B. Gibson (Hrsg.): Polybius and his World

Cover
Titel
Polybius and his World. Essays in Memory of F.W. Walbank


Herausgeber
Gibson, Bruce; Harrison, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 416 S.
Preis
£85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix K. Maier, Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Der Sammelband „Polybius and his world“ vereinigt die Beiträge, die 2007 bei einer Konferenz anlässlich des 50. Jahrestags von Frank William Walbanks erstem Kommentarband zu Polybios vorgestellt wurden. Die sehr gründlich durchgeführte Redaktion der Aufsätze führte dazu, dass dieser Band fast zeitgleich mit einem anderen Sammelband zu Polybios publiziert wurde.1 Größtenteils behandeln die Autoren Themengebiete, die bereits von Walbank in seinen Analysen zum Werk des Polybios untersucht worden sind (so etwa Arat, Philipp V. oder die tragische Geschichtsschreibung).2 Im Folgenden kann nur auf einige der Beiträge eingegangen werden; dabei handelt es sich um eine subjektive Auswahl des Rezensenten, die gleichwohl seine Meinung über die wichtigsten Artikel widerspiegelt.

In einer Einleitung, die nach dem Tod von Walbank (2008) verfasst wurde, reflektieren die beiden Herausgeber des Bandes, Bruce Gibson und Thomas Harrison, noch einmal über dessen universitäre Karriere, indem sie einerseits auf die besondere Situation nach dem Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Auswirkungen auf Walbanks Sicht auf die antike und zeitgenössische Geschichte eingehen, andererseits aber auch die Umstände beleuchten, die ihn schließlich zu dem Forschungsthema Polybios brachten. Dieser Beitrag offenbart intime Einblicke in Walbanks politisch-historische Anschauung, präsentiert Meinungen aus kaum bekannten oder nicht veröffentlichten Vorträgen und stellt deshalb einen in dieser Detailtreue noch nie dagewesenen Blick auf das Leben des berühmten Forschers dar. In einem zweiten Beitrag zeichnet John Henderson sehr ausführlich zunächst die akademischen Einflüsse auf Walbank bis zum Zweiten Weltkrieg nach und behandelt anschließend die Genese der drei Kommentarbände zu Polybios. Henderson kann sich auf äußerst interessante Informationen aus dem Briefwechsel zwischen Walbank und der Oxford University Press stützen, die ihm Zugang zu den Archiven gewährte.

John Marincola untersucht sodann die Beziehung zwischen Polybios, Phylarch und der ‚tragischen‘ Geschichtsschreibung. Obwohl es sich dabei, wie der Autor selbst bemerkt, um ein „time-worn theme“ (S. 73) handelt, gelingt es ihm, dieser äußerst schwierig zu verstehenden Thematik weitere wichtige Aspekte abzuringen. Marincola kann zeigen, dass Polybios bei seiner Polemik gegen die ‚tragische‘ Geschichtsschreibung nicht die Darstellung emotionaler Inhalte (vgl. zum Beispiel Scipios Tränen in 38,21), sondern die Erfindung unwahrer Zusammenhänge kritisierte. Darüber hinaus gelingt es Marincola, die für Polybios korrekte Anwendung anderer, damit verbundener Darstellungsprinzipien (etwa enargeia oder emphasis) gegenüber dem von ihm als unangemessen empfundenen Gebrauch abzugrenzen.

Andrew Meadows weist nach, dass Polybios seine Quelle Arat nicht nur bis ins Jahr 220 v.Chr. (dem Ende der Hypomnemata), sondern darüber hinaus auch bis 219/18 v.Chr. benutzte und für jenen Zeitraum vor allem auf Regierungsprotokolle des Politikers zurückgriff. Hans Beck verteidigt Polybios’ selektive Vorgehensweise in der prokataskeuē und führt die Gründe an, weshalb der griechische Historiker in seiner Einleitung bestimmte Aspekte besonders betonte oder auch vernachlässigte.

Craige Champion nimmt sich in seinem Beitrag noch einmal den polybianischen Bericht über den Ausbruch des Ersten Punischen Krieges vor. Er kann in einer genauen philologischen Analyse überzeugend nachweisen, dass Polybios die Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch seitens der römischen Gesellschaft bewusst offen ließ, um seinen römischen und griechischen Lesern eine Interpretation anhand ihrer eigenen Sichtweisen zu überlassen.3 Bruce Gibson zeichnet in seinem Aufsatz nach, auf welche Weise Polybios den Söldnerkrieg vor der Folie von Xenophons Anabasis als eine existentielle und brutale Art des Krieges problematisiert.

Brian McGing und Boris Dreyer beziehen sich auf Walbanks Ansatz, die Figur Philipps V. bei Polybios als die eines Protagonisten einer Tragödie zu begreifen4, und arbeiten dabei interessante narratologische und quellenbezogene Ergebnisse in der Darstellung der Jugend Philipps (McGing) und des Erwachsenenalter (Dreyer) heraus. John Thornton kann in seinem Beitrag zeigen, dass Polybios den didaktischen Aspekt seines Werkes in impliziter Art und Weise auch auf die Römer zu projizieren versuchte, um ihnen eine milde und rechtschaffene Form der Herrschaft vorzustellen, die es den unterworfenen Völkern ermöglichte, auch unter römischer Dominanz ein würdiges Dasein zu führen.

Dass Polybios und Flavius Josephus viele Übereinstimmungen haben, vertritt Erich Gruen mit einer überzeugenden These: Nicht nur schrieben sie über die Unterwerfung eines Volkes durch die Römer, sondern beide vermittelten auch einen Einblick in den unterdrückenden Charakter der neuen Machtkonstellation und zeigten nuanciert, wie man damit umzugehen habe. Christel Müller weist in ihrer Untersuchung darauf hin, dass Polybios’ Bericht über den Aufstieg und Untergang von Böotien (20,4–7) einen rhetorischen Topos darstellt, der eher nach seiner narrativen Funktion als nach seiner historischen Belehrung beurteilt werden sollte.5

Ausgehend von Grandjeans These, dass Polybios großes Interesse an ökonomischen Faktoren in der Geschichte gezeigt habe6, geht John K. Davies diesem Aspekt nach und kommt zu dem Schluss, dass Polybios, wenn überhaupt, nur indirekt Aufschluss über wirtschaftliche Zusammenhänge vermittle und diese eher unbeabsichtigt über seine Darstellung menschlicher Handlungsweisen beschreibe. Ein Nachwort von Walbanks Tochter („Growing up with Polybius – a daughter’s memoir“) sowie eine Bibliographie und ein exzellentes Stellenregister runden den Band ab.

Das Buch, das aufgrund einiger Aufsätze eigentlich den Titel „Walbank and his Polybius“ führen müsste, zeichnet sich trotz der großen Themenspannweite durch eine sehr kohärente thematische Ausrichtung aus. Bis auf den ebenfalls sehr aufschlussreichen Beitrag von Hans-Ulrich Wiemer, der vor allem den hellenistischen Historiker Zenon von Rhodos und dessen Vergangenheitsvorstellung zum Inhalt hat, befassen sich alle Aufsätze mit beiden im Titel genannten Aspekten. Im Unterschied zu dem anderen oben erwähnten, kürzlich erschienenen Sammelwerk zu Polybios kann dieser Band mit vielen neuen Aspekten aufwarten, die von interessanten Details zum Forscher und Mensch Walbank eingerahmt werden.

Anmerkungen:
1 Chrstopher Smith / Liv Mariah Yarrow (Hrsg.), Imperialism, Cultural Politics, and Polybius, Oxford 2012. Vgl. meine Rezension in der Historischen Zeitschrift (im Druck).
2 Siehe dazu auch Frank William Walbank, Polybius, Rome, and the Hellenistic world. Essays and reflections, Cambridge 2002; ders., Polybius, Berkeley 1972.
3 Wichtige Referenzpublikationen sind hierzu Arthur M. Eckstein, Senate and general. Individual decision-making and Roman foreign relations 264–194 B.C., Berkeley 1987 und B. Dexter Hoyos, Unplanned wars. The origins of the First and Second Punic Wars, Berlin 1998.
4 Frank William Walbank, Philippos tragoidoumenos. A Polybian experiment, in: Journal of Hellenic Studies 58 (1938), S. 55–68.
5 Ganz im Gegensatz zu Michel Feyel, Polybe et l’histoire de Béotie au IIIe siècle avant notre ère, Paris 1942.
6 Catherine Grandjean, Polybius and Achaian Coinage, in: Being Peloponnesian. Proceedings from the Conference held at the University of Nottingham 2007, veröffentlicht nur online unter: <http://www.nottingham.ac.uk/csps/documents/grandjean%20package.pdf> (14.06.2013).

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