B. Hock: Gendered Artistic Positions and Social Voices

Cover
Titel
Gendered Artistic Positions and Social Voices. Politics, Cinema, and the Visual Arts in State-Socialist and Post-Socialist Hungary


Autor(en)
Hock, Beata
Reihe
Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 42
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva Pluhařová-Grigienė, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Analysekategorie Gender ist im Kanon einer kritischen historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung mittlerweile fest verankert, auch wenn, wie Bojana Pejić feststellt, das Wort „Feminismus“ zwischen dem Baltikum und dem Balkan zumeist nur im Schutz der Dunkelheit ausgesprochen wird.1 Bezogen auf Mittel- und Osteuropa konzentrieren sich Untersuchungen der „Geschlechterfrage“ seit den letzten zwei Jahrzehnten vor allem auf die politische, soziale und wirtschaftliche Transformation sowie auf die Konstruktion und den Wandel von Identitäten im und nach dem Staatssozialismus.2 Im Zuge dieses Interesses wurde auch eine Revision der Kunstgeschichte angegangen und dem bislang weitestgehend fehlenden weiblichen Anteil in ihr Raum gegeben sowie nach feministischen Positionen von Künstlerinnen gefahndet.3 Deren vermeintliche Abwesenheit in der ungarischen Kunstproduktion bildet den Ausgangspunkt für die vorliegende Studie Beata Hocks, die das überarbeitete Material ihrer Dissertation an der Central European University in Budapest (2009) präsentiert.

Beata Hock konzentriert sich bei ihrer Untersuchung der weiblichen Absenzen und Präsenzen in der visuellen Kultur Ungarns auf das Film- und Kunstschaffen des Landes von 1945 bis 2005. Und dies in einem doppelten Sinne: zum Einen bezogen auf das Wirken von bildenden Künstlerinnen und Frauen, die an der Produktion von Spielfilmen beteiligt waren, und zum Anderen als Thema in diesen Medien. Ziel ist es, diejenigen ideologischen Umstände zu ermitteln, die weibliche Subjektivität geformt und Weiblichkeit im staatssozialistischen und post-sozialistischen Ungarn konstruiert haben. Damit stehen nicht, wie in der traditionellen Kunstgeschichte, Werk und Künstlerpersönlichkeit im Zentrum des Interesses, sondern werden diese innerhalb ihrer sozio-kulturellen und politischen Kontexte betrachtet, die die gesellschaftlichen „Sprecherinnen-Positionen“ für Frauen vorgeben und ihre künstlerische Agenda beeinflussen. Es geht damit um eine Identifizierung, derjenigen „kind of messages that the two different political systems in Hungary communicted to women through their political discourses, actual legistlation, and social policies.“ (S. 11)

Um dieses komplexe Vorhaben umzusetzen, verbindet Beata Hock souverän Theorieansätze und Methoden aus Kunstgeschichte, Filmwissenschaften, Gender Studies und Soziologie mit postkolonialer Kritik. Für die Revision dieser Wissenschaftsfelder und der Herleitung ihres eigenen Ansatzes benötigt sie den ersten der vier Teile, die das Buch gliedern. Im Kern beinhaltet ihr semiotischer Ansatz die Lektüre von Kunstwerken als Text sowie die Betrachtung der Künstlerinnen als soziale Subjekte. Obwohl eine solche poststrukturalistisch informierte, kulturrelativistische Herangehensweise sinnvoll ist, so ist sie doch im Kontext der Forschung zu Gender und Kunst in Osteuropa nicht neu.4 Der besondere Wert des Ansatzes der Studie liegt vielmehr in seiner konsequent eingehaltenen kritischen Überprüfung auch der jüngeren Sekundärliteratur zum regionalen Kunst- und Filmschaffen.

Dort wird die feministische Fehlstelle für gewöhnlich der Politik der staatssozialistischen Regierungen zugeschrieben, für die zwar die Emanzipation der Frauen zum ideologischen Kernbestand gehörte und die bis zu einem gewissen Grad die institutionellen und materiellen Bedingungen für die Gleichstellung der Geschlechter bereitete, gleichzeitig aber jedwede Form einer sozialen Bewegung – damit auch eines Feminismus – verhinderte. Nach 1989 hätten diesen Faktoren angesichts der prekären Wirtschaftslage (Rückbau des Sozialstaats, Bevorzugung männlicher Arbeitskräfte) und durch eine reflexhafte Ablehnung der vorangehenden dominanten Diskurse zu einer Re-Traditionalisierung der Geschlechterverhältnisse geführt. Soweit ist sich Beata Hock mit der gängigen Interpretation einig. Da es also keinen „echten“ Feminismus von unten gegeben hätte, so fasst sie die jüngere feministische Forschung zusammen, gäbe es auch keine relevante feministische Kunstproduktion. Selbst Unternehmungen wie das Maßstab setzende Ausstellungsprojekt „Gender Check“, das den bislang dominanten westlichen Diskurs korrigieren möchte, suggeriere, dass die Kunstgeschichten Osteuropas nur ein pro- oder protofeministisches Engagement vorgebracht hätten. (S. 33) In kritischer Anlehnung an die postkolonial inspirierte Frauenforschung zu Osteuropa (Susan Gal, Gail Kligman) misstraut Beata Hock diesem Urteil, das verkennt, dass Geschlechterkonzeptionen ortsspezifisch geprägt sind und historischem Wandel unterliegen. Aber auch außerhalb der Gender-Forschung sei der westlich geprägte Wissenschaftsdiskurs nach wie vor Ton angebend: selbst Piotr Piotrowski, der zwar eine revisionistische Kunstgeschichte anstrebe,5 habe keinen unabhängigen Referenzrahmen entwickelt, der von genuinen lokalen Konstellationen ausgeht und eine eigene Terminologie entwickelt. (S. 39)

Bereits der Begriff „Feminismus“ ist in diesem Sinne problematisch und wird von Beata Hock deshalb in Anlehnung an Kumari Jayawardena als Bewusstsein der Benachteiligung von Frauen und der Entschlossenheit, diese zu ändern definiert (S. 34f.). Dieses erweiterte Konzept ist in Bezug auf Ungarn wichtig, da Frauen ihr künstlerisches Schaffen dort nur im Ausnahmefall als feministisch bezeichnet, aber nichtsdestotrotz emanzipatorische Probleme thematisiert hätten. Nachdem sie im zweiten Teil der Studie die gesellschaftspolitischen Schlüsselentwicklungen in Bezug auf die Geschlechterrollen im Staats- und Post-Sozialismus dargestellt hat, kann Hock in Teil drei somit in Bezug auf die Filmproduktion überzeugend eine Korrelation zwischen den nicht-kommerziellen Produktionsbedingungen im Staatssozialismus, dem wachsenden Anteil von Frauen im Produktionsprozess und der Darstellung von nuancierten und komplexen Frauenfiguren in Filmen darlegen. Beide haben nach 1989 unter kapitalistischen Schaffensbedingungen drastisch abgenommen.

Anders verhält es sich im Kunstbereich, der im letzten Teil behandelt wird. Während die Filmindustrie für die Beteiligung von Frauen sowie die Darstellung von variantenreichen Frauenbildern ein günstiges Feld geboten hätte, so ihr Fazit, habe das maßgebliche modernistische Paradigma in der Kunst eine solche Entwicklung im Wesentlichen verhindert. Allerdings kann Hock durch Archivfunde und die Wiederentdeckung von vergessenen Kunstwerken das Urteil, Künstlerinnen dieser Zeit hätten kein Interesse an Gender-Themen gehabt, revidieren. Jedoch habe auch das in den 1990er Jahren sprunghafte Ansteigen des Frauenanteils an Kunsthochschulen nicht zur Etablierung einer nachhaltigen künstlerischen Hinterfragung von Frauenrollen in der (post-sozialistischen) Gesellschaft geführt. Die wichtigsten Beweggründe sieht sie hier in einer Tradierung von Einstellungen aus sozialistischer Zeit: Dort sei für Künstlerinnen Gleichberechtigung vor allem ein privates Anliegen gewesen, wie es das System auch erfolgreich zu vermitteln suchte. Zudem war ein politisches Engagement in der Kunst verpönt, so dass noch bis in die 2000er Jahre die Kunstausbildung in Ungarn vom Ansatz her apolitisch und unkritisch gewesen sei.

Beata Hock ist eine differenzierte und in weiten Teilen als Pionierleistung zu wertenden interdisziplinäre Studie zur visuellen Kultur Ungarns in ihren wandelnden lokalen und internationalen Bezügen im Laufe von 60 Jahren gelungen. Ihr Wert liegt nicht zuletzt in der gewissenhaften Dekonstruktion der kulturwissenschaftlichen Forschung der letzten 20 Jahre in Bezug auf Osteuropa und Gender. Die hierzu angeführten multiplen Konzepte aus verschiedenen Disziplinen und deren spezifische Terminologie lassen den Lesefluss jedoch stellenweise stocken. Eine größere Stringenz hätte hier gut getan, zumal die eigentlichen Analyseteile zwei bis vier einleitend die jeweils relevanten theoretischen Standpunkte und methodischen Fragen gesondert erläutern.

Anmerkungen:
1 Bojana Pejić, Eppur sie muove! Introduction, in: Dies. / ERSTE Foundation / Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Vienna (Hrsg.), Gender Check: A Reader – Art and Theory in Eastern Europe, Köln 2010, S. 13–35, hier S. 35.
2 Vgl. zusammenfassend Shana Penn / Jill Massimo, Introduction, in: Dies. (Hrsg.), Gender Politics and Everyday Life in State Socialist Eastern and Central Europe, New York 2010, S. 9–10, bes. Anm. 2.
3 Erstmals umfassend zum Thema bezogen auf den Großraum Osteuropa die Ausstellung „Gender Check - Rollenbilder in der Kunst Osteuropas“ (13.11.09 - 14.02.10, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien; 19.03.10 - 13.06.10, Zachęta – Narodowa Galeria Sztuki, Warszawa) mit begleitendem Katalog und Reader, der Texte von ForscherInnen aus den Ländern Ostmitteleuropas versammelt, zahlreiche davon zum ersten Mal ins Englische übersetzt, vgl. Anm. 1.
4 Vgl. die im Reader „Gender Check“ vertretenen Artikel, stellvertretend etwa Martina Pachmanová, In? Out? In Between? Some Notes on the Invisibility of a Nascent Eastern European Feminist and Gender Discourse in Contemporary Art Theory, in: Gender Check: A Reader 2010, S. 37–54.
5 Hock bezieht sich vor allem auf: Piotr Piotrowski, In the Shadow of Yalta. Art and the Avant-garde in Eastern Europe, 1945–1989, London 2009.

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