Titel
Die New Era der New Education Fellowship. Ihr Beitrag zur Internationalität der Reformpädagogik im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Koslowski, Steffi
Erschienen
Bad Heilbrunn 2013: Julius Klinkhardt Verlag
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
36,00 EUR
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Elija Horn, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Hildesheim

Mit „Die New Era der New Education Fellowship“ publiziert Steffi Koslowski ihre 2009 an der Universität Greifswald eingereichte Dissertationsschrift, in der sie sich – erstmalig für den deutschsprachigen Raum – der systematischen Erforschung der englischsprachigen reformpädagogischen Zeitschrift „The New Era“ widmet, die seit 1921 von der New Education Fellowship (NEF) in London herausgegeben wird und bis heute erscheint. Koslowski konzentriert sich dabei vornehmlich auf die ersten 30 Jahre des Erscheinens der „New Era“ sowie auf die Rolle des Periodikums hinsichtlich zeitgenössischer reformpädagogischer Diskurse und deren Internationalität. Ihre Arbeit ist damit in der Historischen Bildungsforschung verortet.

Die Zeitschrift „New Era“ widmet sich seit Beginn ihres Erscheinens reformpädagogischen Themen. Die Autorin führt als inhaltliche Schwerpunkte einerseits Konzepte der „Neuen Erziehung“ auf, die schulische Praxis in diesem Bereich, „Neue Psychologie“ und ähnliches. Die Texte zu diesen Themen berichten über konkrete Gegenstände wie einzelne Schulen, pädagogische Konzepte (Montessori, Daltonplan, Decroly-Methode et cetera) und psychologische Grundlagen einer „Neuen Erziehung“. Andererseits bilden universell ausgerichtete Texte einen weiteren Schwerpunkt der Zeitschrift, beispielsweise solche zur Friedenserziehung und Bildung zur Internationalität sowie kultur- oder zivilisationskritische Beiträge. Auch Konjunkturen von Themen werden von Koslowski benannt.

In erster Linie geht es der Autorin um die Rekonstruktion der Bedeutung der „New Era“ für die internationale Reformpädagogik der Zwischenkriegszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts im „interdependente[n] Verhältnis von pädagogischer Praxis, theoretischer Reflexion und gesellschaftlicher Entwicklung“ (S. 293). Trotz einiger Publikationen zur Internationalität der Reformpädagogik in jener Zeit1 oder kleinerer Veröffentlichungen über die Gründung der Deutschen Sektion der NEF2 ist bislang weder eine umfassende noch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Organ der NEF in der deutschsprachigen Forschung erfolgt. In der Tat ist die Arbeit Koslowskis als Pionierleistung auf diesem Gebiet außerordentlich zu begrüßen, denn sie nimmt nicht nur eine grundlegende inhaltliche und strukturelle Auswertung der Zeitschrift vor, sondern ordnet sie ihrer Bedeutung nach in die zeitgenössischen reformpädagogischen Diskurse ein. Auffällig ist dabei, dass Koslowski kaum noch von „Reformpädagogik“ als vielmehr von der „Neuen Erziehung“ spricht. Terminologisch greift sie so die Selbstbezeichnung der damaligen Akteure auf, womit sie den definitorischen Schwierigkeiten des Begriffs der Reformpädagogik aus dem Weg gehen kann.

Die Rekonstruktion der internationalen Aktivitäten der NEF sowie die Analyse ihrer Zeitschrift „New Era“ führt Koslowski primär mithilfe der von Skinner und Pocock (Cambridge School) entwickelten Ideengeschichte durch. Dieser Ansatz ist insofern schlüssig, als er auf der Ebene von Sprache auch Tropen jenseits der dominanten Diskurse in den Blick nimmt. Viele der Autorinnen und Autoren, die in den 1920er bis -40er Jahren Beiträge für die „New Era“ verfassten, sind heute weitestgehend vergessen. Ihre Gedanken und der in den Texten produzierte Duktus erscheinen aus heutiger Sicht wenig zugänglich. Skinner und Pococks Konzept ermöglicht die Fokussierung auch auf Autoren jenseits des Kanons sowie auf Aussagen, die gleichsam vom Kanon divergieren. Die Analyse des aus heutiger Sicht eher abseitigen Gegenstandes ist mit dieser Methode gut zu realisieren. Koslowski räumt selbstkritisch ein, dass unter diesem Zugriff die Intentionen der Akteure nur in unbefriedigendem Maß nachzuvollziehen sind. Nichtsdestotrotz bemüht sie sich durch gründlich recherchierte Biographien zentraler Akteure diese Leerstelle zumindest ansatzweise zu füllen. Weitere Kontextangaben zu organisatorischen Hintergründen sowie religiös-spirituellen Einflüssen in der NEF ergänzen diese Ausführungen. Formal ist anzumerken, dass die Darstellung von Details des historischen Kontextes auffallend oft in Fußnoten erfolgt. Diese Lösung erscheint etwas unglücklich, da es nicht nur den Lesefluss hemmt, sondern auch die Frage aufwirft, welche Informationen warum nicht mit in den Fließtext aufgenommen wurden.

Nach der notwendigerweise sehr ausführlichen Kontextualisierung nimmt Koslowski einzelne Aspekte der „New Era“ genauer in den Blick, z.B. den Anspruch der Zeitschrift auf Internationalität und Meinungsvielfalt, aber auch die Beschäftigung mit Themen wie Demokratie- und Friedenspädagogik sowie terminologische Analysen zur Nutzung des Wortes „neu“ in verschiedenen Kombinationen mit Begriffen wie „Erziehung“, „Schule“ oder „Welt“. Allein der von der Autorin gewählte Fokus verweist schon auf die Ideale, vor deren Hintergrund die Zeitschrift produziert und herausgegeben wurde, und ordnet die „New Era“ zeit- und ideengeschichtlich ein. Die Auswertung erfolgt zudem in steter Rückbindung an Erträge deutschsprachiger Forschung zur Reformpädagogik wie sie vor allem Jürgen Oelkers vorgelegt hat3.

Auch quantitative Analysen nimmt die Autorin vor. Anhand von Diagrammen und Tabellen entsteht ein hervorragender Überblick zu den Themen, Rubriken, Autorinnen und Autoren et cetera in der „New Era“. Die Besprechung von Rubriken wie den „Letters to the Editor“ oder „Questions and Answers“ liefern Hinweise auf die Rezeption der Zeitschrift, welchem Wandel diese unterlag, und wo es Kontinuitäten gab. Aufschlussreich ist auch das Kapitel über Werbeanzeigen in der „New Era“, in dem Koslowski auf die erfolgreiche Verbindung von wirtschaftlichem Management und inhaltlicher Ausrichtung hinsichtlich der Promotion bestimmter Schulen oder Verlage aufmerksam macht (S. 232ff.).

Zusammenfassend legt Koslowski eine systematische Auswertung der „New Era“ vor, anhand derer sie die Zeitschrift in verschiedene zeitgenössische Kontexte einordnen kann – nicht nur in einen pädagogischen, sondern auch in einen sozio-kulturellen Kontext. Besonders gelungen ist ihr die Darstellung des weiten Spektrums von transdisziplinären Beiträgen in dem Organ, das gleichzeitig den reformpädagogischen Diskurs seiner Zeit umreißt. Dabei werden auch für die Zeit nicht untypische, heute jedoch undenkbare Kombinationen aus Konzepten wie Psychoanalyse und Theosophie nicht ausgespart, beispielsweise wenn Koslowski davon berichtet, wie das Unbewusste in theosophischer Perspektive als Verbindung zum Göttlichen gedeutet wurde (S. 255f.). Schade ist, dass die Autorin an vielen Stellen bei vornehmlich deskriptiven Analysen stehen bleibt. Deutlich wird das beispielsweise am Thema und Begriff der Internationalität: Koslowski orientiert sich primär an den Selbstbeschreibungen der damaligen Akteure, die – im Vergleich zu der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen – eine enorme internationale Beteiligung in ihrer Zeitschrift aufweisen konnten. Vielerorts wäre ein Sonderheft zur „Neuen Erziehung“ in Indien mit Beiträgen von fast ausschließlich indischen Autorinnen und Autoren kaum denkbar gewesen; ebenso wenig die zahlreichen Beiträge über „Neue Erziehung“ in Osteuropa und der UdSSR. Andererseits geht Koslowski wortlos darüber hinweg, dass eine ähnliche Ausgabe über Südafrika ausschließlich nicht-afrikanische, das heißt nicht indigene Autorinnen und Autoren zu Wort kommen lässt. Auch die Gewichtung von europäischer beziehungsweise nordamerikanischer Autorenschaft, die durchweg dominant ist, bleibt unhinterfragt. Eine kritischere Auseinandersetzung mit einem Verständnis von Internationalität, das doch sehr eurozentrisch erscheint, wäre an dieser Stelle wünschenswert gewesen. Dieser Anmerkung ist jedoch hinzuzufügen, dass alleine schon die Darstellung ein Erkenntnisgewinn ist, und weiterführende Tiefenanalysen – nicht zuletzt angesichts der Grenzen des Formats einer Dissertation – nur punktuell zu realisieren gewesen wären.

Trotz der Kritik ist Steffi Koslowskis Arbeit eine äußerst wertvolle und längst überfällige Auseinandersetzung mit einer der wichtigsten und ältesten reformpädagogischen Vereinigungen und deren Organ. Für anschließende Untersuchungen liegt mit diesem Buch eine gut sortierte und profunde Ausgangsbasis vor.

Anmerkungen:
1 Vgl. Reiner Lehberger (Hrsg.), Nationale und internationale Verbindungen der Versuchs- und Reformschulen in der Weimarer Republik. Beiträge zur schulgeschichtlichen Tagung vom 17. bis 18. November 1992 im Hamburger Schulmuseum, Hamburg 1993; Herrmann Röhrs / Volker Lenhart, Die Reformpädagogik auf den Kontinenten. Ein Handbuch, Frankfurt am Main / New York 1994.
2 Vgl. Herrmann Röhrs, Gründung und Gestaltung der "Deutschen Sektion" des "Weltbunds für Erneuerung der Erziehung" (1921 bis 1931) – Ein bildungspolitisch bedeutsames Kapitel der internationalen Reformpädagogik, in: Christoph Kodron (Hrsg.), Vergleichende Erziehungswissenschaft. Herausforderung, Vermittlung, Praxis, Köln 1997, S. 688–695.
3 Jürgen Oelkers, Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte, 3. Aufl., Weinheim / München 1996.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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