Titel
The Rise of Heritage. Preserving the Past in France, Germany and England, 1789–1946


Autor(en)
Swenson, Astrid
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
£ 65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Aleida Assmann, Fachbereich Literaturwissenschaft / Anglistik, Universität Konstanz

Das Thema ‚kulturelles Erbe’ ist nach den Bildern gewaltsamer Zerstörung antiker Kulturstätten in aller Munde. Namen wie Timbuktu, Hatra, Nimrud und Palmyra zeichnen eine Spur mutwilliger Verwüstungen, die wohl noch nicht an ihr Ende gekommen ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Studie von Astrid Swenson, in der wir genaueres über die Geschichte der Vernichtung und Wertschätzung des Kulturerbes erfahren, eine besondere Aktualität.

Wir werden von ihr zum Beispiel daran erinnert, dass demonstrative Kulturzerstörungen kein neues Phänomen sind, sondern in Europa schon immer als eine Waffe gegen religiöse und politische Gegner eingesetzt wurden. Ein Großangriff auf kulturelles Erbe erfolgte während der französischen Revolution, als Frankreich den Versuch unternahm, sich von seiner eigenen Geschichte zu trennen. Das war allerdings auch der Beginn einer entgegengesetzten Geschichte der Wertschätzung, Konservierung und Sicherung des kulturellen Erbes für die Zukunft, wofür der Name Alexandre Lenoir steht, der die aufwendigen königlichen Grabstätten gegen die Revolutionäre verteidigte. Der Stimmungsumschwung wurde damals durch Abbé Henri Grégoire eingeleitet, der 1794 den neuen Begriff ‚Vandalismus’ prägte, der als Lehnwort sofort in andere europäische Sprachen übernommen wurde. Als Vandale wurde fortan bezeichnet, wer materielles Kulturerbe zerstört und sich damit aus dem Kreis der zivilisierten Nationen ausschließt.

Astrid Swenson hat die Entwicklung des Bewusstseins für kulturelles Erbe als eine transnationale Beziehungsgeschichte mit nationalen Besonderheiten, deutlichen Parallelen und bemerkenswerten Synergieeffekten erzählt. In ihrer vergleichenden Darstellung wird das Erwachen des Interesses an der nationalen Geschichte und ihren materiellen und ideellen Spuren in Frankreich (‚patrimoine’), England (‚heritage’), und Deutschland (‚Heimat- bzw. Denkmalschutz’) als wichtiges Element des Historismus des 19. Jahrhunderts rekonstruiert. Wir lernen die ‚heritage makers’ kennen, die ebenso von oben aus den Reihen der Staatsbeamten wie von unten aus Bürgervereinen kommen. Das neue Interesse an der eigenen Vergangenheit vollzog sich dabei vor dem Hintergrund einer allgemeinen internationalen Verwissenschaftlichung der Geschichte. Die bunte Zusammensetzung der Heritage-Bewegung aus Archäologen, Museums-Kuratoren, Architekturhistorikern, Künstlern, Schriftstellern und engagierten Bürgern macht deutlich, wie eng sich hier neue Standards der Professionalisierung mit einer affektiven Investition in die eigene Geschichte und Kultur verbanden. Gelehrsamkeit, Nostalgie und die Suche nach Ursprüngen gingen vielfältige Verbindungen ein. Es zeichnet Swensons Studie aus, dass sie die Heimatschutzbewegungen nicht von vornherein auf einen anti-modernen Trend festlegt und Sonderwege markiert, sondern im differenzierten Blick ihres europäischen Vergleichs die unterschiedlichen Richtungen und Interessen sorgfältig herausarbeitet, die sich in ihnen kreuzten.

Überhaupt wird die Vorstellung vom Historismus als einer rein rückwärtsgewandten Einstellung in Frage gestellt. Am Beispiel des Ausstellungswesens im 19. Jahrhundert zeigt Swenson, dass die Präsentation von Geschichte oft als wirksamer Hintergrund für Fortschrittserzählungen eingesetzt wurde. Weltausstellungen schufen eine globale Arena für den internationalen Wettbewerb nationaler Selbstdarstellungen; die imperiale räumliche Ausdehnung erforderte auch die Konstruktion neuer großräumiger Geschichtsperspektiven. Gleichzeitig parzellierten sich diese weitreichenden Perspektiven im Display der Ausstellungen auch in kleinteilige pittoreske historische Milieus, die vor der Erfindung des Kinos die Imagination anregten und ganz unterschiedliche Interessen der Identifikation, der Belehrung und der Unterhaltung bedienten.

Benedict Andersons Formel von der Nation als ‚imagined community’ ist als abstrakter Begriff weit verbreitet. Am Beispiel der Heritage-Bewegung hat Swenson ausbuchstabiert und anschaulich bebildert, wie dieser Vorgang des sich selbst Erfindens und Imaginierens der Nationen konkret von statten ging. Die Beschäftigung mit der nationalen Geschichte und ihrem kulturellen Erbe hatte eine affektive und emotionale Dimension: sie war eine Investition in den Wert des eigenen Landes, das damit reicher und anziehender wurde für eine patriotische Identifikation. Die Heritage-Bewegung steigerte aber nicht nur den Sinn für die Differenz der Nationen, sondern, das zeichnet Swenson in ihrer Studie ebenfalls überzeugend nach, schuf gleichzeitig auch die transnationale Bewegung der gegenseitigen Anerkennung und des Schutzes dieser Differenzen. Sie kulminierte um 1900 in der Konstruktion des Konzepts einer Menschheit, die sich das kulturelle Erbe aller Staaten zurechnet und als ein transnationaler Akteur mit Regeln und Gesetzen ausgestattet ist, um überall auf der Welt für den Erhalt des kulturellen Erbes einzutreten. Wir haben es hier mit einer noch wenig beachteten Dimension der Globalgeschichte zu tun, da bei dieser pragmatischen und selbstverpflichtenden Konstitution von Menschheit auch Länder wie China, Mexiko und Brasilien eine wichtige Rolle spielten.

Diese Vision wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs freilich brutal zerschlagen, wofür heute noch die Namen ‚Löwen’ und ‚Reims’ stehen. Doch mit diesem Vandalismus endete die Geschichte der Heritage-Bewegung nicht, genauso wenig wie sie mit den neuen Angriffen auf antike Kulturstätten durch den IS endet. Die Dialektik von Zerstörung und Schutz des kulturellen Erbes besteht seit der Französischen Revolution und wird weiterbestehen. Die transnationale Wertschätzung und die Anstrengung ihrer Erhaltung haben die Kulturstätten zu bevorzugten Zielen der Gegner gemacht; aber die Erfahrung ihrer Fragilität steigert wiederum ihre Bedeutung und die Dringlichkeit ihrer Bewahrung.

Das Thema kulturelles Erbe war bislang kein bevorzugter Gegenstand der Historiographie. Mit diesem Thema konnte man in der Zunft nicht punkten, solange dort pauschal die ‚heritage industry’ als eine Verirrung der Gegenwartskultur angeprangert wurde. Das Buch von Astrid Swenson könnte an diesem Vorurteil etwas ändern. Sie hat eine materialreiche, anregende und anschauliche Untersuchung vorgelegt, die dazu anregt, das Thema in seiner historischen Tiefe und europäischen Dimension neu zu entdecken und als einen wichtigen Strang in größere historische Bezüge einzuflechten.