeindruckende Kombination der Analyse von Oral Histories und schriftlichen Quellen der Kolonialverwaltung macht diesen Teil besonders lesenswert. In Teil V, „Gender & the Technologies of Empire“, schildert Rizzo die möglicherweise bedeutsamste und nachhaltigste Form kolonialer Intervention in Kaoko: die Impfungskampagnen der späten 1930er-Jahre, die nicht nur mit der Tötung unzähliger Rinder einhergingen, sondern auch zu einer Machtkonsolidierung des kolonialen Staates in Kaoko führten. Koloniale Fotografie als eine besondere Form der Aneignung von Land und Menschen steht im Zentrum des sechsten und letzten Teils, „Gender & Visuality“. Im Speziellen geht Rizzo auf die Fotografien von Heinz Roth in den 1950er-Jahren ein und analysiert die kolonialen Imaginationen und Phantasien, die diese Bilder vermitteln. Dieser Abschnitt enthält auch ein besonders einsichtigen Teil über Gender, „gendered visions“ und den ambivalenten Diskurs über die Rolle der Frau zu dieser Zeit zwischen Mobilität und Begrenzung und der Wahrnehmung von Tradition und Moderne.

Hoch anzurechnen ist Rizzo die Kombination von verschiedenen Genres, Materialen und Quellen in ihrer Analyse. Besonders eindrucksvoll gelingt ihr dies in den Teilen IV und VI, in denen die Gegenüberstellung von oralen, schriftlichen und visuellen Materialien einen Raum für Ambivalenz und Widerspruch eröffnet. Das Verdienst von Rizzos Arbeit liegt eindeutig in der kritischen Analyse einer großen Fülle an Aufzeichnungen, Fotos und offiziellen Dokumenten der Kolonialverwaltung. Etwas enttäuschend in der Arbeit ist die analytische Auseinandersetzung mit Gender, angefangen bei einer genaueren Kategorisierung des Terminus. Obwohl sich die Autorin am Ende eines jeden Teils dem Bereich Gender widmet, enthält ihre Analyse nur wenige der vielen Fragen, die sich bei der Gegenüberstellung von Gender und Kolonialismus ergeben und die teilweise von Patricia Hayes im Vorwort aufgeworfen werden (S. xii). So wirkt der Titel „Gender and Colonialism“ nach Ende der Lektüre zu ambitioniert, behandelt die historische Monographie doch vorerst – und das durchaus überzeugend – die lokale Geschichte einer Region im Hinblick auf ihre politische und sozio-ökonomische Organisation und Dynamik.

Anmerkungen:
1 Giorgio Miescher, Namibia’s Red Line. The History of a Veterinary and Settlement Border, New York 2012.
2 Zu weiteren Informationen über die Oorlam siehe Brigitte Lau, Southern and Central Namibia in Jonker Afrikaner’s Time, Windhoek 1987.
3 Michael Bollig, The Colonial Encapsulation of the North-Western Namibian Pastoral Economy, in: Africa. Journal of the International African Institute 68/4 (1998), S. 506–536.

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