: W cieniu gigantów. Pogromy 1941 r. w byłej sowieckiej strefie okupacyjnej. Warschau 2012 : Instytut Studiów Politycznych PAN, ISBN 978-83-60580-95-0 445 S. Zloty 42,00

: Blutiger Juli. Rumäniens Vernichtungskrieg und der vergessene Massenmord an den Juden 1941. Paderborn 2013 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-77675-4 241 S. € 26,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Grzegorz Rossolinski-Liebe, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Nachdem Deutschland am 22. Juni 1941 mit Unterstützung italienischer, rumänischer, slowakischer, ungarischer und finnischer Truppen die Sowjetunion angegriffen hatte, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden entlang eines Grenzstreifens, der sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer durch Länder wie die baltischen Staaten, Polen, Weißrussland, die Ukraine und Rumänien erstreckte. Spätestens seitdem Jan Tomasz Gross 2001 seine Studie über den Pogrom in Jedwabne publizierte1, ist bekannt, dass in vielen Orten die lokale Bevölkerung ihre jüdischen Nachbarn ohne Anstiftung oder Unterstützung durch die deutschen Truppen misshandelte, tötete und sich deren Eigentum aneignete. 2012 und 2013 sind zwei beachtenswerte Publikationen erschienen, die den Pogromen im Sommer 1941 auf den Grund gehen. Witold Mędykowski legte eine vergleichende Monographie vor, die Pogrome in allen Ländern aufgreift und sich vor allem mit den psychologischen und gesellschaftlichen Aspekten dieser Ereignisse auseinandersetzt; Simon Geissbühler veröffentlichte ein kompaktes Buch über die antijüdischen Ausschreitungen in Bessarabien und der Nordbukowina. Beide Bücher sind stark aus der von Saul Friedländer, Omer Bartov und Jan Tomasz Gross in die Holocaustforschung eingeführten Perspektive der Opfer geschrieben, obwohl Mędykowski in die theoretischen Diskussionen über die Holocaustforschung nicht eingeweiht zu sein scheint und die Opferperspektive eher durch das extensives Studium der Berichte von Überlebenden entdeckte. Beide Monographien bringen den Stand der Forschung voran und widerlegen Thesen, die von Historikern aufgestellt wurden, die die Perspektive der Opfer ignorierten oder marginalisierten und den Judenmord ausschließlich oder überwiegend nur mit Hilfe der von den Tätern hinterlassenen Dokumenten zu erklären versuchten. Die beiden neuen Monographien erschöpfen jedoch nicht das Thema der antijüdischen Pogrome im Sommer 1941 und machen klar, dass weitere Forschung zu dieser Problematik notwendig ist. Vor allem Mędykowskis Studie ignoriert mehrere wichtige Aspekte und präsentiert ein Bild der Pogrome, das durch zusätzliche, teilweise schon veröffentlichte, Forschungen ergänzt werden muss.

Mędykowski, ein langjähriger Mitarbeiter im Archiv von Yad Vashem, ist ein ausgezeichneter Kenner der von den Überlebenden hinterlassenen Dokumente. In seiner Monographie wird die Geschichte der Pogrome im Sommer 1941 fast ausschließlich durch die Augen der Opfer und Überlebenden erzählt. Der Autor kann sich gut in die Opfer einfühlen und überzeugend erklären, was sie durchmachten und fühlten als ihre Nachbarn und andere lokale Täter sie mit Zustimmung und Unterstützung der deutschen und rumänischen Truppen in hunderten von Orten zu verfolgen, erniedrigen, foltern und töten begannen oder als die Einsatzkommandos sie erschossen. Beeindruckend ist auch, dass es Mędykowski gelingt, die Pogrome in allen Ländern, in denen sie vorgekommen sind, in einer Studie zu erfassen. Die Unterschiede im Ausmaß, Verlauf oder ihrer Heftigkeit sind in dem Buch klar herausgearbeitet und belegt. So wird deutlich, dass die Pogrome in Litauen, Rumänien und der Westukraine viel brutaler und heftiger waren, als zum Beispiel in Weißrussland, wo während der Pogrome „nur“ geraubt und geplündert aber in der Regel nicht getötet wurde (S. 196–208, 230–274). Mędykowski liefert auch eine gute Einführung in die Geschichte der Pogrome seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Europa (S. 67–109) und eine interessante Beschreibung der kulturellen und sozialen Prozesse, die vor den Pogromen 1941 während der sowjetischen Besatzung vorgekommen sind. Diese Vorgeschichte erlaubt es, die Prozesse nach dem 22. Juni besser nachzuvollziehen (S. 110–145).

Weniger überzeugend in Mędykowskis Monographie ist die Nicht-Berücksichtigung von Dokumenten aus ukrainischen, litauischen, russischen, rumänischen und anderen relevanten Archiven und der wissenschaftlichen Literatur, die in diesen Sprachen verfasst wurde. Dadurch kann Mędykowski nicht erklären, wie solche Akteure wie zum Beispiel die Organisation der Ukrainischen Nationalisten sich auf den deutschen Angriff vorbereiteten, die Bevölkerung mit ihrer antisemitischen Propaganda zur antijüdischen Gewalt aufforderten oder die Einsatzkommandos bei Erschießungen unterstützen.

In der Einleitung erläutert Mędykowski, dass die Erinnerungen und Aussagen der Täter problematisch und oft falsch sind, weil die Täter ihre Beteiligung herunterspielen und verharmlosen, andere mit ihren Verbrechern belasten oder ganze Sachverhalte leugnen. Die Schlussfolgerung aber, dass man deshalb die Täterdokumente bei der Untersuchung solcher Ereignisse wie der Pogrome vollkommen oder zum großen Teil ignorieren kann, ist nicht überzeugend. Vor allem die zeitgenössischen Dokumente sind wichtig, weil sie Informationen darüber enthalten, wie die Täter ihre Verbrechen planten und durchführten und von welchen Motivationen sie gelenkt wurden. Des Weiteren beschränkt sich Mędykowski bei den Täterdokumenten nur auf deutsche Dokumente und erklärt lediglich, wie die deutschen Einsatzgruppen und die Wehrmacht die antijüdische Gewalt anstifteten oder Juden ermordeten. Die lokalen nichtdeutschen Täter werden dagegen als nichtorganisierte und zufällig handelnde Individuen dargestellt, selbst wenn der Autor immer wieder auf die lokale Miliz in der Ukraine hinweist, die – wie er wegen Nichtberücksichtigung der dafür relevanten Quellen nicht belegen kann – in vielen Orten von der Organisation der Ukrainischen Nationalisten aufgestellt wurde.2 Ähnlich erklärt der Autor im theoretischen Teil, dass Pogrome in der Regel von bestimmten Akteuren oder Gruppen organisiert und ihre Verläufe im gewissen Ausmaß gesteuert werden (S. 313–339), kann aber diese Behauptung im empirischen Teil nicht belegen.

Geissbühlers Studie unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Mędykowskis, obwohl sie ebenso die Perspektive der Opfer in den Vordergrund stellt. Geissbühler konzentriert sich nur auf diejenigen antijüdischen Gewalttaten, zu denen es in der Nordbukowina und im Norden Bessarabiens kam, nachdem die rumänischen und deutschen Truppen dort nach dem 2. Juli 1941 infolge der Operation München einmarschiert waren. Anders als Mędykowski macht er die Leser mit dem Forschungsstand zu Rumänien und der Holocaustforschung vertraut und erklärt, wie Historiker wie Friedländer, Gross und Bartov die unter anderem von der deutschen Zeitgeschichtsforschung negierte Perspektive der Opfer einführten und wie das den Blick auf den Holocaust und die nichtdeutsche Beteiligung am Judenmord veränderte. Geissbühler widmet auch ein ganzes Kapitel dem Umgang mit dem Holocaust im postkommunistischen Rumänien, weshalb seine Studie näher an die Gegenwart heranreicht als jene Mędykowskis. Neben der historischen Analyse bietet er auch eine kurze Einführung in die rumänischen und teilweise auch ukrainischen Holocaustdiskurse.

Geissbühler nimmt den rumänischen Antisemitismus ernst. Auf Basis unterschiedlicher Quellengattungen zeigt er, wie dieses Phänomen sich im Zwischenkriegsrumänien radikalisierte und rassistische und eliminatorische Züge annahm, ohne dabei das stark religiös geprägte Fundament zu verlieren. Ähnlich wie in Deutschland waren in Rumänien alle Gesellschaftsschichten vom Antisemitismus betroffen, so dass Juden Reisen in Rumänien als gefährlich ansahen, rumänische Professoren wie Alexander C. Cuza Antisemitismus predigten, jüdische Studenten erniedrigt, geschlagen und totgeprügelt wurden, Juden im Parlament von Abgeordneten beschimpft wurden, jüdische Journalisten und Anwälte 1937 entlassen wurden und Ärzte ihre Arbeitsbewilligung verloren. Des Weiteren verdeutlicht der Autor, wie der Antisemitismus in Rumänien vor allem in den späten 1930er-Jahren „zur offiziellen staatlichen Politik“ wurde. Vor diesem Hintergrund lässt sich die antisemitische Gewalt, die kurz danach ausbrach, besser nachvollziehen, wobei Geissbühler auch auf weitere Faktoren wie der Zusammenbruch von Großrumänien und die sowjetische Politik im besetzten Bessarabien und der Nordbukowina hinweist (S. 37–45).

Bereits im Juni 1940, als die rumänischen Truppen und die rumänische Verwaltung die Bukowina und Bessarabien verließen und die sowjetischen Besatzer dort einzogen, kam es zu mehreren Gewalttaten. Allein im südmoldawischen Galați wurden über 400 Juden ermordet. Gleichzeitig kam es auch zu vereinzelten Überfällen von Juden auf rumänische Soldaten, was zusammen mit der „Schmach“ vom Juni 1940 den Antisemitismus in Rumänien noch verstärkte (S. 44–49). Zwischen Juni 1940 und Juli 1941 wurden die rumänischen Juden mit Gewalt unter anderem von Seiten der faschistischen Eisernen Garde konfrontiert, die für einige Monate zusammen mit Marschall Antonescu das Land regierte (S. 50–52). Ende Juni 1941, kurz vor dem Angriff auf die Sowjetunion, machte das vor allem von den rumänischen Spezialeinheiten des Geheimdienstes SSI organisierte Pogrom in Iaşi, bei dem über 10.000 Juden ermordet wurden, deutlich, wie explosiv die Situation war. In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf die unzureichende These von Armin Heinen, der die Schuld für den Pogrom in Iaşi vor allem deutschen Soldaten zuweist. Gleichzeitigt widerspricht Geissbühler damit Daniel Goldhagens These über den angeborenen deutschen eliminatorischen Antisemitismus, da es sich bei den Tätern in Iaşi in erster Linie um Rumänen handelte, die unter dem Einfluss eines eliminatorischen Antisemitismus handelten (S. 53–58).

Bei der Analyse der Ereignisse nach dem 2. Juni 1941 anhand von Berichten und Memoiren von Überlebenden gelingt es dem Autor, die vielen verschiedenen Formen der antijüdischen Gewalt, die Strukturen und die Motive und den kulturellen und sozialen Hintergrund der Täter herauszuarbeiten. Ähnlich wie in anderen Pogromregionen wurden die Juden in Bessarabien und der Bukowina von ihren mit Hämmern, Sensen, Heugabeln, Spaten, Knüppeln oder Eisenstangen bewaffneten Nachbarn, die nicht selten von lokalen oder zugereisten ukrainischen oder rumänischen Nationalisten mobilisiert wurden, bereits vor der Ankunft der Soldaten massakriert und ausgeplündert (S. 63). Was aber die Ereignisse in der Bukowina und Bessarabien von anderen Pogromgebieten unterscheidet ist die Rolle der rumänischen Armee, die zahlreicher, präsenter und häufiger in die Gewalt involviert war als die deutschen Truppen. So wurden die ersten Massenerschießungen hier nicht von den deutschen Einsatzkommandos, sondern von Truppen der rumänischen Armee durchgeführt, wenngleich auch die Einsatzgruppe D später in diesem Territorium tätig war (S. 74–76, 85–87). Auffallend ist auch die Vielzahl an Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen, die von den rumänischen Soldaten an den jüdischen Frauen und Kindern zum Teil vor der Augen ihrer Verwandten begangen wurden (S. 76, 98–99).

Generell handelten in vielen Orten gemischte, aus rumänischen oder ukrainischen Bauern und rumänischen oder deutschen Soldaten bestehende Tätergruppen. Geissbühler zeigt auf, dass die Täter ihre Nachbarn freiwillig töteten und von niemandem dazu gezwungen wurden. Die Gründe für die antisemitischen Gewalttaten waren jedoch vielfältig und umfassten sowohl ökonomische als auch ideologische Motive (S. 90–94). Geissbühler belegt auch, dass man im Fall der rumänischen Armee nicht von einem Befreiungskrieg sprechen kann, wie die Kriegs- und Nachkriegspropaganda es darstellte, weil es nicht notwendig war Tausende von Zivilisten zu ermorden, um diese Gebiete von der sowjetischen Okkupation zu befreien (S. 60). Interessant ist Geissbühlers Diskussion der Mitwisserschaft, die darauf hinweist, dass in Rumänien der Judenmord und vor allem die Involvierung von Familienmitgliedern in den Holocaust bekannt war, aber verschwiegen und verdrängt wurden, obwohl der Holocaust selbst nicht selten mit Zustimmung und sogar Begeisterung beobachtet worden war (S. 102–104).

Bei der Diskussion der Erinnerung an den Holocaust bzw. den Umgang mit ihm nach 1990 stützt sich Geissbühler auf eigene Beobachtungen und auf bereits existierende Literatur zu diesem aktuellen Thema. Der Autor zeigt, dass die rumänische Beteiligung am Judenmord im postkommunistischen Rumänien kollektiv ignoriert, negiert und geleugnet wird, was an die Situation in der Ukraine, Litauen und einigen anderen postkommunistischen Ländern erinnert. Interessant ist, dass der Judenmord nicht nur von Rechtsradikalen und Nationalkonservativen negiert und ignoriert wird, sondern auch von der Mitte der Gesellschaft einschließlich führender Historiker und linker Politiker, die sich als Demokraten verstehen. In Rumänien wird das gut anhand des sozialdemokratischen Politikers, Rechtsanwalts und studierten Historikers Dan Șova illustriert, der öffentlich den Genozid an den Juden und die rumänische Beteiligung leugnete, wofür er zur Zwangsholocaustbildung in das United States Holocaust Memorial Museum geschickt wurde (S. 139–140).

Der Holocaust gilt in Osteuropa, wie Geissbühler richtig hervorhebt, nicht als ein mediales „Dauerthema, von dem man sich irgendwann ‚genervt‘ abwendet, sondern ein Tabu oder schlicht eine Erfindung“ (S. 141). In den postkommunistischen Ländern wurden der Judenmord und die eigene Beteiligung daran bis jetzt nur in Polen von einigen Gesellschaftsgruppen nach der Jedwabne-Debatte durchdacht. Wenig weist darauf hin, dass etwas Ähnliches in Rumänien, der Ukraine oder Litauen passieren könnte, wo der Judenmord und insbesondere die eigene Beteiligung daran nicht als Teil der jeweiligen Nationalgeschichte und -identität verstanden werden, sondern entweder ignoriert, negiert oder als ein ausschließlich deutsches Ereignis interpretiert werden. Aus verschiedenen Gründen trugen mehrere deutsche Historiker zu dieser Situation ebenso bei, indem sie sich in ihrer Forschung vor allem oder ausschließlich nur auf die deutschen Täter konzentrierten und die nichtdeutsche Beteiligung am Holocaust ignorierten oder marginalisierten, wodurch sie auch die Komplexität des europäischen Judenmordes entstellten. Die beiden Publikationen korrigieren dieses multinational verzerrte Bild und weisen auf die Notwendigkeit weiterer transnationaler, kritischer Studien zu den Pogromen und dem Holocaust im Allgemeinen hin.

Anmerkungen:
1 Jan Tomasz Gross, Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne, München 2001.
2 Siehe dazu: John-Paul Himka, The Lviv Pogrom of 1941: The Germans, Ukrainian Nationalists, and the Carnival Crowd, in: Canadian Slavonic Papers Bd. LIII, Nr. 2–4 (2011), S. 209–243, hier: S. 220–221, 227–230; Grzegorz Rossoliński-Liebe, The „Ukrainian National Revolution“ of 1941: Discourse and Practice of a Fascist Movement, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History Bd. 12, Nr. 1 (2011), S. 83–114, hier: S. 102–103.

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