R. Streppelhoff: Gelungener Brückenschlag

Titel
Gelungener Brückenschlag. Sport in den deutsch-israelischen Beziehungen


Autor(en)
Streppelhoff, Robin
Reihe
Studien zur Sportgeschichte 10
Erschienen
St. Augustin bei Bonn 2012: Academia Verlag Richarz
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva Maria Gajek, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

1970 vermeldete die westdeutsche Botschaft in Tel Aviv, dass die von der Bundesrepublik Deutschland gestartete Imagekampagne für die Olympischen Spiele von 1972 Früchte trage. Die Erfahrungen der letzten Jahre, so der Botschafter, hätten bestätigt, dass Sportveranstaltungen besonders dazu beitrügen, einer breiteren israelischen Öffentlichkeit das Bild eines „neuen, gewandelten Deutschlands“ näherzubringen.1 Diesem „Brückenschlag“, der dem Sport zwischen den beiden Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg gelang, widmet sich Robin Streppelhoff in seiner an der Deutschen Sporthochschule in Köln angenommenen Dissertation, die in der Reihe „Studien zur Sportgeschichte“ erschienen ist. Streppelhoff zeigt, dass sich eine moderne Diplomatiegeschichte nicht nur mit dem Blick auf staatliche Akteure schreiben lässt, sondern gerade auch anhand von kulturellen Institutionen. Er legt erstmalig eine Studie vor, die die Entwicklung des westdeutsch-israelischen Sportverkehrs untersucht und dabei abseits des oft eingenommenen konfliktorientierten Blickwinkels auf den Sport in der Nachkriegszeit eine Geschichte der Annäherung erzählt. Anhand einer breiten Quellenbasis aus westdeutschen und israelischen Archiven sowie ausgewählten Medienquellen wird deutlich, dass persönliche Begegnungen eine genauso wichtige Rolle spielten wie massenmedial inszenierte Wettkämpfe.

Streppelhoff verfolgt das westdeutsch-israelische Verhältnis in neun Kapiteln. Nach einer Einführung und einem kontextualisierenden Kapitel zu den offiziellen diplomatischen Beziehungen sowie einem Exkurs zum Kulturkontakt vor 1945 widmet er sich dem jüdischen Sport in der Bundesrepublik nach der Shoah. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Wiederbegründung jüdischer Sportvereine eine starke gemeinschaftsstiftende Wirkung innerhalb der jüdischen Gemeinden besaß. Führende Gemeindemitglieder waren sowohl als Funktionäre wie auch als Sportler engagiert. Dies förderte die ersten Kontakte zwischen dem jüdischen und dem deutschen Sport bei Wettkämpfen innerhalb der Makkabi-Bewegung. Für die 1950er-Jahre betont Streppelhoff den Einfluss der „Wiedergutmachung“ auch für den Sport. Sie führte schließlich zu einer intensiven Korrespondenz, in der Willi Daume, der Präsident des Deutschen Sportbunds (DSB), eine wichtige Vermittlerrolle einnahm. Er überbrachte nicht nur eine symbolische Spende des DSB, sondern unterstützte auch die Kontakte zwischen israelischen und internationalen Sportfunktionären. Sein Ziel, einen israelischen Sitz im Internationalen Olympischen Komitee zu erwirken, hatte unter der Präsidentschaft des US-Amerikaners Avery Brundage aber keinen Erfolg.

Hervorzuheben ist nicht nur an dieser Stelle Streppelhoffs Blick auf die Akteure. Auch in einem Kapitel zum Austausch von Lehrern und Trainern verdeutlicht der biographische Zugang, wie aus persönlichen Beziehungen offizielle und institutionelle Kooperationen erwuchsen. Während die engagierten Personen sich in der Bundesrepublik aus den Führungsetagen unter anderem der Fußballverbände, der Deutschen Sportjugend und der Sporthochschule Köln rekrutierten, waren es in Israel vor allem Emigranten aus dem deutschen Kulturbereich. An vielen Beispielen belegt Streppelhoff, welchen Einfluss Eigeninitiativen bei der Annäherung hatten. Er blickt jedoch nur am Rande auf die Biographien der westdeutschen Sportfunktionäre vor 1945 und erläutert kaum, welche Rolle die nationalsozialistische Vergangenheit der Einzelnen (wie beispielsweise Daume) in der Wiederaufnahme der Beziehungen gewann. Es bleibt weitgehend offen, ob die individuellen Kontinuitäten im bundesdeutschen Sport keine Problemlage darstellten – und ob deswegen auch bei den westdeutsch-israelischen Sportbeziehungen von einer „kollektiven Verdrängung“ in der Erinnerungskultur nach 1945 zu sprechen ist, wie es an anderer Stelle für den deutschen Sport formuliert wurde.2

Streppelhoffs Ausführungen zu den Kooperationen und Partnerschaften, die offensichtlich ohne große persönliche Konflikte abliefen, deuten dies jedoch an. Einen hohen Stellenwert im Annäherungsprozess spricht er den Fahrten der Deutschen Sportjugend zu, bei denen Begegnungen und Kulturkontakte die Wahrnehmung des Anderen verändern konnten. Israel hatte mit keinem weiteren Land einen solch intensiven Jugendsportaustausch wie mit der Bundesrepublik. Dies führte auch zu engen Verbindungen zwischen Vereinen, Verbänden und Städten. Insbesondere anhand der Freundschaftsspiele von Borussia Mönchengladbach in Israel zeigt der Kölner Sporthistoriker zudem, dass die Sportereignisse nicht nur für die sportliche, sondern ebenso für die politische Welt die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme boten. Das Stadion wurde zu einem transnationalen sozialen Raum, bei dem auch die westdeutschen Diplomaten in Kontakt zur israelischen Elite treten konnten.

Der Autor kommt zu dem Schluss, dass die sportpolitische Annäherung der beiden Staaten sich vor allem zwischen 1965 und 1969 vollzog. Seit 1969 lasse sich eine Normalisierung der Sportbeziehungen ausmachen, also vier Jahre nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen. Wenig verständlich wird in dieser Hinsicht dann das Ende des Untersuchungszeitraums im Jahre 1973 – eine Begrenzung, die zudem im Titel des Buchs nicht kenntlich gemacht wird. Streppelhoff begründet sie vor allem mit einer politischen Zäsur. Da er aber bereits zuvor gezeigt hatte, dass die politischen und die sportlichen Entwicklungen in den westdeutsch-israelischen Beziehungen nicht immer parallel verliefen, wäre es wünschenswert gewesen, neue Merkmale für die Zeit nach 1969 bis 1973 auszumachen.

Einen im kulturellen Gedächtnis verankerten Einschnitt der deutsch-israelischen Beziehungen bildete zweifelsohne der Anschlag der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ auf die israelische Nationalmannschaft (1972).3 Streppelhoff zeigt zu Beginn, dass die Olympischen Spiele von München großen Anklang und breites Interesse in der israelischen Bevölkerung fanden. Aufschlussreich sind besonders seine Ausführungen zu den kontroversen Diskussionen über die Direktübertragung im israelischen Fernsehen. Da die Eröffnungsfeier am Sabbat stattfand, hatten die Sendebehörden beschlossen, nicht live zu berichten. Die Radioanstalten hingegen übertrugen die Zeremonien. Und so hatten die Israelis die Wahl, akustisch das Spektakel zu verfolgen oder auf die Übertragung der arabischen Anstalten zurückzugreifen. An der hohen Zuschauer- und Hörerquote zeigen sich treffend die kulturspezifischen Herausforderungen des transnationalen Medienereignisses, dessen Faszination religiöse oder sogar politische Bedenken zumindest für wenige Stunden tendenziell in den Hintergrund stellte. Hier hätte sich der medienhistorisch interessierte Leser eine weitere Analyse der Live-Berichterstattung des Radios gewünscht, das seine Position gegen das bei den Spielen ansonsten dominante Medium Fernsehen ausnutzen konnte. Entscheidender ist aber, dass Streppelhoff die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 mit Blick auf die Auswirkungen für den zwischenstaatlichen Sportverkehr analysiert und so über bisherige Arbeiten hinausgeht. Er kommt zu dem wichtigen Schluss, dass das Olympia-Attentat keinen negativen Einfluss auf die bilateralen Sportbeziehungen hatte. Zwischen den Sportverbänden sei es eher zu einem Zusammenrücken gekommen.

Insgesamt legt Robin Streppelhoff einen guten Überblick zu den westdeutsch-israelischen Sportbeziehungen von 1945 bis 1973 vor. An manchen Stellen hätte sich der Leser eine intensivere methodische Reflexion auch über Begrifflichkeiten gewünscht. So wird bereits im Titel von den „deutsch-israelischen Beziehungen“ und im Text häufig von „Deutschland“ gesprochen, obwohl sich die Ausführungen auf die Bundesrepublik beschränken. Inhaltlich ist diese Fokussierung aufgrund der fehlenden diplomatischen Beziehungen zwischen DDR und Israel gerechtfertigt. Ein Seitenblick auf die Sportpolitik der DDR hätte aber nicht nur wegen der stark israelfeindlichen Außenpolitik des anderen deutschen Staats aufschlussreich sein können, sondern besonders deshalb, weil es von 1956 bis 1965 gemeinsame Olympiamannschaften gab. Die zu Beginn stark gemachte Verknüpfung von diplomatischen Beziehungen in der Politik und im Sport verliert zudem an einigen Stellen des Buchs ihre Konturen. Zwar denkt Streppelhoff die politischen Rahmenbedingungen immer mit, setzt sie bisweilen sogar in Kontrast zu den Entwicklungen auf dem sportlichen Terrain, zeigt aber nur an wenigen Stellen die Wechselwirkungen der beiden Bereiche. Diese Verflechtung bleibt ein aufschlussreiches Forschungsthema für folgende Studien, für die Streppelhoffs Arbeit zweifelsohne einen wichtigen Grundstein liefert.

Anmerkungen:
1 Deutsche Botschaft Tel Aviv an das Auswärtige Amt Bonn, 09.12.1970, Betreff: Spiele der XX. Olympiade München 1972, hier: Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, Bezug: Runderlaß vom 29.10.1970, IV 3-84, in: Bundesarchiv Koblenz, B 145/9882. Siehe dazu demnächst auch Eva Maria Gajek, Imagepolitik im olympischen Wettstreit. Die Spiele von Rom 1960 und München 1972, Göttingen 2013 (erscheint im Oktober).
2 Hans Joachim Teichler, Verzögertes Erinnern. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im bundesdeutschen Sport, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2012, URL: <http://www.zeitgeschichte-online.de/thema/verzögertes-erinnern> (04.06.2013).
3 Siehe dazu v.a. Matthias Dahlke, Der Anschlag auf Olympia ’72. Die politischen Reaktionen auf den internationalen Terrorismus in Deutschland, München 2006 (rezensiert von Annette Vowinckel, in: H-Soz-u-Kult, 01.03.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-144> [04.06.2013]).

Kommentare

Von Gajek, Eva Maria24.06.2015

Im letzten Absatz dieses Beitrags hatte ich in der Erstfassung geschrieben, die DDR habe bis 1965 gemeinsam mit der Bundesrepublik ein gemeinsames Nationales Olympisches Komitee gebildet. Herr Prof. Dr. Hans Joachim Teichler (Universität Potsdam) wies mich freundlicherweise darauf hin, daß die NOKs von 1950 bis 1990 getrennt waren. Eva Maria Gajek


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