: Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Band 1: Das Gottesbild. Berlin 2011 : Akademie Verlag, ISBN 978-3-05-005133-8 XXXI, 338 S. € 99,80

: Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Band 2: I. Die materielle Schöpfung. Kosmos und Welt. II. Die Welt als Heilsgeschehen. Berlin 2012 : Akademie Verlag, ISBN 978-3-05-005684-5 360 S. € 99,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Miriam Czock, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Wenngleich die kulturwissenschaftliche Erneuerung der Mediävistik zweifelsohne mit einem im Prinzip ungebrochenen Trend einhergeht, sich der Religion als Grundlage aller mittelalterlichen gesellschaftlich-politischen Zusammenhänge zuzuwenden, hat die Untersuchung des religiösen Weltbildes in der deutschen Forschung, vor allem im Vergleich zur französischen, kaum eine Tradition. Bisher bestimmende Modellbildungen beruhen deshalb auch auf den in der Annales-Schule entwickelten mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen und berühren in erster Linie die religiöse Praxis. Daneben erschienen zwar auch Studien zu theologisch-dogmatischen Konzepten, die aber einerseits nahezu ausschließlich das 12. Jahrhundert beleuchteten und andererseits häufig von einer relativen Statik religiöser Ideen ausgingen.

Hans-Werner Goetz will mit den hier zu besprechenden zwei Bänden zur religiösen Vorstellungswelt des frühen und hohen Mittelalters zum einen die statische Perspektive aufbrechen, zum anderen plädiert er für die Erprobung einer neuen Analyseebene, indem er sich der „gedachten Reflexion“ (S. 36) des Glaubens zuwendet und diese an die Stelle der Evaluation eines frommen Zeitalters setzt. Sein methodologisches Vorgehen konkretisiert Goetz in der Einleitung des ersten Bandes (S. 1-48) und schlägt zur Aufschlüsselung des mittelalterlichen Weltbildes vor, individuellen, der geistigen Sphäre zugehörigen Äußerungen von Denkinhalten nachzugehen, die erst in der Summe zeitspezifische „Vorstellungswelten“ abbilden. Der Untersuchungsansatz verspricht Erkenntnisse in mehrfacher Hinsicht: Einerseits erlaubt er, Spezifika einzelner Denker darzustellen; andererseits eröffnet er das Potential, die Religiosität wie die Theologie zu historisieren und damit zu einem legitimen Gegenstand der Geschichtswissenschaft zu machen.

Da sich Goetz an den Vorstellungen orientiert, nimmt er nicht nur die im engeren Sinne religiösen Quellen wie exegetische und liturgische Texte, Bußbücher und Predigten in den Blick, sondern auch Dichtung, Briefe, Urkunden, Bilder, philosophisch-naturwissenschaftliche Werke wie historiographische sowie hagiographische Berichte und befragt sie auf die ihnen zugrunde liegenden theologischen Vorstellungen. Damit legt er auf theologischen Ideen beruhende Interpretationsmuster gesellschaftlich-historischer Zusammenhänge offen. Zeitlich spannt er seinen Bogen vom Frühmittelalter als Zeit der Transformation und Integration des Christentums in eine heidnische Gesellschaft bis zur stärkeren Systematisierung der Glaubensinhalte des 12. Jahrhunderts.

Im vorgegebenen Rahmen ist es kaum möglich, der Fülle der Beobachtungen, Auswertungen und Ergebnisse zur Religionsgeschichte, Theologie und zu den religiösen Vorstellungen gerecht zu werden, deshalb sollen hier entlang der Werksstruktur nur zentral erscheinende mittelalterliche Denkmodelle und Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Für den Benutzer als äußerst hilfreich erweist sich dabei die differenziert gestaltete Binnengliederung der Bände, sie erleichtert den Einstieg in die verschiedenen Themenbereiche. Der erzählerische Akzent liegt auf den Quellen, so ist der Text mit vielen Quellenzitaten gesättigt und zu den verschiedenen Fragestellungen finden sich vertiefende Erläuterungen von Fallbeispielen.

Der erste Band widmet sich dem Gottesbild und beleuchtet in jeweils einzelnen Kapiteln Gott als Schöpfer, Lenker und Richter, das Nachdenken über das göttliche Wesen, das Trinitätsproblem, rationale Gottesbeweise und bildliche Gottesdarstellungen. Das Gottesbild tritt meistens nicht aus der Gottesvorstellung speziell gewidmeten Schriften hervor, sondern erhellt aus ganz unterschiedlichen Quellen, die auf verschiedene Facetten verweisen. Letztlich entsteht die Vorstellung von Gott im Spannungsfeld von Tradition, Bibelauslegung, logisch-rationaler Auslegung und „Offenbarungen“. Bestimmte Probleme des göttlichen Wesens wie seine Transzendenz, Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit spielen hierbei immer wieder eine Rolle. Zwar thematisieren mittelalterliche Schreiber das Gottesbild in vielfältigen Zusammenhängen, eine Schärfung der Dogmatik geschah aber häufig in Abgrenzung zu häretischen Strömungen. Das Nachdenken über Gott entwirft ihn nicht auf eine transzendente Sphäre beschränkt, sondern als Wesen, das nach der Schöpfung weiter sein Wirken in der Welt offenbart. Seine Eingriffe in die Welt werden durch Prophezeiungen, Vorzeichen, Wunder, aber genauso in Beistand und Strafen deutlich. Gleichzeitig zu seiner Ewigkeit entfaltet sich sein Wirken zwischen Schöpfung und letztem Gericht, sodass der Fortschritt der irdischen Geschichte gleichsam Teil der Heilsgeschichte ist.

Zum Gottesbild gehört auch die Trinität, welche von besonderer dogmatischer Brisanz war, da die diffizilen Unterscheidungen der Dreiheit in einer Person häufig zu Spannungen in der Auslegung führten. Schon im Rahmen der Diskussion um die Trinität und dem Verhältnis der drei Personen zueinander wird unter anderem die besondere Bedeutung des christologischen Elements in der Person Christi als Erlöser deutlich. Christus hat aber noch vielfältige andere Funktionen, wobei gerade seine Mittlerstellung durch Inkarnation von Bedeutung ist. Von den drei göttlichen Personen ist der Heilige Geist am schwersten fassbar, so dass man bisher davon ausging, dass er erst im Spätmittelalter eine größere Rolle zugewiesen bekam oder in der praktischen Frömmigkeit nahezu abwesend blieb. Dagegen kann Hans-Werner Goetz demonstrieren, dass die Theologie sich seit dem Frühmittelalter dem Heiligen Geist sehr wohl zuwandte und er als derjenige vorgestellt wurde, der den Willen Gottes ausführt.

In der diachronen Betrachtung, aber auch in Bezug auf den Vergleich verschiedener Autoren, ist es Goetz gelungen das Gottesbild als relativ festgefügt zu beschreiben, wobei Nuancen und Aspekte unterschiedlich gewichtet werden konnten. Stärker als eine Veränderung des Bildes an sich wiegt der Wandel der Erkenntnismethoden im 12. Jahrhundert, die verstärkt rational-philosophischen Modellen folgten. Anhand dieser Ergebnisse überprüft Goetz auch bisherige Forschungsmodelle. So positioniert er sich gegen die Annahme, das Mittelalter wäre durch eine Naivität des Glaubens gekennzeichnet gewesen. Auch die gängigen Hypothesen, die frühmittelalterliche Religion wäre allein als „archaisch“ oder als „Primärreligion“ zu bezeichnen, müssen seiner Einschätzung nach verworfen werden. Solche Urteile können – wie Hans-Werner Goetz im Durchgang durch die Quellen zeigen kann – der Komplexität der bereits im Frühmittelalter ausgebildeten theologischen und religiösen Vorstellungen nicht gerecht werden. Auch die Idee, das Gottesbild weise eine Veränderung vom Krieger- und rächenden Gott des Frühmittelalters zu einem lieben Gott und einer verstärkten Christozentrik im Hochmittelalter auf, ist zu einfach formuliert. Vielmehr erfolgte der Wandel subtiler, und die Betonung einzelner Facetten des Gottesbildes hing vom jeweiligen Kontext ab.

Der zweite Band beschäftigt sich mit der materiellen Schöpfung – nämlich dem Kosmos und der Welt – und in einem zweiten Teil mit der Welt als Heilsgeschehen. Damit wendet sich Goetz zuerst der Materialität und dann der Zeitlichkeit der göttlichen Schöpfung zu.

Die Natur war im mittelalterlichen Denken Gegenstand der Physik, das heißt das Wissen über sie erkundet die Natur der Dinge. Dabei sind Schöpfung und Natur eng aufeinander bezogen, so dass das Wissen über die Natur gleichzeitig die Schöpfung erklärt. Grundbestandteil der Schöpfung sind die Elemente – Feuer, Luft, Wasser und Erde –, aus denen die Kräfte der Natur erwachsen. Die Materie und der Raum, der aus der Schöpfung hervorgeht, ist die „Welt“ (mundus/cosmos), wobei der Begriff räumliche, zeitliche und moralische Dimensionen haben konnte. Der Kosmos umfasste die Erde – als Mittelpunkt eines Modells mit mehreren Schichten –, Himmel, Paradies und Hölle. In Bezug auf den Himmel muss man eigentlich von zwei Himmeln sprechen: einem menschlichen, der die Form einer Kugel hat und die Gestirne enthält, und einem geistlichen Himmel jenseits des menschlichen Sternenhimmels, der die Wohnung Gottes, der Engel und der Seelen der Erlösten ist. Das Paradies ist ein mehrdeutiger Begriff, der religiös aufgeladen ist und seinen Platz in der Heilsgeschichte hat, gleichzeitig war er als Teil des Kosmos und auf der Erde lokalisierbar vorgestellt. Die Hölle ist der Wohnort des Teufels und der Dämonen und ein Ort der Strafen, bzw. der Qualen, in dem Feuer, Kälte und Dunkelheit herrschen. Für die Vorstellungen von der Erde zieht Hans-Werner Goetz überwiegend Karten heran. Sie vermitteln durchaus geographische Kenntnisse, unterliegen aber durchgehend schematisch historisch-heilsgeschichtlichen Betrachtungsweisen.

Das mittelalterliche Weltbild des Kosmos beruhte zwar auf antiken Wurzeln, wurde aber in die christliche Vorstellung der göttlichen Schöpfung eingebunden. Von besonderer Tragweite ist Goetz‘ Beobachtung, dass nicht erst das Hochmittelalter die Widersprüche zwischen natürlichen Phänomenen, verstanden als die Beschaffenheit der Dinge, und theologisch-religiösen Vorstellungen entdeckt, sondern bereits im Frühmittelalter dahingehende Überlegungen nachweisbar sind. Das mithin als Profanisierungstendenz des 12. Jahrhunderts gelesene Streben nach Rationalisierung kann Goetz zufolge keinesfalls als solches verstanden werden, sondern muss als eine stärkere Verschränkung von ursprünglich religiösen und ursprünglich „wissenschaftlichen“ Naturvorstellungen gedeutet werden.

Im zweiten Teil des zweiten Bandes behandelt Hans-Werner Goetz das zeitliche Heilsgeschehen, das sich im räumlichen Rahmen des Kosmos entfaltet: die nach Gottes Heilsplan ablaufende Geschichte. Das Zusammenspiel von Immanenz und Transzendenz spielt dabei auf zwei Ebenen eine Rolle; zum einen hatte jeder Mensch einen individuell-personalen Heilsweg, zum anderen wurde die gesamte Menschheitsgeschichte als Heilgeschichte verstanden, in der Göttliches und Irdisch-weltliches ineinandergreifen. Zentral sind hierbei die Schöpfung, der Sündenfall und die Erlösung, denn sie bestimmen das irdische Leben zur „Bewährungsprobe des Menschen“. Auch in der Heilsgeschichte vermischen sich Immanenz und Transzendenz, denn in das Heilsstreben der Menschen sind die Engel und Dämonen eingebunden. Vor dem menschlichen Sündenfall lag der Engelfall, der in der Bibel keine Erwähnung findet. So musste – obwohl er nicht in Frage gestellt wurde – geklärt werden, wann der Fall stattfand, welche Ursachen und Folgen er hatte sowie ob der Teufel seinen Fall vorausgewusst habe. Der Engelfall war mit dem Sündenfall verbunden, denn erst durch ihn konnte der menschliche Sündenfall erklärt werden. Der Mensch verfiel durch den Teufel der Sünde, jedoch konnte er durch die Gnade Gottes, deren Mittelpunkt der Erlösungstod Christi ist, das Heil wiedererlangen.

Sündenfall und Heilsaussicht als Teil des Heilsgeschehens bieten aufgespannt zwischen dem Fall und dem jüngsten Gericht den übergreifenden Rahmen für das irdische, wandelbare Geschehen. Der Geschichtsverlauf konnte deshalb so konzipiert werden, dass sich darin das Wirken Gottes widerspiegelte. Die heilsgeschichtliche Ordnung wurde im Zusammenhang mit den Epochen des Heilsplans einer Periodisierung unterzogen: den sechs Schöpfungstagen entsprach die Vorstellung von sechs Welt- oder Zeitaltern. Zugleich liegt der Heilsgeschichte ein Fortschrittsdenken zugrunde, in dem Christus als Erlöser den Fortschritt der Menschheit zu einem Gottesvolk eröffnete. Die Vorstellung, dass die Geschichte von Gott gelenkt ist, wirkt sich nicht nur auf die individuelle Heilssuche aus, sondern auch die der Gemeinschaft, die in erster Linie durch die von Augustinus vertretene civitas-Lehre das mittelalterliche Denken beeinflusste. In der zeitlichen Welt (saeculum) hatte der zur Sünde neigende Mensch trotz des Sündenfalls den Willen zum Heil, um es zu erlangen, musste er den wiederkehrenden Verführungen des Teufels widerstehen. Zugleich standen verschiedene Heilsmittel auf dem Heilsweg zur Verfügung: Glaube, Sakramente, Tugenden und gute Werke. Im Rahmen der Heilsvorstellung wurde auch die Frage der Prädestination und des freien Willens verhandelt, wobei im 12. Jahrhundert ein neues Element in die Diskussion aufgenommen wurde, nämlich die Vernunft.

Das Fazit des zweiten Bandes bietet im Gegensatz zum vorausgegangen neben einem Resümee keine erneute Einordnung in die Forschungsgeschichte, sondern einen Ausblick auf die kommenden Bände, die sich mit dem Heilsgeschehen auf der personalen Ebene, das heißt den Engeln, Dämonen und Menschen, und den aus den heilsgeschichtlichen Vorstellungen hervorgehenden konkreten Aspekten wie Buße und Sünde, Heilige und Wunder, Tod und Jenseits beschäftigen werden.

Die Kritik, dass einiges hätte ergänzt oder präzisiert werden können, aber vor allem, dass deutlicher nach Raum, Zeit und Autor hätte differenziert werden müssen, gibt der Autor mit dem berechtigten Hinweis auf die Komplexität des Themas selber zu bedenken. Gerade in Bezug auf die Historisierung des Religiösen und der Theologie werden diese Schärfungen in kommenden Studien fruchtbar sein. In Bezug hierauf bringen die umsichtigen Interpretationen jedoch gegen die ältere Forschung die Einsicht, dass dem Frühmittelalter für die Entwicklung theologischer Konzepte und dem spezifisch mittelalterlichen Weltbild zentrale Relevanz zukommt. Dadurch lässt sich die frühmittelalterliche Religiosität und Theologie nicht mehr in der bisherigen Weise von der „Renaissance des 12. Jahrhunderts“ abgrenzen, vielmehr wird man den Wandel des 12. Jahrhunderts stärker als eine Veränderung der Methoden, vor allem hin zu einer Systematisierung und einer Intensivierung der Diskussion verschiedener bereits im theologisch-religiösen Diskurs befindlicher Aspekte, aufzufassen haben.

Hans-Werner Goetz‘ Studie lebt von der Anschaulichkeit im Detail und bereichert die Forschung um einen gelungenen, sehr gut strukturierten und grundlegenden Überblick über die religiöse Vorstellungswelt des Mittelalters, der auf künftige Untersuchungen zur Religiosität im Mittelalter sowie zum Weltbild des Mittelalters zweifellos anregend ausstrahlen wird. Man darf also gespannt bleiben, was die angekündigten weiteren zwei Bände der Reihe an neuen Erkenntnissen bringen werden.

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