J. Hermand u.a. (Hrsg.): Deutsche Geheimgesellschaften

Titel
Deutsche Geheimgesellschaften: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.


Herausgeber
Hermand, Jost; Mödersheim, Sabine
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
197 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Jacob, Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Geheimgesellschaften waren lange Zeit eine Randerscheinung geisteswissenschaftlicher, vor allem historischer Forschung. Nicht selten waren es eher zweifelhafte Darstellungen sogenannter Krypto-Historiker, die sich beispielsweise mit dem „Krieg der Freimaurer“ beschäftigten und die Welt mit Hilfe unzähliger Konspirationstheorien, in deren Mittelpunkt geheime Gesellschaften wie die Freimaurer, die Illuminaten oder die Thule-Gesellschaft standen, zu erklären versuchten.1 Die Geisteswissenschaften behandelten das Themenfeld Geheimgesellschaften eher stiefmütterlich, so dass viele Abhandlungen nur veraltete Stereotype und archivalisch nicht belegte Aussagen immer weiter tradierten. Das mag daran liegen, dass es in vielen Fällen schwierig ist, sich diesem Phänomen zu nähern, da eine nicht selten rare Quellenlage solche Untersuchungen erschwert. Der rezensierte Band von Jost Hermand und Sabine Mödersheim nähert sich dem Phänomen Geheimgesellschaften aus einer kulturhistorischen Perspektive und will vor allem die Geheimgesellschaften seit dem 16. Jahrhundert daraufhin untersuchen, „ob [diese] nun in progressionsbetonter oder reaktionärer Ausprägung bestimmte gesellschaftspolitische Zielsetzungen in aufklärerischer, sozialistischer oder anarchistischer sowie nationalistischer oder nazifaschistischer Art ins Auge gefasst ha[tt]en.“ (S. 7)

Dabei analysieren die insgesamt neun Beiträge unterschiedliche Gesellschaften, nachdem sich Wilhelm Vosskamp in seinem Beitrag (S. 15–30) zunächst mit dem Geheimnis per se – anhand von Beispielen von Bacon bis Goethe – beschäftigt, um eine theoretische Grundlage zu liefern. Nach einer Darstellung des Geheimgesellschaftsdiskurses des 18. Jahrhunderts, der aufgrund der literarischen Auseinandersetzung von Ernst Anton von Göchhausen und Christoph Martin Wieland von Rainer Godel ausgeführt wird (S. 31–57), widmet sich Jan Assmann (S. 59–79) der Analyse der Beziehung zwischen Illuminaten und dem alten Ägypten, wobei hier eher die Ägyptenrezeption des 18. Jahrhunderts, als die Illuminaten als solche, im Zentrum der Untersuchung steht. Allerdings muss es laut Assmann den Vertretern geheimer Gesellschaften wie den Illuminaten oder Freimaurern „als eine bedeutende Bestätigung erschienen sein, dass sich ihre religiösen Überzeugungen, diese Verbindung von Deismus, Spinozismus, Pantheismus, auf die ägyptischen Mysterien und die Urreligion der Menschheit zurückführen lassen.“ (S. 77) Im Anschluss an Assmanns Beitrag folgt eine Darstellung des Königsberger Tugendbundes von Jost Hermand (S. 81–91) – ob es sich hier tatsächlich um eine Geheimgesellschaft gehandelt hat, ist durchaus streitbar –, an die Carol Poore mit einer Schilderung des Zusammenhangs zwischen Geheimgesellschaften und europäischer Arbeiterbewegung (S. 93–119), die sich ebenfalls der Organisationsform „geheimgehaltene[r] Gesellschaften“ (S. 93) bediente, um der Verfolgung durch die Obrigkeiten zu entgehen, anschließt. Daraufhin untersucht Sabine Mödersheim die Bildsymbolik von Rosenkreuzern und Freimaurern, wie sie im 19. Jahrhundert im Zuge von Laterna-Magica Vorstellungen „in öffentlichen sowie semi-öffentlichen Veranstaltungen zur Schau gestellt wurden“ (S. 123) und das vor allem in den USA.

Chronologisch und geographisch versetzt widmet sich Jost Hermand schließlich den arioheroischen Geheimbünden im Österreich des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er behandelt hierbei die Ariosophen Guido von List und Lanz von Liebenfels, aber auch die Thule-Gesellschaft. Leider übernimmt er hierbei längst widerlegte Tatsachen ohne gesonderte Prüfung. So schreibt Hermand etwa, dass Anton Arco auf Valley der Thule-Gesellschaft angehört und deren Mitglieder den Tod Eisners euphorisch begrüßt hätten (S. 151), obwohl Sebottendorff selbst die Tat verurteilte, da sie aus dem bereits scheidenden Ministerpräsidenten einen Märtyrer der Linken gemacht habe. Hermand geht weiter davon aus, dass die Thule-Gesellschaft ab dem 9. November 1918 nicht mehr im Geheimen agiert hätte, sondern als „militanter Kampfbund“ (S. 151) aufgetreten sei, obwohl neben der Organisation des eher militärischen Thule-Kampfbundes die Gesellschaft als solche ebenfalls weiterbestand. Schließlich schreibt er die Gründung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) dem „Thule-Aktivisten Karl Harrer“ (S. 151) zu, der daran jedoch gar nicht beteiligt war, sondern lediglich einen Arbeitskreis der Thule-Gesellschaft zur Arbeiterfrage geleitet hatte, aus dem allerdings keine Partei entstehen sollte.2 Streitbare Punkte finden sich auch im folgenden Beitrag, denn dass der deutsche Widerstand im Dritten Reich, den Corina L. Petrescu anhand der Schulze-Boysen/Harnack-Organisation schildert (S. 163–180), zwangsläufig geheim organisiert gewesen sein musste, macht die Prüfung der Verwendung des Begriffes Geheimgesellschaft auch in diesem Fall ratsam.

Ein generelle Schwäche des Bandes liegt in der fehlenden Definition des Begriffes Geheimgesellschaft, so dass Jost Hermand im letzten Beitrag zu den „Döner-Morden“ (S. 181–190) auch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) als „ein Musterbeispiel jener rechtsextremen Geheimbünde der letzten zwei Jahrzehnte“ (S. 189) subsumieren kann, wobei es fraglich ist, ob für eine rechtsradikale Terrororganisation der Begriff Geheimgesellschaft überhaupt Verwendung finden sollte. Unabhängig davon, dass Hermand den NSU zu den Geheimbünden zählt, stellt er zumindest den ideologischen Gegensatz zwischen den Geheimgesellschaften der Frühen Neuzeit und dem NSU heraus: „Sie [die Zwickauer Terrorzelle] ist das krasse Gegenteil von all jenen progressionsbetonten Geheimbünden, die in Zeiten unbarmherziger Unterdrückung entstanden und sich für die Heraufkunft einer humaner gestimmten Zukunft einzusetzen versuchten.“ (S. 189)

Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Beiträge für sich genommen einen spannenden Einblick in kulturhistorische Themenfelder bieten, fehlt dem Band ein roter Faden. Der Überbegriff der Geheimgesellschaft reicht hier nicht aus, um aus einem Potpourri unterschiedlicher Beiträge einen in sich stimmigen Aufsatzband entstehen zu lassen. Statt wie der Titel suggeriert einen Überblick über die immerhin Jahrhunderte umfassende Geschichte deutscher Geheimgesellschaften zu geben, springt der Band sowohl zwischen Organisationen, die nicht unbedingt als Geheimgesellschaften definiert werden können oder sollten, als auch zwischen den Zugangsformen der Untersuchung hin und her. Das wird erst durch eine fehlende Analyse beziehungsweise Definition dessen, was als Geheimgesellschaft anzusehen ist, möglich, denn dadurch können allerhand Organisationen – unabhängig davon, ob aus dem Bereich der Arbeiterbewegung oder des organisierten Verbrechens – unter dem Oberbegriff Geheimgesellschaft subsumiert werden. Alles in allem entsteht also für den Leser kein Überblick über die lange Geschichte von Geheimbünden in Deutschland, sondern er erhält teilweise sehr gute Einblicke in Abschnitte der deutschen Geschichte seit dem 16. Jahrhundert, wobei der Bezug zum bestimmenden Thema der Geheimbünde nicht immer gewahrt bleibt, beziehungsweise gelegentlich eher in den Hintergrund tritt. Der Band ist deshalb vor allem Lesern zu empfehlen, die an der Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturhistorischen Aspekten interessiert sind. Wer allerdings einen dezidierten und umfassenden Überblick der Genese, Geschichte und des Einflusses von Geheimgesellschaften auf sozial-, kultur- oder gesellschaftshistorische Aspekte erwartet, wird zumindest in einigen Punkten enttäuscht.

Anmerkungen:
1 Jan van Helsing, Geheimgesellschaften, Band 3, Krieg der Freimaurer, Fichtenau 2010.
2 Vgl. Hermann Gilbhard, Die Thule-Gesellschaft. Vom okkulten Mummenschanz zum Hakenkreuz, München 1994; daneben auch Frank Jacob, Die Thule-Gesellschaft, Berlin 2010. Ausführlich zur Bewertung des Einflusses der Thule-Gesellschaft auf den Nationalsozialismus jetzt auch ders., Die Thule-Gesellschaft und die Kokuryûkai. Geheimgesellschaften im global-historischen Vergleich, Würzburg 2013.