S. Freyer: Der Weimarer Hof um 1800

Cover
Titel
Der Weimarer Hof um 1800. Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos


Autor(en)
Freyer, Stefanie
Reihe
Bibliothek Altes Reich 13
Erschienen
Oldenburg 2013: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
575 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter-Michael Hahn, Professur für Landesgeschichte, Universität Potsdam

Das klassische Weimar und seine Titanen verschatteten seit dem 19. Jahrhundert in der Wahrnehmung der Deutschen die historische Realität des Alten Reiches und seiner territorialen Glieder nicht wenig. Das politisch unbedeutende Herzogtum Sachsen-Weimar und sein Herrscherhaus mussten hinter den Geistesgrößen, die dort eine Heimat gefunden hatten, gänzlich zurückstehen. Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts und mit ihm große Teile der Wissenschaft verlangten – fern der noch existierenden Adels- und Hofgesellschaften – nach eigenen bürgerlichen Heroen, die Identität und Vergangenheit stifteten. Daher verflüchtigte sich in der veröffentlichten Rückschau das Wissen um Weimars dynastische und staatliche Vergangenheit weitgehend. Dies wirkt allerdings bis heute bei der musealen Präsentation des Ortes noch nach.

Die vorliegende Dissertation leistet einen wichtigen Beitrag, um diese Blickrichtung zu korrigieren. Die Verfasserin beschreibt höchst ausführlich die höfischen Strukturen Weimars am Ende des Ancien Regimes. Gelegentlich ein wenig zu ausführlich, wird man hinzufügen müssen, denn ihre grundsätzlichen Ausführungen zu den einzelnen Hofämtern und deren Funktionen hätten deutlich kürzer ausfallen können, weil dies im Grunde seit langem bekannt ist. Aber die Autorin versteht es dennoch durch ihre quellennahe Herangehensweise den Leser mit einer Fülle von Details zu den Weimarer Verhältnissen zu überzeugen. Im Ergebnis zeigt sie auf, wie Herzog Carl August seinen Hof zu nutzen verstand, um dynastischen Anspruch und politische Realität in Einklang zu bringen. Sein hohes dynastisches Selbstverständnis brachte er über die Formen seiner Hofhaltung (etwa Zeremoniell, Kammerherrn) stets effektiv zum Ausdruck. Keinesfalls war Weimar, wie selbst Goethe gelegentlich suggerierte, ein unhöfischer Ort. Im Gegenteil, sein Dienstherr wusste sehr genau darum, wie ein mindermächtiger Fürst sich dieses Instrumentes zu bedienen hatte, um im Kreis der Standesgenossen Beachtung zu finden. Dies gelang Carl August sowohl in der Spätzeit des Alten Reiches als auch in der für ihn schwierigen napoleonischen Ära, als der korsische Emporkömmling eine neue fürstliche Hierarchie auf dem Kontinent zu etablieren versuchte.

Die Verfasserin arbeitet nicht nur eindrucksvoll heraus, wie stark der Herrscher persönlich in die Gestaltung der höfischen Verhältnisse eingriff, sondern sie beschreibt auch sehr genau den sozialen Hintergrund der höfischen Gesellschaft und deren Lebensweise. Dies gilt insbesondere für die fürstliche Familie und deren einzelne Mitglieder. Der Hofstaat sämtlicher Gemahlinnen, Witwen, Prinzen und Prinzessinnen wird von ihr vorgestellt. Regelmäßig analysiert sie dabei das Personaltableau, welches jeweils zum Einsatz kam, und deren spezifische Zuständigkeiten. Dadurch vermag Stefanie Freyer uns ein sehr präzises Bild der Weimarer Hofgesellschaft zu zeichnen. Nuancen der fürstlichen Personalpolitik werden sichtbar, wenn der Herzog aus Repräsentationsgründen etwa den titulierten Landadel bevorzugt an seinen Hof zog. Das Zusammenwirken von Dynastie und Adel über das Instrument des Hofes bzw. deren gemeinsame und differierende Interessenlagen werden von ihr aufgezeigt.

Insgesamt betrachtet leistet die Verfasserin einen überzeugenden Beitrag zur Geschichte des Hofes, der insbesondere verdeutlicht, dass dieser auch im Zeitalter der Französischen Revolution nicht an Bedeutung einbüßte, vielmehr wurden die höfischen Spielregeln ein wenig neu justiert, um dynastische Handlungsfähigkeit für die Zukunft zu erhalten.