M. Müller: Das Deutsche Institut für wissenschaftliche Pädagogik

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Titel
Das Deutsche Institut für wissenschaftliche Pädagogik 1922–1980. Von der katholischen Pädagogik zur Pädagogik von Katholiken


Autor(en)
Müller, Markus
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Forschungen 126
Erschienen
Paderborn 2014: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
697 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
August H. Leugers-Scherzberg, Kirchen- und Theologiegeschichte, Universität des Saarlandes

Diese Tübinger katholisch-theologische Dissertation (Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, Andreas Holzem) erzählt eingehend und auf breiter Quellenbasis die Geschichte des Münsteraner Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik. 1922 vom Katholischen Lehrerverband des Deutschen Reiches und dem Verein katholischer deutscher Lehrerinnen gegründet, wurde es bis 1933 ein rasch expandierendes katholisches Lehrerbildungs- und pädagogisch publizierendes Unternehmen. Nach 1933 in seiner Entwicklung zunehmend behindert, wurde es 1938 zwangsweise vom NS-Regime geschlossen. 1950 wurde das Institut wieder errichtet und existierte schließlich bis 1980 weiter. Im Zuge der nachkonziliaren Krise wurde ihm die finanzielle Unterstützung der Kirche entzogen und es wurde aufgelöst.

Müller will am Beispiel des Münsteraner Instituts das „verdrängte Erbe“ der katholischen Pädagogik aufarbeiten. Er weist darauf hin, dass in der Kirchengeschichte die katholische Bildungsgeschichte und die Rolle der katholischen Lehrerverbände recht gut erforscht sind. Doch werde nicht thematisiert, welche Motive zur Entstehung einer katholischen Pädagogik geführt hätten und weshalb sie Ende der 1960er-Jahre von der Bildfläche verschwand. Zugleich hat sich Müller vorgenommen, Erziehungsgeschichte nicht „als eine Reihe einzelner Klassiker oder eine Abfolge theoretischer Konzeptionen zu schreiben“, sondern „die Disziplin der Erziehungswissenschaft als eine ‚Kommunikationsgemeinschaft‘ oder als ‚sozial kommunikative Netzwerke der Produktion von Wissen‘ aufzufassen“ (S. 25). Er geht davon aus, dass es für eine Gruppe von Katholiken als Angehörige des katholischen Milieus notwendig erschien, eine zugleich wissenschaftliche und konfessionelle pädagogische Theorie zu entwickeln. Dem diente der Aufbau einer Kommunikationsgemeinschaft zum Austausch ihrer pädagogischen Ideen. Die dabei entstehenden Personennetzwerke hätten die katholische Pädagogik institutionalisiert und stabilisiert. Dabei habe das Deutsche Institut im Zentrum der Aktivitäten zur Profilierung ihrer Pädagogik gestanden.

Müller kann auf umfangreiches Archivmaterial, vor allem für die Zeit nach 1945, zurückgreifen. Für die Zeit vor 1945 ist die Überlieferung eher mager. Ausführlich schildert er dennoch die Gründung und expansive Entwicklung des Instituts in der Weimarer Republik, wobei die Vertreter des Katholischen Akademikerverbandes, die im Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik ihren Einfluss geltend machen konnten, einmal mehr auf die Philosophie Max Schelers zurückgriffen, um eine einheitliche katholische Pädagogik zu konstruieren, die weit davon entfernt war, die Weimarer Demokratie stabilisieren zu wollen. Müller schildert die Haltung der Institutsleitung 1933, die eine freiwillige Selbstgleichschaltung darstellte, und die Weiterentwicklung des Instituts bis 1938, wobei allerdings ein Großteil der Quellen offenbar verloren gegangen ist.

Auf quellenmäßig dichter Grundlage kann er dagegen den zähen Prozess der Wiedererrichtung des Instituts auf der Grundlage der katholischen Rechristianisierungsideologie der Nachkriegszeit und die schleppende Entwicklung in den 1950er-Jahren schildern. Das Münsteraner Institut wollte explizit an die Zeit vor 1933 anknüpfen, verlor aber rasch an Einfluss und Rückhalt, weil einerseits die geisteswissenschaftliche Pädagogik als Dialogpartner in der allgemeinen Erziehungswissenschaft nach 1945 an Einfluss verloren hatte, ihm andererseits im Zuge der Pluralisierung des katholischen Milieus nach 1945 auch die weltanschauliche Homogenität fehlte. So waren die in den 1950er-Jahren am Institut tätigen Pädagogen in ihren wissenschaftlichen Ansätzen recht heterogen: Es gab den Thomisten Gustav Siewert, den Neukantianer Alfred Petzelt und den praktisch orientierten Erwachsenenbildner Franz Pöggeler. Sie waren Teile von Netzwerken, aber nicht Teile eines umfassenderen Netzwerkes der katholischen Pädagogik.

Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre kam es zu einem Einschnitt. Einerseits hoffte man bischöflicherseits, das Münsteraner Institut zu einem leistungsfähigen bildungspolitischen Beratungsorgan umgestalten zu können, um eine effektive Unterstützung bei der Rettung der Bekenntnisschule zu erhalten. Andererseits sank aber innerkatholisch die Akzeptanz der Bekenntnisschule. Parallel zum Zweiten Vatikanischen Konzil und den dort verabschiedeten Beschlüssen wurde das Konzept der Bekenntnisschule auch in den Reihen der Katholiken zunehmend fragwürdig.

Josef Homeyer, damals noch Schulreferent des Bistums Münster, forcierte 1968 schließlich die Umorientierung des Instituts von einer Lehrerfortbildungs- und bildungstheoretischen Publikationsanstalt hin zu einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut, dessen Aufgabe nicht mehr sein sollte, eine katholische Pädagogik zu propagieren, sondern pädagogisch herausragende Forschung von Katholiken zu leisten. Homeyers Einfluss war es zu verdanken, dass 1971 Doris Knab vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung die Leitung des Instituts übernahm. Nach zunächst hoffnungsvollem Beginn kam es seit Mitte der 1970er-Jahren zu einer Reihe von Konflikten, die schließlich 1980 in der Schließung des Instituts mündeten. Was letztlich die Gründe von Seiten der Bischöfe für die Schließung gewesen seien, so Müller, ließe sich nicht eindeutig bestimmen, sondern müsste durch weitere Quellenrecherchen im Umfeld der Aktenüberlieferung der Deutschen Bischofskonferenz rekonstruiert werden.

Mit Blick auf das Jahr 1933 und die freiwillige Selbstgleichschaltung des Instituts stellt Müller abschließend die Behauptung auf, dass das, „was sich die DIP-Mitarbeiter unter ‚Nationalsozialismus‘ vorstellten, mehr ihr eigenes kulturpolitisches Programm der paedagogia perennis widerspiegelte, statt mit dem Nationalsozialismus der Nationalsozialisten übereinzustimmen, dessen Ziele mit den katholischen keineswegs so deckungsgleich waren, wie es sich die katholischen Pädagogen 1933/1934 erhofft hatten“ (S. 599). Diese Schlussfolgerung ist eine unzulässige Verharmlosung des bereitwilligen Anschlusses katholischer Intellektueller an die nationalsozialistische Bewegung 1933, wie sie – außer bei den katholischen Pädagogen des Münsteraner Instituts – auch in der Liturgischen Bewegung und beim Katholischen Akademikerverband stattfand. Wenn die Wortführer einer „katholischen Pädagogik“ 1933 die Erfüllung ihrer erziehungswissenschaftlichen Visionen im NS-Reich sahen, muss die Frage aufgeworfen werden, was die Gründe dafür waren, dass das Konzept nicht dazu in der Lage war, gegen die nationalsozialistische Herausforderung zu immunisieren. Dieser Frage stellt sich Müller nicht. Dafür kann er allerdings – nicht zuletzt auch wegen der breiten Quellenbasis – überzeugend herausarbeiten, dass die Institutsleitung nach 1945 mit ihrem Konzept einer rechristianisierenden Pädagogik dasselbe verfolgte, was sie 1933 bereits im Bündnis mit dem Nationalsozialismus angestrebt hatte.

Wenn es Müller darum geht, zu erklären, warum die „katholische Pädagogik“ Ende der 1960er-Jahre sang- und klanglos verschwand, wäre es nötig gewesen, das allgemeine historische Umfeld der Kirchen- und Katholizismusgeschichte der 1960er- und 1970er-Jahre stärker in den Blick zu nehmen. Der Paradigmenwechsel von einer „katholischen Pädagogik“ hin zu einer „Pädagogik von Katholiken“, die grundlegende Reorganisation des Instituts und die institutionelle Unterdrückung dieses nachkonziliaren Neuaufbruchs in den 1970er-Jahren ist geradezu ein Paradebeispiel für die innerkatholische Entwicklung in der sogenannten „nachkonziliaren Krisenzeit“. Es wäre nötig gewesen, der Frage nachzugehen, ob das, was bis dahin unter dem Konzept „katholische Pädagogik“ verstanden und verfolgt worden ist, nicht im Katholizismus unter anderer Gestalt weiterlebte und bei der Beseitigung des Instituts seinen Einfluss geltend machte.

In formaler Hinsicht ist zu bemerken, dass der exzessive Gebrauch von Abkürzungen, wie beispielsweise in dem Satz: „Bezeichnend hierbei ist, dass sich der VfcE 1930 in die Münchner Zweigstelle des DIP hinein auflöste und die Münsteraner knapp vier Jahre später auch den ‚Pharus‘ in die VIwP integrierten.“ (S. 597) ausgesprochen leserunfreundlich ist. Der Leser muss für sich die Abkürzungen auflösen – dann kann man die Begriffe aber auch gleich ausschreiben. Wenn das Ausschreiben dazu führt, dass der Text redundant und stilistisch schlecht wird, dann wird er auch durch die Abkürzungen nicht besser. Die Verwendung synonymer Begriffe ist für künftige Veröffentlichung der Reihe in jedem Fall anzuraten. Nichtsdestoweniger ist diese Geschichte des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik ein überaus verdienstvolles und materialreiches Werk, das erstmals einen tieferen Einblick in die Mechanismen katholischer Interessenpolitik im Bereich der Bildungswissenschaften von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik in den Zeiten der sozialliberalen Koalition liefert.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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