Pomp and Circumstance

Veranstalter
Schloß Wernigerode GmbH
Ort
Wernigerode
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.07.2014 - 02.11.2014

Publikation(en)

Juranek, Christian; Feldhahn, Ulrich (Hrsg.): Pomp and Circumstance. Das deutsche Kaiserreich und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Wettin-Löbejün 2014 : Verlag Janos Stekovics, ISBN 978-3-89923-328-5 400 S., zahlr. Abb. € 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Das Jahr 2014 ist so sehr von Debatten, Gedenkveranstaltungen und Ausstellungen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bewegt, dass sich einige Historiker und Fachjournalisten bereits als "weltkriegsmüde" bezeichnen. Unter umgekehrten Vorzeichen zeigt die Ausstellung "Pomp and Circumstance. Das deutsche Kaiserreich und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg" auf Schloß Wernigerode den Ennui der regierenden Aristokratie, die prunksüchtig, dekadent und abgelebt in den Ersten Weltkrieg taumelte. Zu Unrecht steht sie im Schatten der großen Weltkriegs-Ausstellungen, etwa im Deutschen Historischen Museum in Berlin oder im Haus der Geschichte in Stuttgart, die zweifellos eine modernere Anmutung bieten, sich am Ende aber auch nur Militaria, etwa den Stahlhelm Ernst Jüngers, hin- und herschicken, um Besucher anzuziehen.

Die Ausstellung in Wernigerode geht zeitlich und programmatisch andere Wege. Zum einen stellt sie nicht das Schlachtengetöse, sondern die letzten Jahre vor dem Ausbruch des Weltkrieges in den Mittelpunkt, in denen hochadlige Repräsentation und Prachtentfaltung einen Höhepunkt erlebten, bevor 1918 die Monarchie als Staats- und Gesellschaftsform unterging. Zum anderen kann sie mit einigen spektakulären Leihgaben ehemals regierender Häuser und ihnen zugehöriger Adelsfamilien aufwarten, die bisher noch nicht öffentlich zu sehen waren, darunter ein sensationelles Gemälde, das die berüchtigte "Liebenberger Tafelrunde" um den Kaiserfavoriten Philipp Eulenburg zeigt.

Die Ausstellung mag insgesamt konventionell gestaltet sein, etwa im Vergleich zu der mit neuesten Projektionstechniken arbeitenden Weltkriegs-Ausstellung in Stuttgart.1 Dafür wurde der Genius Loci des Schlosses Wernigerode, ein kleines Neuschwanstein am Rande des Harzes, geschickt genutzt: Zahlreiche mit blauen "Pomp and Circumstance"-Schildern versehene Stücke wurden in die Dauerausstellung des Schlosses integriert, die so eindrücklich die hochadlige Wohnkultur und Lebensführung des Kaiserreiches zum Ausdruck bringt, dass sogar die DDR sie als "Feudalmuseum" konservierte. Schloß Wernigerode, landschaftlich prächtig mit Blick auf den Brocken gelegen, ist ein typisch historistisch-eklektisches Bauwerk der Epoche Ludwigs II. von Bayern, das den Geschmack des wilhelminischen Deutschland antizipierte. Gleichzeitig wurde es von der gräflichen (ab 1890 fürstlichen) Familie Stolberg-Wernigerode bewohnt und als Dauerresidenz genutzt. Im Kaiserreich existierte eine feste Verbindung zwischen Wernigerode und Berlin: Fürst Otto zu Stolberg-Wernigerode war unter Bismarck Vizekanzler und später als Oberstkämmerer der ranghöchste Höfling am Kaiserhof. Wilhelm II. und seine Entourage waren häufig zu Gast in Wernigerode. In den gut wiederhergerichteten Zimmern des Schlosses entfalten die Leihgaben daher eine ganz andere Wirkung als in den Vitrinen eines Museumszweckbaus.

"Pomp and Circumstance" wird im Deutschen oft als "Glanz und Gloria" übersetzt. In der Ausstellung steht die hochadlige Elite des Kaiserreiches, allen voran der Namensgeber der Epoche, Kaiser Wilhelm II., im Mittelpunkt des Interesses. Im wilhelminischen Kontext, einige Anmerkungen zu den Exponaten weisen in diese Richtung, muß bei Pomp and Circumstance auch immer das Umständliche, Unnatürliche, Launenhafte mitgedacht werden. Die Zeit des Neo-Absolutismus unter dem letzten regierenden Hohenzollern stand in dieser Hinsicht im Gegensatz zur Natürlichkeit der Romantik und der Klarheit der Klassik. Allerdings wurde der Pomp des "Neu-Byzantinismus", wie ihn zeitgenössische Kritiker nannten, mit allen Mitteln des technischen Fortschritts verbunden: Maskenball mit Barockkostümen am Berliner Hof, aber mit Umluftheizung und Parfümautomaten. Kaiserliche Jagden, aber mit automatischen Waffen und Abschußquoten, die das Waidwerk zum Industriebetrieb pervertierten. Nordlandromantik und pseudogermanischer Bardenkult, aber auf Motorbooten mit neuester Waffentechnik der Firma Krupp. Die hocharistokratische Elite mit ihren im Kleinen wie im Großen pompösen Vorlieben ragte in die Ära von rapider Industrialisierung und hektischer Massenkultur als ein feudales Residuum hinein. Das wilhelminische Zeitalter – es ist die Ära der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen par excellence.

Ein Großteil der Exponate auf Schloß Wernigerode erscheint vor diesem Hintergrund als aus der Zeit gefallen. Kaiser Wilhelm II. gerierte sich wie ein mittelalterlicher Monarch, der adligen Äbtissinnen edelsteinverzierte Hirtenstäbe stiftete. Aber auch ihn selbst zog alles Glitzernde an. Zu sehen sind vergoldete und mit Brillanten und Saphiren verzierte Rauch-Sets mit Monogramm des "Allerhöchsten Herren". Oder von Ornamenten überbordende Vasen mit Reichsadler und Berliner Schloss, die Wilhelm II. bei der Segel-Regatta in Cowes als Preis aussetzte. Solche Kleinodien des Kaiserreiches erfüllen die Ausstellung mit Leben und in der Tat mit Glanz. Für diejenigen, die sich nicht durch eine für den Kaiserbesuch gedeckte Tafel im Speisesaal des Schlosses mit Panoramablick auf den Harz überwältigen lassen möchten, sind im opulenten Ausstellungskatalog alle Objekte in ihren Entstehungs- und Gebrauchskontexten erläutert. Aufschlussreich ist hierbei, wie maskulin die wilhelminische Prunksucht geprägt war. Die hohen Damen existierten, äquivalent zu ihrem geringen politischen Einfluss in Deutschland in jenen Jahren, nur als „Seelchen an seiner Seite“.

Den notwendigen Kontrast zu all den Lustobjekten, mit denen sich die Wilhelminer ihr Leben versüßten und vergoldeten, bieten einerseits zahlreiche boshafte Karikaturen des Simplicissimus, die unnachahmlich Dekadenz, Bigotterie und Überlebtheit der Aristokratie aufspießten. Andererseits wurden einige Werke aus dem Kreis um Max Liebermann und der Berliner Sezession integriert, die sich – sie sind in einem Raum angeordnet – scharf mit Flottenbauwahn und Uniformfetisch der "Neudeutschen" beißen, wie der bayerische Gesellschaftskritiker Ludwig Thoma seine Zeitgenossen, süchtig nach Äußerlichkeiten, Materiellem und Unwahrem, zu bezeichnen pflegte. Auch einige Reste des DDR-Feudalmuseums bürsten Prunk- und Verschwendungssucht gegen den Strich der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit, etwa das Gemälde eines Bauern, der pflügend einen Schlossbau auf seinen Schultern trägt. Interessant sind zudem neue Perspektiven auf den aus dem Umfeld der Fürsten Stolberg-Wernigerode stammenden Bildhauer Walter Schott, der die erste Figurengruppe (Albrecht der Bär) für die protzig-neureiche Berliner Siegesallee anfertigen und das wilhelminische Establishment über Jahre mit marmornen Büsten und Skulpturen versorgen durfte.

Die Sensation der Ausstellung aber ist ein bisher unbekanntes Gemälde aus dem Besitz der Familie von Varnbüler; gemalt laut Angaben um 1895 von Hermann Hartwick nach Peder Severin Krøyer. Es zeigt den Kern der „Liebenberger Tafelrunde“ um Fürst Philipp zu Eulenburg-Hertefeld, den bis zu seinem Sturz im sogenannten Eulenburg-Skandal (1906-1909) besten Freund Kaiser Wilhelms II. Zu sehen sind fünf idealisierte Männer in Renaissance-Gewändern, auf denen neben Philipp Eulenburg auch Kuno Graf Moltke sowie Axel von Varnbüler identifiziert werden können. Eulenburg dürfte jedoch, anders als in Ausstellung und Katalog (S. 368) angegeben, die zweite Person von rechts sein. Mit diesem Gemälde liegt nun endlich ein Selbstzeugnis der „Liebenberger Tafelrunde“ vor, das der bisher aufgrund der schriftlichen Quellenlage schwierigen Definition der „Kamarilla“ um Wilhelm II. neue Impulse geben wird. Beeindruckend ist auch ein ebenfalls unbekanntes Gemälde Philipp Eulenburgs aus dem Privatbesitz der Familie Eulenburg (Haus Kolk), das den letzten royalen Favoriten der deutschen Geschichte in Stil und Pose Metternichs zeigt. Ob dadurch auch politisch eine Anlehnung an die Traditionslinie der Reaktion geknüpft werden sollte, wird die weitere Diskussion dieser bedeutenden Funde zeigen.

Heißt „aus der Zeit gefallen“ auch dekadent? Die Debatte um Christopher Clarks „Schlafwandler“, aber auch einige jüngere historische Studien zu Österreich-Ungarn, legen den Schluss nahe, dass die Monarchien Mitteleuropas keinesfalls dem Untergang geweiht waren. Dem Gepränge der Wilhelminer, wie es auf Schloß Wernigerode zu sehen ist, möchte man mit Shakespeare entgegenhalten: „Much ado about nothing“. Zumal der internationale Vergleich, die Prunksucht englischer Kolonialherren wie amerikanischer Börsenmilliardäre, den Pomp der Wilhelminer relativiert. Erschütternd bleibt jedoch das Ausmaß, in dem die traditionelle adlige Elite einen „großen Krieg“, der Millionen Menschen das Leben kosten würde, nicht nur als ein „reinigendes Gewitter“ für die verfahrene Innen- und Außenpolitik des Deutschen Reiches, sondern auch als eine Ablenkung vom Ennui herbeiwünschte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Thomas Thiemeyer: Ausstellungs-Rezension zu: Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne 04.04.2014–01.03.2015, Stuttgart, in: H-Soz-u-Kult, 24.05.2014, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=194&type=rezausstellungenngen>.

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