Titel
Armut und Armutsbekämpfung. Schriftliche und bildliche Quellen bis um 1800 aus Chemnitz, Dresden, Freiberg, Leipzig und Zwickau: ein sachthematisches Inventar


Herausgeber
Bräuer, Helmut; Schlenkrich, Elke
Erschienen
Anzahl Seiten
1455 S.
Preis
€ 175,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Ayaß, FB 4, Universität Kassel

Ein in dieser Art einzigartiges Findmittel archivalischer Quellen zur Geschichte der Armut ist anzuzeigen. Die Leipziger Historiker Helmut Bräuer und Elke Schlenkrich, beide in Bezug auf die Sozialgeschichte der Frühen Neuzeit gut ausgewiesen, haben ein voluminöses zweibändiges Findbuch zur Armut und Armutsbekämpfung in Sachsen vorgelegt. Das Werk stellt die Hilfsmittel zur Armutsforschung in Sachsen auf eine neue Grundlage. Zwar nimmt die Zahl der gedruckten und über den Buchhandel erhältlichen Findbücher – trotz Online-Datenbanken einiger Archive – noch zu, sachthematische Findbücher, die mehr als einen Bestand umfassen, sind jedoch äußerst selten.1 Was eigentlich ureigenstes Aufgabengebiet der Archivare ist, haben nun zwei universitäre Forscher in einem langjährigen, von der VW-Stiftung geförderten Projekt geleistet. Bräuer und Schlenkrich werteten die Überlieferung von nicht weniger als 28 Archiven und Bibliotheken der Städte Chemnitz, Dresden, Freiberg, Leipzig und Zwickau erschöpfend aus. Die Archivalien aus anderen Städten und aus Dörfern mussten sie unberücksichtigt lassen. Doch allein in den fünf ausgewählten Städten konnten die Bearbeiter immerhin 5649 Datensätze erheben (hauptsächlich Akten, aber auch Chroniken, Karten, gedruckte Veröffentlichungen, Kupferstiche und Gemälde). Beispielsweise steuerte für Leipzig das Kirchliche Archiv einen Datensatz, das Staatsarchiv 15, die Universitätsbibliothek 150, das Stadtarchiv 474, das Stadtmuseum 161 und die Stadtbibliothek sechs Datensätze bei.

Die Quellen umfassen Armenordnungen, Almosenbittschriften, Bettlerverhörprotokolle, Testamente, Stiftungssachen, Gesinde- und Tagelöhnerordnungen, Innungssachen mit Lohnangaben, Berichte über Seuchen und vieles mehr. Großen Raum nehmen Akten von Anstalten ein (z.B. Armenhospitäler, Armenschulen, Waisenhäuser, Zucht- und Arbeitshäuser). Bei der Auswahl der auszunehmenden Archivalien verfolgten die Herausgeber eine eher offene Linie. Wir finden z.B. auch Akten über eine Feuersbrunst in Leipzig (Nr. 1174) oder über Kleiderordnungen in Dresden (Nr. 2538).

Die 5649 Datensätzen sind sämtlich nach folgendem Schema aufgebaut:
A Strukturteil der Institution
B „Bestand“ oder untergeordneter Strukturteil
C Hilfsmittel
D Signatur(en)
E Bestandseinheit mit zeitlicher Erstreckung (Akte, Buch, Karte, Bild)
F Enthältvermerke

Konkret sieht z.B. der Datensatz Nr. 645 (eine Akte aus dem Stadtarchiv Chemnitz) so aus:
A Ratsarchiv
B Polizeisachen
C Findbuch
D V XII 8
E Acta, die Confiscation des aufn Lande gebackenen und zur Stadt gebrachten Brodts betr., 1676-1712
F Enth.: Klage der Bäcker über die störenden Dorfbäcken und Bitte an den Rat, hier Veränderung zu schaffen. Ratsbeschluß, der den Brotkauf auf dem Dorf untersagt; Kuchen darf indessen in die Stadt gebracht werden. Verhöre der „Fremdbrotkäufer“.

Letztlich besteht das vorgelegte Sachinventar (bildlich ausgedrückt) aus 5649 hintereinander geklebten Karteikarten (sprich Datensätzen). Das einzige Ordnungskriterium ist der Fundort der Archivalie, was aufgrund der Themenvielfalt auch kaum zu umgehen war. Wer das Werk nicht von vorn bis hinten durcharbeiten will, ist daher auf den ausführlichen Registerteil angewiesen. Die Datensätze sind über ein geographisches Register, ein Personen- und ein Sachregister gut zu erschließen. Beim geographischen Register sind leider nur die historischen Namen aufgeführt, ein Querverweis auf diese von heutigen polnischen oder tschechischen Schreibweisen aus fehlt. Wer je ein Sachregister eines geschichtswissenschaftlichen Buchs erstellt hat, kennt das Problem des Spannungsfelds zwischen Quellenbegriffen und moderner Begrifflichkeit. Das detaillierte, 58-seitige Sachregister versucht beidem gerecht zu werden, hält sich jedoch sinnvollerweise in erster Linie an moderne Begriffe (z.B. „Prostitution“ statt „Hurerei“).

Die zeitliche Begrenzung des Inventars auf „bis um 1800“ lässt sich sachlich nicht begründen und resultiert wohl aus dem Forschungsschwerpunkt der beiden Bearbeiter bzw. aus arbeitsökonomischen und finanziellen Erwägungen. Wer über das 19. Jahrhundert forscht, wird bei Bräuer und Schlenkrich nur ausnahmsweise fündig, etwa bei besonders langen Laufzeiten einer Akte. Damit ist das große Thema „Armut und Industrialisierung“ nicht erschlossen. Nur Historiker der Frühen Neuzeit werden ihre Freude an dem Findmittel haben.

Enttäuscht wird, wer glaubt, dass auf der mitgelieferten CD-ROM bildliche Quellen anzusehen sind wie auf der kunsthistorischen CD-ROM von Wolfgang Glüber über „Darstellung von Armut“. 2 Die dem Sachinventar beigelegte CD-ROM enthält nichts weiter als den (vollständigen) Text der beiden Halbbände im pdf-Format – von Multimedia ist man weit entfernt, weder bildliche noch schriftliche Quellen werden präsentiert.

Die Installation der CD ging auf meinem Laptop leicht vonstatten. Ich legte die Scheibe ins Laufwerk, automatisch wurde zunächst der Netscape Communicator (warum eigentlich?), dann der Akrobat Reader 5 aufgerufen, der dann die gesamten 1455 Seiten lud.3 Dies dauerte etwa eine Minute. Ein Teil der aufgenommenen Datensätze enthält Querverweise auf andere, zu denen dann per Mausklick gesprungen werden kann. Auch vom Register aus kann man zu den jeweiligen Datensätzen springen (und zurück zum Register). Dabei muss man sich allerdings mit den Marotten des Akrobat Readers herumschlagen, der die Schriftgrößeneinstellungen beim Springen jedes Mal zurückstellt. Sehr hilfreich ist, dass die Nutzer mit Hilfe der Suchfunktionen des Akrobat Readers über den gesamten Text nach einzelnen Begriffen suchen können, weil sie somit ihr spezielles Forschungsinteresse auch unabhängig von den Registern verfolgen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Wolfgang Schmierer (Bearb.): Akten zur Wohltätigkeits- und Sozialpolitik Württembergs im 19. und 20. Jahrhundert. Inventar der Bestände der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins und verbundener Wohlfahrtseinrichtungen im Staatsarchiv Ludwigsburg, Stuttgart 1983.
2 Wolfgang Glüber: Darstellung von Armut und bürgerlicher Armenfürsorge im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Kunsthistorische Interpretationen von Altargemälden, Almosentafeln und Illustrationen, CD-ROM, Frankfurt a.M. 2000.
3 Der Akrobat Reader 5 befindet sich auch auf der mitgelieferten CD-ROM.

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