L. Körntgen u.a. (Hrsg.): Religion and Politics

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Titel
Religion and Politics in the Middle Ages / Religion und Politik im Mittelalter. Germany and England by Comparison / Deutschland und England im Vergleich


Herausgeber
Körntgen, Ludger; Waßenhoven, Dominik
Reihe
Prinz-Albert-Studien 29
Erschienen
Berlin 2012: de Gruyter
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Bihrer, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Das Verhältnis von ‚Staat‘ und ‚Kirche‘ im Mittelalter gehört zu den klassischen Themen der bürgerlichen Geschichtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert, nicht zuletzt da aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen der Zeit wie Säkularisation oder Kulturkampf das Interesse der Zeitgenossen an diesem Spannungsverhältnis immer wieder neu herausgefordert wurde. Auch gegenwärtig erfährt dieses Forschungsfeld eine große Konjunktur, nun meist unter den Schlagwörtern ‚Politik‘ und ‚Religion‘; so firmiert seit 2007 ein Exzellenzcluster an der Universität Münster unter dem Titel „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“. Den Hintergrund für die erneute Hinwendung zu diesem Themenbereich bildet der zunehmende Kontakt westeuropäischer Gesellschaften mit Kulturen, in denen Religion, Glaube und Spiritualität eine gewichtigere Rolle spielen als im Westen.

Diesem Forschungsthema widmete sich im Jahr 2010 auch eine Coburger Tagung, die von der Prinz-Albert-Gesellschaft getragen wurde. Dies war die erste von dieser Gesellschaft ausgerichtete Tagung, die sich ausschließlich mit dem Mittelalter beschäftigte. Das Verhältnis von Religion und Politik im Mittelalter wurde anhand eines Vergleichs zwischen den beiden westeuropäischen Regionen Deutschland und England untersucht, um Interdependenzen, Verflechtungen und Wechselwirkungen auf die Spur zu kommen. Das etablierte Forschungsfeld sollte durch die Anwendung moderner Ansätze, die Bearbeitung unbeachteter Felder und durch moderne Interpretationen neu vermessen werden. Im Tagungsband wurden neun der zehn Vorträge abgedruckt; das Fehlen des Beitrags zur Spätantike fällt aber nicht weiter ins Gewicht, da er (ebenso wie ein abgedruckter Aufsatz zur Karolingerzeit) nicht eine Hälfte eines deutsch-englischen Vergleichs gebildet hatte. Die übrigen acht Studien behandeln jeweils ein Fallbeispiel entweder aus England oder aus dem Reich, dabei wurden als Zeitschnitte das späte 10. Jahrhundert, die Zeit um 1100 sowie das 12. Jahrhundert und das 14. Jahrhundert gewählt. Die vier Aufsatzpaare beziehen sich zum Teil enger, zum Teil weiter aufeinander. Der Band wird durch ein Abbildungs-, ein Abkürzungsverzeichnis und durch einen Katalog der Autorinnen und Autoren ergänzt, ein Register fehlt gleichwohl.

Die wichtigen Ergebnisse der neun Beiträge können hier nur knapp gewürdigt werden. Janet L. Nelson arbeitet in ihrer Studie zum Selbstverständnis Karls des Großen heraus, dass dessen Herrschaftsordnung ein Abbild der göttlichen Ordnung darstellen sollte, weswegen zum Beispiel die Treue zum Kaiser mit der Treue zu Gott gleichgesetzt wurde, was die Verfasserin an der Ausformung der Kirchenorganisation und an der Sachsenmission beleuchtet. In seinem Aufsatz zu den politischen Handlungsspielräumen der Bischöfe im ostfränkisch-deutschen Reich stellt Dominik Waßenhoven heraus, dass sich deren erweiterte Handlungschancen aus einem neu gewonnenen Selbstverständnis und aus Eingriffsmöglichkeiten in umstrittene Königswahlen speisten, wodurch auch das Verhältnis zum Königtum neu definiert wurde. Catherine Cubitts Untersuchung verdeutlicht, wie zur Regierungszeit König Aethelreds the Unready zentrale Elemente der angelsächsischen Bußpraxis auf mehreren Ebenen zu Leitgedanken in Politik und Gesellschaft wurden, auch um königliche Autorität in einer Zeit verstärkter Bedrohung durch die Wikinger zurückzugewinnen. Der Bedeutung des Investiturstreits insbesondere in der englischen Geschichtsschreibung der letzten Jahre gilt Stuart Airlies Beitrag; er demonstriert anhand der Analyse von wichtigen Neuerscheinungen, dass auch aufgrund neuer Forschungsperspektiven (Region, soziale Gruppe oder Gender) der Investiturstreit immer stärker lediglich als eine Episode innerhalb der globalen Geschichte bewertet wird. Ludger Körntgen relativiert die Bedeutung des Wormser Konkordats aus einer anderen Perspektive, indem er herausarbeitet, dass viele der dort formulierten Zuständigkeiten und Rechte frühmittelalterliche Traditionen aufnahmen, insbesondere was das Verhältnis von religiösem und politischem Bereich anging; eine Trennung zwischen diesen beiden Sphären ist nach Körntgen im Wormser Konkordat nur in wenigen Teilbereichen vollzogen worden. Die Initiative für die Heiligsprechung Karls des Großen kam Knut Görich zufolge in erster Linie den Aachenern Stiftsklerikern zu, Karl wurde also nicht als politischer Heiliger oder gar als Reichsheiliger von Friedrich Barbarossa ‚erfunden‘, auch wenn der neue Kult und das dabei entworfene Bild des Heiligen Elemente des kaiserlichen Selbstverständnisses berührten. Björn Weiler analysiert die Rolle der englischen Bischöfe im 12. Jahrhundert und kann zeigen, dass diese sich in die Tradition angelsächsischer Vorbilder stellten und als moralische Autoritäten Ideale und Normen gegenüber dem Königtum vertraten; indem sie als spirituelle Autoritäten agierten, konnten sie neue Handlungsspielräume für sich gewinnen. Verschiedene Elemente des Selbstverständnisses der englischen Monarchen des 14. Jahrhunderts arbeitet W. Mark Ormrod heraus und demonstriert dies anhand der drei Felder Ritual, Patronage und nationale Identität, in denen, so Ormrod, die Religion eine größere Rolle spielte als von der Forschung bislang vermutet. Amalie Fößel legt dar, wie auch im spätmittelalterlichen Reich religiöse Riten für die herrscherliche Propaganda genutzt wurden; diese Riten mussten aber an die private Frömmigkeit des Herrschers gekoppelt werden, um auch eine öffentliche Dimension zu besitzen, wie Fößel am Beispiel Kaiser Karls IV. zeigt.

Anders als der Titel des Sammelbands vielleicht vermuten lässt, war kein komparatistischer Versuchsaufbau beabsichtigt: „Dabei war weder ein systematischer Vergleich noch eine umfassende Bestandsaufnahme angestrebt; es ging vielmehr darum, […] für die weitere Diskussion Material und Anregungen zu präsentieren.“ (S. 12) Ein solcher systematischer Vergleich wäre für die in den Blick genommenen Räume auch gar nicht möglich, waren diese doch auch im Mittelalter nicht klar voneinander abgetrennt und zudem mal größerem, mal kleinerem gegenseitigen Einfluss ausgesetzt. Doch nicht nur diese Konstellation der Vergleichseinheiten, die gemeinhin als Galtons Problem bezeichnet wird, auch die unterschiedlichen Vergleichsobjekte, Bewertungsparameter oder Perspektiven der Beiträgerinnen und Beiträger lassen einen systematischen Vergleich nicht zu. Diese bewusste Zurückhaltung der Herausgeber ist sehr zu begrüßen, auch wenn man sich eine Schlusszusammenfassung gewünscht hätte, zumindest mehr als die eineinhalb Seiten innerhalb der Einleitung, die sich nicht mit der Zusammenfassung der Aufsätze, sondern mit Hinweisen zum Tagungsthema beschäftigen.

Die Aufsätze dieses Sammelbands demonstrieren in eindrucksvoller Weise, dass die beiden Sphären Religion und Politik im Mittelalter zum Teil untrennbar miteinander verwoben, zum Teil getrennt waren. Die Beiträge mahnen außerdem vor vorschnellen Generalisierungen, zumal im europäischen Vergleich. Vorsicht geboten ist auch vor der klassischen Meistererzählung, nach welcher die beiden Sphären ab dem Mittelalter sukzessive getrennt wurden. Dieser Vorstellung begegnet der Tagungsband in überzeugender Form, indem hier bewusst nicht längere Prozesse, sondern ausgewählte Situationen und Konstellationen und damit spezifische Manifestationen von politischem Handeln und religiösem Verhalten untersucht wurden. Ob darüber hinaus die beiden modernen Ordnungsbegriffe Religion und Politik mittelalterliche Verhältnisse überhaupt angemessen fassen können, muss die zukünftige Forschung zeigen.

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