K. Stapelbroek u.a. (Hrsg.): Rise of Economic Societies

Cover
Titel
The Rise of Economic Societies in the Eighteenth Century. Patriotic Reform in Europe and North America


Herausgeber
Stapelbroek, Koen; Marjanen, Jani
Erschienen
Basingstoke 2012: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
388 S.
Preis
€ 82,33
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Verena Lehmbrock, Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaften und Technik, Universität Jena

Der vorliegende Sammelband beginnt überraschend, denn Koen Stapelbroek und Jani Marjanen stellen einleitend die These auf, dass die ökonomischen bzw. patriotischen und gemeinnützigen Gesellschaften der Aufklärungszeit nicht nur lokal und regional, sondern auch überterritorial, ja globalpolitisch bedeutsam gewesen seien. Diese in der Tat neue Bewertung beruht maßgeblich auf Istvan Honts politisch-ökonomischer Ideengeschichte Jealousy of Trade von 2005.1 Darin geht es, kurz zusammengefasst, um das aufkeimende Bewusstsein für die politische Bedeutung des wirtschaftlichen Wettbewerbs – insbesondere der großen Handelsmonarchien England und Frankreich.

Ein besonderer Reiz dieser makroökonomischen Perspektive liegt in der entsprechenden Internationalität des vorliegenden Bandes, der aus zwei Kolloquien in den Jahren 2008/09 in Helsinki hervorgeht. Forschungsbeiträge aus mehr als zehn verschiedenen Ländern und Regionen von Schottland über die österreichische Lombardei bis hin in die USA sind in diesem Band erstmals gemeinsam zusammengestellt. Sie zeigen eindrucksvoll, inwiefern sich die europaweit entstandenen ökonomischen Sozietäten bei allen Unterschieden ähnelten – darunter in ihrer lokalen Ausrichtung und Wirkabsicht. Obwohl sie sich (anders als etwa die Freimaurer) nur selten in Dachverbänden zusammenschlossen, glichen sie sich durch „processes of comparison, collaboration and emulation“ (S. 21) einander an. Allen gemeinsam war zuvorderst ihr Patriotismus bzw. ihr Impetus, dem „gemeinen Nutzen“ zu dienen. Während die Zusammensetzung der Mitglieder jeweils variierte, handelte es sich doch, gut nachzuvollziehen in diesem Band, in der Regel um Vertreter einer gebildeten Mittelschicht und der lokalen Eliten. Auffallend ähnlich waren auch die Inhalte: dominierend die Landwirtschaft, hernach Gewerbe, „Volksaufklärung“ und Armenfürsorge sowie die Wissenspraxis der einzelnen Sozietäten, welche von Preisaufgaben über Publikationen bis hin zu Anbauversuchen reichte. Die in der Forschung bereits deutlich herausgearbeitete Methodik der ökonomischen Sozietäten, nützliches Wissen zu sammeln, zu prüfen und zu verbreiten2, wird im Grunde durch alle Beiträge dieses Bandes bestätigt.

Die Bestätigung bestimmter Thesen im internationalen Vergleich wäre für sich bereits ein Gewinn. Die Herausgeber gehen jedoch darüber hinaus, indem sie die Sozietäten in den Kontext politisch-ökonomischer Debatten eines Montesquieu, David Hume oder Adam Smith stellen. Unter politisch ambitionierten Schriftstellern kursierte die Frage, ob wirtschaftlicher Wettbewerb den Staaten eher Frieden oder im Gegenteil mehr Krieg bringen würde: „As such, economic societies were local instruments that served a patriotic function in concrete state development inspired by an idea of the future of the interstate system.“ (S. 2) Wie staatswirtschaftlich dachten also die lokal wirkenden ökonomischen Sozietäten? Oder indirekter: Wie reagierten die lokalen Sozietäten auf die Macht großer Handelsnationen und den „blutlosen“ Wirtschaftskrieg auf internationalen Märkten?

Der Spagat zwischen Sozietät und Weltmarkt war zum Teil allerdings recht breit. Waren ökonomische Sozietäten nicht in ausgewiesenen Handelsregionen wie den Vereinigten Niederlanden situiert, dann debattierten sie eher über Kartoffeln, Allmendeteilungen oder die Veredelung von Schafvieh als über den Handel, geschweige denn über das europäische Staatensystem und dessen Zukunft. Der Fokus der meisten Sozietäten auf die private Landwirtschaft statt auf eine „public economy“, wie es in der finnischen Sozietät hieß (S. 314), verleiht der programmatischen Fragestellung der Herausgeber eine gewisse Spannung, die in der Einleitung deutlich spürbar ist. Wiederholt ist dort von einer „impliziten“ politischen Agenda die Rede: Wenngleich ihr konkretes Ziel nicht die Entwicklung politischer Visionen gewesen sei, hätten die Sozietäten mit ihren „practical improvements“ dennoch zur Auflösung sozialer und ökonomischer Probleme auf europäischer Ebene beigetragen (S. 10). Damit zusammen hängt die weitere, nicht uninteressante Komplikation, dass die Rede von Märkten, Wachstum und Wettbewerb, mithin das ganze konzeptuelle Gerüst einer klassischen Wirtschaftstheorie, das in der Fragestellung mitschwingt, den meisten historischen Akteuren noch kaum vertraut sein konnte. Es hätte der Einleitung nicht geschadet, an die Geschichte der Wirtschaftstheorie zu erinnern: zum Beispiel daran, dass Adam Smiths Wohlstand der Nationen erst 1776 erschien – jener Text, mit dem, kurz gesagt, merkantiles und physiokratisches Denken abgelöst und wirtschaftsliberale Prinzipien auf den Begriff gebracht wurden. Viele der Beiträge demonstrieren, inwiefern zum Beispiel die Idee eines freien Marktes, der zum Besten aller wirkt, im 18. Jahrhundert noch neu war und politisch kaum zugelassen wurde. Die Leipziger Sozietät gab denn auch als ihren Gegenstand nicht wirtschaftliches Wachstum an, sondern „everything relating to the question of subsistence“ (S. 195).

Wie konnten also historische Sozietäten den Wettbewerb auf internationalen Märkten in Relation zu fürstlichen Außen- und Wirtschaftspolitiken setzen sowie ihre eigene Funktion im Rahmen des Ganzen beurteilen? Sie konnten es nicht, soviel steht fest, mit dem ausgereiften volkswirtschaftlichen Vokabular des 19. Jahrhunderts; und sie wollten es nicht, denn es war ihnen bekanntlich nicht daran gelegen, sich an einer makroökonomischen Theoriebildung, der political economy ihrer Zeit, zu beteiligen. In der Fragestellung des Bandes hätte demgemäß noch deutlicher unterschieden werden können zwischen einer makroökonomischen Reflexion in der intellektuellen Produktion der Sozietäten einerseits und einer makroökonomischen Funktion der Sozietäten andererseits, die ihnen auch unabhängig vom Stand der damaligen Wirtschaftstheorie und vom intellektuellen Anspruch der Sozietäten zugeschrieben werden kann. Auf beide Fragen liefern die Beiträge in diesem Band Antworten, und den interessierten Leser/innen sei deren Lektüre ans Herz gelegt.

Es folgen aus dem Inhalt noch einige Schlaglichter: Jealousy of Trade spielte naturgemäß vor allem für Sozietäten eine Rolle, deren heimische Wirtschaft auf dem Außenhandel beruhte, oder die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einer Handelsmacht standen. Die schottische und die irische Sozietät reagierten beispielsweise bewusst auf ihre Position im wachsenden britischen Handelsimperium; um eine Konkurrenz mit England zu vermeiden, förderten sie das Nischenprodukt Leinen als Ergänzung zur englischen Wolle. Die Dublin Society betrieb zudem eine massive Landwirtschaftsförderung mit dem Ziel, Irland unabhängig von Lebensmittelimporten zu machen. Sie wurde damit, wie der Beitrag zur Bretonischen Sozietät zeigt, zu einer Blaupause für andere landwirtschaftliche Regionen im Dunstkreis großer Handelsmächte. Die Voraussetzungen für einen ökonomischen Patriotismus im Hinblick auf die Konkurrenz europäischer Staaten auf internationalen Märkten waren in den föderal verfassten Vereinigten Niederlanden, deren Häfen im Mittelalter Umschlagplatz des Welthandels gewesen waren, dagegen nicht gegeben. Im Beitrag zur Sozietät der Provinz Zeeland wird deutlich, ein wie intensiver Kampf um Wettbewerbsvorteile bereits unter den einzelnen Provinzen der ehemaligen Handelsmacht herrschte, die sich nicht auf eine gemeinsame Außenhandelspolitik einigen konnten.

Die Befürwortung einer Schutzpolitik der heimischen Märkte sowie das Streben nach wirtschaftlicher Autarkie und nach einer positiven Handelsbilanz – das heißt merkantilistische und physiokratische Grundsätze – umreißen den ökonomischen Werthorizont fast aller Sozietäten. In Bern wurden beispielsweise der Getreide- und der Butterhandel bis in die frühen 1790er-Jahre stark reguliert. Viele Sozietätsmitglieder unterstützten den „paternalistischen Stil“ ihrer Regierung, den die Autoren als einen Wirtschaftsstil des Ancien Régime kennzeichnen und mit dem die Härten eines internationalen Wettbewerb vermieden sowie wirtschaftliche Autarkie befördert werden sollten. Erst „[t]owards the end of the eighteenth century, notions of free trade and the public benefits of self-interested competition became more prominent in debates within the Economic Society” (S. 180).

Sozietäten, deren expliziter Gegenstand die politisch-ökonomische Theoriebildung war, sind bereits dem Namen nach als eher akademische Vereinigungen zu erkennen. Exemplarisch sei die Mailänder Accademia dei pugni (1760–1780) genannt, in deren Zeitschrift Il Caffè Überlegungen der Mitglieder zur internationalen Handelspolitik erschienen. Hier scheint auch die martialische Rhetorik eines „bloodless war“ auf, welche typischerweise aus den Federn politischer Autoren floss, in der Regel aber nicht in der praktischen Ratgeberliteratur einer durchschnittlichen ökonomischen Sozietät zu finden war. Die Grenzen zwischen ökonomischen Sozietäten und gelehrten Vereinigungen waren, wie die Herausgeber zu Recht in ihrer Einleitung bemerken, fließend (S. 18f.). Es stellt sich dennoch die Frage, ob eine Klassifizierung der Mailänder und anderer intellektueller Vereinigungen eher als literarische oder gelehrte statt als ökonomische Sozietäten angemessener gewesen wäre.3 Die Entscheidung, auch diese Vereinigungen in die Betrachtung einzubeziehen, bereichert freilich schon des Kontrastes wegen den Sammelband.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Während bei politisch ambitionierten Autoren wie Arthur Young auch die Landwirtschaft Teil einer politischen Vision sein konnte, waren die meisten Sozietätsmitglieder keine Nationalökonomen avant la lettre. Die Aktivitäten der ökonomischen Sozietäten im makroökonomischen Kontext ihrer Zeit zu verorten und zu interpretieren, ist allerdings eine innovative Forschungsperspektive, die nicht zuletzt hilft, den ökonomischen Patriotismus als Deckmantel ganz unterschiedlicher Interessen zu entlarven.

Anmerkungen:
1 Istvan Hont, Jealousy of Trade: International Competition and the Nation-State in Historical Perspective, Cambridge 2005.
2 Vgl. etwa Henry E. Lowood, Patriotism, Profit, and the Promotion of Science in the German Enlightenment: The Economic and Scientific Societies, 1760–1815, New York 1991; André Holenstein / Martin Stuber / Gerrendina Gerber-Visser (Hrsg.), Nützliche Wissenschaft und Ökonomie im Ancien Régime. Akteure, Themen, Kommunikationsformen, Heidelberg 2007; Marcus Popplow, Economizing Agricultural Resources in the German Economic Enlightenment, in: Ursula Klein / Emma C. Spary (Hrsg.), Materials and Expertise in Early Modern Europe: Between Market and Laboratory, Chicago 2010, S. 261–287.
3 Analog zu Richard van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt am Main 1986.

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