G. Müchler: Achtzehnhundertdreizehn

Titel
1813. Napoleon, Metternich und das weltgeschichtliche Duell von Dresden


Autor(en)
Müchler, Günter
Erschienen
Stuttgart 2012: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tim Altpeter, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Die Literatur zur Geschichte der Napoleonischen Epoche erlebt derzeit aufgrund der 200. Jubiläen einen enormen Boom. Günter Müchlers Monographie über die schicksalhafte Begegnung Napoleons und Metternichs im Palais Marcolini im Sommer des Jahres 1813, kurz vor der kriegsentscheidenden Völkerschlacht von Leipzig, steht gewissermaßen im Kontext des 200. Jahrestages des gescheiterten Russlandfeldzuges von 1812 und den Befreiungskriegen von 1813/14. Müchler versucht auf verständliche Art und Weise einem breiten Publikum den diplomatischen Höhepunkt des Jahres 1813 aufzuzeigen. Dabei macht er auch durch Rückgriff auf die Biographien der beiden Hauptakteure immer wieder deutlich, dass es gerade die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere Napoleons und Metternichs und ihrer politischen Systeme waren, die den besonderen Reiz ihrer Begegnung im Sommer 1813 ausgemacht hat.

Insgesamt stellt Müchlers Werk eine für das breite Publikum solide und gut recherchierte Geschichte und Doppelbiographie Napoleons und Metternichs dar, bleibt in seinem Überblickscharakter zur Epoche und gerade zur Person Napoleons aber hinter kurzen einführenden Werken wie Volker Ullrichs „Napoleon“1 oder Roger Dufraisses „Napoleon: Revolutionär und Monarch“2 zurück. Zweifellos kennt sich Müchler mit der Napoleonischen Epoche und der neuesten Literatur zum Thema aus, doch sein Werk leidet vor allem darunter, dass es einen Spagat zwischen einer Doppelbiographie, einer Gesamtdarstellung der Epoche und einer quellenkritischen Untersuchung des Treffens bzw. "Duells" in Dresden auf weniger als 300 Seiten versucht.

Den wesentlichen Kritikpunkt bildet daher weniger der Inhalt als der Aufbau des Buches. Denn entgegen des historisch klar umgrenzten Zeitraums im Titel von „Achtzehnhundertdreizehn“ und der damit verbundenen Erwartungshaltung, entwickelt Müchler auf 272 Seiten vielmehr zwei nebeneinanderstehende Biographien von Napoleon und Metternich und damit auch eine Zusammenfassung des gesamten Napoleonischen Zeitalters. Die Kurzbiographien bleiben dabei leider auch unausgewogen. Von den 272 Seiten, die Müchlers Werk insgesamt umfasst und von denen 239 Seiten eigentlichen Text darstellen, widmet er allein 70 Seiten einer Kurzbiographie Napoleons und 26 Seiten einer Kurzbiographie Metternichs. Für seine spätere Analyse des Sommers 1813 verliert er dabei vor allem durch die für die Ereignisse von 1813 weitgehend irrelevante, detaillierte Beschreibung der früheren Feldzüge Napoleons oder das vollständige Aufschreiben der ersten Strophe des „Ça ira!“ (S. 57) an Platz. Auf drei kurze einleitende Kapitel zur Begründung der Faszination der Begegnung Napoleons und Metternichs und der Ausgangslage im Winter 1812/13 (1. Kapitel: „Ein magischer Moment“, 2. Kapitel „Smorgoni“ und 3. Kapitel „Wien“) mit insgesamt 22 Seiten, folgen auf ganzen 99 Seiten die Lebensgeschichten Napoleons und Metternichs bis zum Winter 1812/13. An den Ausgangspunkt seines Werkes zurückgekehrt, beschreibt Müchler dann die Wiederaufrüstungspolitik Napoleons im Frühjahr 1813 und den Frühjahrfeldzug in Sachsen bis zum Sommer 1813 auf 55 Seiten. Erst auf Seite 213 beginnt Müchler mit der Erzählung des eigentlichen „weltgeschichtlichen Duells von Dresden“. Für die titelgebende Thematik des Buches verwendet er dann allerdings nur noch 20 Seiten, was im Hinblick auf das allein 70-seitige Kapitel zur Biographie Napoleons als unangemessen gelten kann. Trotzdem bleibt das Kapitel „Das Duell“ inhaltlich und wissenschaftlich der Höhepunkt des Buches und es zeigt für jeden Leser offensichtlich, dass sich Müchler intensiv und kritisch mit den von ihm angeführten Quellen und Memoiren auseinandergesetzt hat. Für die historische Forschung stellt es den wesentlichen Nutzen und Gewinn des Buches dar.

Müchlers Narrativ steht ganz in der Tradition, der so häufig mit Napoleon verbundenen Erzählweise Jacob Burckhardts, dass „die Geschichte es bisweilen liebt, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten, welchem hierauf die Welt gehorcht“.3 Müchlers Werk ist insofern gerade ein Musterbeispiel traditioneller „Great Men“-Geschichtsschreibung. Die Konzentration auf zwei Charaktere im diplomatischen Entscheidungsjahr 1813, kann allerdings als zu zugespitzt erscheinen und stellt den wesentlichen inhaltlichen Kritikpunkt am Werk Müchlers dar, auf den daher auch noch kurz einzugehen ist.

Man gewinnt im Laufe des Buches zunehmend den Eindruck, dass es gerade Metternichs geschickte Diplomatie war, die den Emporkömmling Napoleon nach dem gescheiterten Russlandfeldzug 1812 schließlich verdammte. Doch gerade im Hinblick auf jüngst veröffentlichte Werke wie Dominic Lievens „Russland gegen Napoleon“4 zeigt die neueste Forschung wie entscheidend auch allgemeine staatliche und ökonomische Strukturen sowie die militärischen und diplomatischen Vorgehensweisen Russlands (welches zwischen 1812 und 1814 die Hauptlast im Kampf gegen Napoleon trug) im Jahr 1812/13 zum Untergang des Napoleonischen Reiches beitrugen. Für die Befreiungskriege ebenso bedeutende diplomatische und militärische Akteure wie der russische Diplomat Graf Nesselrode, der österreichische Diplomat im Hauptquartier der Verbündeten Philipp Graf Stadion, der engste Berater Metternichs Friedrich von Gentz oder der sich den französischen Befehlen zur Verteidigung Warschaus gegen die Russen verweigernde Kommandant des österreichischen Korps im Russlandfeldzug Fürst Schwarzenberg, spielen in Müchlers Darstellung nur eine untergeordnete Rolle. Der älteste und stärkste Widersacher Napoleons bleibt in Müchlers Erzählung über die Ereignisse von 1813 fast nicht berücksichtigt: Großbritannien. Bis auf die berühmte Anschuldigung Napoleons gegenüber Metternich, dass dieser angeblich von England bestochen wurde (S. 229) und am Rande der Prager Verhandlungen, taucht es im Werk Müchlers kaum auf (obwohl Arthur Wellesley gerade am 21. Juni 1813 bei Vitoria der entscheidende Sieg über die französischen Truppen in Spanien geglückt war und Napoleon am Tag der Unterredung in Dresden am 26. Juni wohl gerade erst von der endgültigen Niederlage in Spanien erfahren hatte). Jegliche Friedenskonferenz und alle Kompromisse, die Napoleon und Metternich in ihrem „weltgeschichtlichen“ Duell von 1813 ausgehandelt und Preußen und Russland akzeptabel gemacht hätten, wären letztlich irrelevant gewesen, wenn Großbritannien bei einer Übereinkunft nicht involviert gewesen wäre. Die Zuspitzung aller Ereignisse auf die Entrevue im Palais Marcolini erscheint aus dieser Perspektive allein aus ideengeschichtlicher Perspektive (als Duell von Revolution und Restauration/ Universalmonarchie gegen Balance of Power) als korrekt bzw. relevant; real- und machtpolitisch war das Treffen dagegen eine Anekdote der Geschichte, vergleichbar mit der ebenso als legendär eingestuften und quellenkritisch ähnlich aufgearbeiteten Begegnung Napoleons mit der Königin Luise von Preußen in Tilsit im Jahre 1807.

Insgesamt fehlt es Müchlers Werk aufgrund des Spagats zwischen einer anekdotengespickten Doppelbiographie, der Darstellung der militärhistorischen Ereignisse und der quellenkritischen Analyse der Ereignisse in Dresden schlicht am benötigten Platz, um die komplexe diplomatische Situation mit all ihren Akteuren, Präferenzen und Wahrnehmungen im Sommer 1813 ausreichend beleuchten zu können. Die Entscheidung über das Schicksal Europas spitzt sich dadurch auf die zwei titelgebenden Akteure Napoleon und Metternich zu, von denen nur bei Napoleon behauptet werden kann, dass hier ein wirklich ausschlaggebender und entscheidungsfähiger Akteur am Werk war, der aber wie Müchlers Interpretation des entscheidenden „Duell“-Kapitels zeigt, von vornherein keine andere Wahl hatte, als ein Vabanque Spiel zu betreiben und die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu suchen.

Anmerkungen:
1 Volker Ullrich, Napoleon. Eine Biographie, Reinbek 2004.
2 Roger Dufraisse, Napoleon. Revolutionär und Monarch. Eine Biographie, München 2005.
3 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Berlin 1905, S. 231.
4 Dominic Lieven, Russland gegen Napoleon. Die Schlacht um Europa, München 2011.