B. Eckhardt: Ethnos und Herrschaft

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Titel
Ethnos und Herrschaft. Politische Figurationen judäischer Identität von Antiochos III. bis Herodes I.


Autor(en)
Eckhardt, Benedikt
Reihe
Studia Judaica 72
Erschienen
Berlin 2013: de Gruyter
Anzahl Seiten
IX, 458 S.
Preis
€ 129,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Wilker, Department of Classical Studies, University of Pennsylvania

Ziel des vorliegenden Buches, das auf eine an der Universität Bochum angenommene Dissertation zurückgeht, ist eine Diskussion und neue Bewertung von zwei wesentlichen Themenfeldern in der Geschichte Judaeas in der späten hellenistischen und frühen römischen Zeit: die Frage nach der Identität und nach der Herausbildung, Entwicklung und Legitimation unterschiedlicher Herrschaftsformen. Insbesondere die Frage nach der Definition des jüdischen ethnos als Volk oder Nation, auf der Basis von Religionszugehörigkeit, Abstammung oder Herkunftsregion wird seit vielen Jahren in der Forschung diskutiert, ohne dass sich ein Konsens abzeichnet.1 Das anzuzeigende Buch versteht sich als Beitrag zu dieser Frage, erklärtes Ziel ist aber, über die engen Grenzen dieser Diskussion hinauszugehen. Benedikt Eckhardt verweigert daher eine Antwort von universaler Gültigkeit für die Frage nach der Definition von ethnos, sondern geht im Gegenteil von einem flexiblen Konzept aus, das sich den Rahmenbedingungen und der historischen Entwicklung anpasste und weiterentwickelte; von ihm wird in diesem Zusammenhang (etwas umständlich) der Begriff der Figuration verwandt. Dabei postuliert er grundlegend einen Zusammenhang, ja eine Wechselwirkung zwischen diesen Figurationen von ethnos und Identität auf der einen und den sich in Judaea im behandelten Zeitraum so rasch und grundlegend wandelnden Herrschaftsformen auf der anderen Seite.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptkapitel. Dabei wird zunächst eher allgemein die Verbindung von Herrschaftsrepräsentation und ethnischer Figuration behandelt. Die beiden anschließenden Kapitel untersuchen dann in detaillierter Form zunächst die politischen Ordnungen, anschließend die Frage nach Zugehörigkeit und genealogischen Konstruktionen. Chronologisch wird dabei jeweils zunächst die Zeit der seleukidischen Herrschaft vor dem Makkabäeraufstand, die Periode der Hasmonäer und schließlich das Königtum des Herodes behandelt.

Die Untersuchung in Kapitel 2 setzt bei dem berühmten, etwa um 200 v.Chr. verfassten Brief Antiochos’ III. an die Juden an, in dem der seleukidische König dem jüdischen ethnos unter anderem die Beibehaltung der patrioi nomoi gewährte2 und der den erste Beleg für die Bezeichnung der Juden als ethnos darstellt. Dabei akzeptiert Eckhardt ethnos zwar als seleukidischen Verwaltungsbegriff, verneint aber jegliche Schlussfolgerungen, die sich daraus für die Struktur oder den Charakter des so bezeichneten Gemeinwesens ergeben hätten. Vielmehr sei es für Antiochos III. darum gegangen, die bestehenden Strukturen in Judaea für sich zu nutzen und so aus eigenem Interesse den Jerusalemer Tempel und die Priesterschaft zu stärken. Für die Zeit der seleukidischen Herrschaft konstatiert Eckhardt damit im Wesentlichen Zentralisierungstendenzen, die sich aus den imperialen Strukturen des Seleukidenreiches ergaben. Die vom Hohepriester Jason initiierten Reformen, die in der Umwandlung Jerusalems in eine Polis kulminierten, interpretiert er im Rahmen dieser Zentralisierungstendenzen, ohne jedoch von einer zwangsläufig damit einhergehenden tiefgreifenden Strukturveränderung auszugehen. Das Religionsedikt Antiochos’ IV. schließlich versteht Eckhardt als Reaktion auf einen tatsächlichen oder zumindest angenommenen Abfallversuch, der ursächlich weder mit den Reformen Jasons noch den Auseinandersetzungen zwischen „Hellenisierern“ und traditionellen Kräften in Zusammenhang gestanden habe. Vielmehr reagierte Antiochus lediglich auf eine tatsächliche oder so wahrgenommene Bedrohung seiner Herrschaft, indem er den Juden das Recht, nach den patrioi nomoi zu leben, entzog. Im Rahmen der Verfolgung jedoch wurden die lokalen Bräuche und religiösen Vorschriften zu einem zentralen Definitionsfaktor für die Wahrnehmung ebenso wie die Identität der Juden.

Unter Bezug auf insbesondere die ersten beiden Makkabäerbücher rekonstruiert Eckhardt anschließend, wie unter der sich etablierenden Herrschaft der Hasmonäer die entsprechenden Rituale zunehmend in den Fokus der Identitätskonstruktionen rückten und damit erst zum entscheidenden Kriterium für die Zugehörigkeit zum ethnos wurden. Dies erklärt er durchaus überzeugend mit den Herausforderungen der Hasmonäer, sich als Herrscher und Hohepriester legitimieren zu müssen, doch erscheinen die deutlich auszumachenden Unterschiede zwischen 1Makkabäer als einem Produkt zumindest (semi-)offizieller Propaganda und 2Makkabäer als einem doch zumindest der späteren Dynastie gegenüber in deutlicher Distanz stehendem Text zu stark nivelliert. Oppositionelle Strömungen reagierten auf diese Neuformierung des ethnos durch alternative Definitionen, wie sie sich etwa in den Qumranschriften finden. Nach der Eroberung Judaeas durch Pompeius im Jahr 63 v.Chr. und insbesondere mit der Einsetzung des Herodes als Klientelkönig 40/37 v.Chr. musste die Ethnos-Figuration erneut den veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden. Dies führte zu einer zunehmenden Integration in das Imperium Romanum sowie zu einer verstärkten Einbeziehung der Diasporajuden. Dabei fällt aus Mangel an zeitgenössischen Quellen die Analyse jedoch eher knapp aus, da Eckhardt in Flavius Josephus hauptsächlich nach-herodische Deutungen reflektiert sieht.

Das dritte Kapitel diskutiert die Wechselwirkungen zwischen politischer Ordnung, Herrschaftsrepräsentation und den jeweils bemühten Konzeptionen von Identität und Zugehörigkeit in detaillierter Form. Dabei zeigen die wenigen Quellen, die Aufschluss über die vormakkabäische Zeit geben, eine Konzentration auf die Figur des Hohepriesters, doch interpretiert Eckhardt dies sicherlich zu Recht primär als Ausdruck der Selbst-Legitimation der Jerusalemer Elite. Freilich galt der Hohepriester jedoch als Repräsentant der Juden gegenüber der seleukidischen (und zuvor der ptolemäischen) Reichsverwaltung, auch wenn seine tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten hier als eher gering eingeschätzt werden. Dies änderte sich gewaltig mit den Erfolgen der Makkabäer: Aufgrund der internen Krise des Seleukidenreiches erreichte zunächst Jonathan und ihm nachfolgend Simon die Anerkennung durch die jeweiligen seleukidischen Machthaber, die sie einerseits – den Traditionen entsprechend – als Hohepriester bestätigten, ihnen andererseits aber immer mehr politische Rechte zuerkannten. Mit der wachsenden Unabhängigkeit insbesondere unter Simon habe diese Verbindung von religiöser und politischer Autorität dann eine zunehmende Eigendynamik gewonnen und sei schließlich zum Kern und Fundament hasmonäischer Herrschaft geworden. Aufgrund der entsprechenden Rückwirkungen auf die Ethnos-Konzeption sieht Eckhardt auch die Einführung des Ethnarchentitels unter Simon begründet. Mit der Übernahme des Königstitels durch Aristobulos (104 v.Chr.) habe sich zwar das politische System wenig geändert, das jüdische ethnos sei damit aber auf eine Stufe mit den umliegenden Staaten gehoben worden. Dagegen sieht Eckhardt die anti-monarchischen Passagen in zeitgenössischen Quellen weniger als Ausdruck einer grundlegenden Ablehnung der Monarchie, sondern vielmehr als Beitrag zur weiter gefassten Diskussion der jüdischen Traditionen, deren politische Dimension in der modernen Forschung überschätzt worden sei. Die Einsetzung der Herodes durch Rom bedeutete schließlich das Ende des Priesterkönigtums, wobei Eckhardt, mit der gebotenen Vorsicht, von einer Anlehnung an die Davidtradition als alternativem Legitimationsmodell ausgeht.

Das vierte Kapitel schließlich untersucht die Zusammenhänge von Genealogie und Herrschaft bzw. Zugehörigkeit und Abstammung. Dabei wird deutlich, dass der genealogischen Definitionsgrundlage von Zugehörigkeit im judäischen Kontext zwar besondere Relevanz zukommt, die biblischen Traditionen aber eine Vielzahl von Anschlussmöglichkeiten boten, die je nach Zeitumständen und politischen Rahmenbedingungen unterschiedlich und durchaus flexibel interpretiert wurden. Die in dem hier untersuchten Zeitraum prägenden Dynastien zunächst der Oniaden, dann der Makkabäer/Hasmonäer und schließlich des Herodes mussten jeweils eigene dynastische Konzepte zur Herrschaftslegitimation entwickeln. Dabei kommt erneut insbesondere den Hasmonäern besondere Bedeutung zu, die als neue Herrscherfamilie nicht allein auf Herkunft als Legitimation zurückgreifen konnten, sondern das Abstammungskriterium zumindest komplementär durch einen Fokus auf legitimierende Taten ergänzen mussten. Diese Spannung zwischen Legitimation durch Herkunft und Legitimation durch Verdienst nahm unter der Herrschaft des Herodes noch zu, doch bleibt Eckhardt hier erneut mit Verweis auf fehlende zeitgenössische Quellen bei eher allgemeinen Feststellungen. Im weiteren Zusammenhang der maßgeblichen Kriterien für die Zugehörigkeit zum jüdischen ethnos schließlich erforderte die ab der Regentschaft Hyrkanos’ I. einsetzende Expansion eine Neuorientierung, in deren Folge die Judaisierungspolitik die Zugehörigkeit durch Beschneidung ermöglichte.

Im Allgemeinen erweist sich die hier vorgenommene Diskussion von ethnos als einem flexiblen und von den politischen Rahmenbedingungen abhängigem Konzept als schlüssig und den rapiden historischen Entwicklungen in Judaea in der späthellenistischen und frühen römischen Zeit angemessen. Zu Recht weist Eckhardt darauf hin, dass die große Mehrheit der zur Verfügung stehenden Quellen die Sicht einer Elite reflektiert und die hier vertretenen Interpretationen von ethnos daher im Kontext der sozialen Hierarchien und der politischen Herrschaftsverhältnisse verstanden werden müssen. Die Unterteilung in die oben aufgeführten drei Hauptkapitel führt jedoch zuweilen zu Redundanzen und verwischt teilweise die Wechselbeziehungen zwischen Herrschaftskonzept (bzw. „Herrschaftsrepräsentation“) und Ethnos-Vorstellung. Der hier gewählte Zugang wird zudem durch die unsichere Datierung der meisten verfügbaren Quellen erschwert, die Ablehnung der Schriften des Flavius Josephus als Quelle für die Zeit des Herodes erscheint in diesem Zusammenhang (und im Vergleich zu den anderen verwandten Quellen) als überkritisch. Ungeachtet dieser Kritik jedoch ist die Betonung der sich verändernden Definitionsparameter gerade angesichts zuweilen noch immer zu findender Vorstellungen einer allgemeingültigen Definition von Identität und einer damit einhergehenden Herrschaftsform begrüßenswert und weiterführend. Drei Appendices (zum von Julius Caesar an Hyrkanos II. verliehenen Ethnarchentitel, zu den Zadokiden und zum Gebrauch von ethnos, laos und demos in den Makkabäerbüchern), ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie drei Indices zu modernen Autoren, Namen und Sachen sowie antiken Quellen runden das Werk ab.

Anmerkungen:
1 Vgl. einschlägig dazu etwa Doron Mendels, The Rise and Fall of Jewish Nationalism, New York 1992; Shaye Cohen, The Beginnings of Jewishness. Boundaries, Varieties, Uncertainties, Berkeley 1999; David Goodblatt, Elements of Ancient Jewish Nationalism, Cambridge 2006; Steve Mason, Jews, Judaea, Judaizing, Judaism: Problems of Categorization in Ancient History, in: Journal for the Study of Judaism 38 (2007), S. 457–512; Daniel R. Schwartz, „Judean“ or „Jew“? How should we translate Ioudaios in Josephus?, in: Jörg Frey / Daniel R. Schwartz / Stephanie Gripentrog (Hrsg.), Jewish Identity in the Greco-Roman World, Leiden 2007, S. 92–109; Steven Weitzman, On the Political Relevance of Antiquity: A Response to David Goodblatt’s Elements of Ancient Jewish Nationalism, in: Jewish Social Studies 14 (2008), S. 165–172; Seth Schwartz, Were the Jews a Mediterranean Society? Reciprocity and Solidarity in Ancient Judaism, Princeton 2010; David Goodblatt, Varieties of Identity in Late Second Temple Judah (200 BCE – 135 CE), in: Benedikt Eckhardt (Hrsg.), Jewish Identity and Politics between the Maccabees and Bar Kokhba. Groups, Normativity, and Rituals, Leiden 2012, S. 11–27.
2 Jos. AJ 12,138–144.

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