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Titel
Holocaust Denial. The Politics of Perfidy


Herausgeber
Wistrich, Robert S.
Erschienen
Berlin 2012: de Gruyter
Anzahl Seiten
VI, 279 S.
Preis
€ 79,95 / $112.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Mentel, Redaktion Zeitgeschichte-online, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die geistes- und sozialwissenschaftliche Analyse der Negation des Holocaust ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld, dessen Konjunkturen eng mit der öffentlichen Wahrnehmung, zugeschriebenen Bedeutung und Skandalisierung des Phänomens verflochten sind.1 So bewegt sich die entsprechende Literatur, die zu einem großen Teil der Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung zuzuordnen ist, in einem implikationsreichen gemeinsamen Feld von wissenschaftlicher Fachdiskussion, politischer Bildung, (gesellschafts)politischem Engagement und NS-Aufarbeitungsdiskursen (letzteres zumindest in Deutschland und Österreich). Entsprechend spannungs- und facettenreich wird über die Fachöffentlichkeit hinaus zum Thema publiziert.

Prominente akademische Publikationen wie der von Robert Wistrich herausgegebene Sammelband besitzen dennoch – oder gerade deswegen – Seltenheitswert. Wistrich leitet das Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism an der Hebrew University of Jerusalem; der Band ist als Gemeinschaftspublikation von de Gruyter und Hebrew University Magnes Press erschienen. Die internationalen Autorinnen und Autoren des Bandes sind meist an Universitäten in den einschlägigen Disziplinen tätig, teils angebunden an jüdische und sich gegen Negationismus engagierende Organisationen wie das Simon Wiesenthal Center und die B’nai B’rith. Auch weil mitunter eindringlich appelliert wird, moralische Urteile nicht vermieden und praktische Handlungsoptionen abgewogen werden, wäre es verfehlt, den mit dem sprechenden Untertitel „The Politics of Perfidy“ versehenen Band innerhalb des beschriebenen Felds allein dem wissenschaftlichen Pol zuzuordnen.

Einschließlich der umfangreichen Einleitung umfasst der Band zwölf Aufsätze, deren schwankender Umfang von 10 bis fast 40 Seiten reicht. Dabei handelt es sich fast durchweg um Überblicksdarstellungen einzelner Länder und Weltregionen oder Fallstudien dortiger Ereignisse und Entwicklungen. Abgedeckt werden neben Frankreich (Simon Epstein), Polen (Joanna Michlic), Kanada (Alain Goldschläger) und Osteuropa (Michael Shafir) auch der Iran (Matthias Küntzel) und der Nahe Osten (Jeffrey Herf), Australien (Danny Ben-Moshe), Südafrika (Milton Shain/Margo Bastos) und Japan (Rotem Kowner). Daneben stehen zwei übergreifende Aufsätze zu „Globalization, Conspiracy Theory, and the Shoa“ (Mark Weitzman) sowie „Negationism, Antisemitism, and Anti-Zionism“ (Robert S. Wistrich). Jedoch vermisst man eine Erläuterung der inhaltlichen Konzeption sowie des generellen Entstehungskontextes des Bandes. So bleiben mehrere naheliegende Fragen unbeantwortet – darunter diejenige, weshalb gerade Deutschland, Großbritannien und die USA fehlen, stattdessen aber Beiträge aufgenommen wurden, in denen das Thema des Bandes nur peripher oder überhaupt nicht zur Sprache kommt, etwa in Herfs Aufsatz zur NS-Propaganda im Nahen Osten vor 1945.

Unklar bleibt leider auch, inwiefern es sich bei den versammelten Texten um Originalbeiträge oder um Zweitverwertungen handelt. Lediglich in einem Beitrag wurde letzteres angegeben, doch gehen auch zahlreiche andere Texte auf bereits publizierte Beiträge zurück (wenn auch in mehr oder minder grauer Literatur), teils ohne aktualisiert worden zu sein.2 Doch nicht nur einzelne Texte, sondern der Band insgesamt ist betagt: Abgesehen von einzelnen Globalverweisen auf neuere Literatur befindet sich dieser, obgleich im Oktober 2012 erschienen, durchgängig auf dem Stand von 2007. Ereignisse und Entwicklungen der letzten Jahre, die für das behandelte Thema wichtig sind – etwa der durch Viktor Orbán personifizierte Wandel in Ungarn, der Arabische Frühling, die Eskalation im Verhältnis Israel/Iran oder die Affäre um Bischof Richard Williamson –, bleiben somit außen vor.

Trotz dieses nicht unerheblichen Mankos ermöglichen die Aufsätze mit ihrer thematischen Breite – auch und gerade durch den Einbezug von Regionen wie Japan und Australien, die wegen des dominanten Fokus auf Europa und die arabisch-muslimische Welt sonst meist keine Aufmerksamkeit finden – einen wertvollen Eindruck länder- und kulturspezifischer Ausformungen der Holocaustnegation sowie deren strategisch-taktischen Einsatzes und Rezeption. Dem dient die meist deskriptive Anlage der Aufsätze. Gleichwohl würde man sich bei den Reihungen von Hintergründen und Kontexten, Zitaten, Ereignissen und Entwicklungen zuweilen eine argumentativere Handschrift und einen analytischeren Zugriff wünschen. Wäre das Beschriebene deutlicher aufeinander bezogen, genauer eingeordnet und quellenkritischer bewertet worden, wären weitergehende Erkenntnisse und Thesen möglich gewesen.

Positiv ist hervorzuheben, dass die Autorinnen und Autoren auf zahlreiche zwar nicht unbedingt neue, aber vergleichsweise wenig bekannte Sachverhalte aufmerksam machen. Dazu zählen die teils brachial-antisemitischen Äußerungen von politischen Führungsfiguren wie Franjo Tudman in Kroatien (Shafir, S. 54f.), des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas (Wistrich, S. 20) oder des zeitweiligen Gegenspielers Mahmud Ahmadinedschads im Iran, Alī Akbar Hāschemī Rafsandschānī (Wistrich, S. 261), die bis zur Negation des Holocaust oder Unterstützung derartiger Bestrebungen reichen. Interessant ist der von Ben-Moshe leider nur kurz angeführte Vorreiterstatus der australischen extremen Rechten in Sachen Holocaustnegation (S. 157), ebenso wie Küntzels Analyse der von Ahmadinedschad betriebenen Rolleninversion: Es sei nicht mehr „the denier“, der sich zu rechtfertigen habe, „but the non-denier“ (S. 250ff.). Anzuführen ist auch Kowners Ergebnis, dass antisemitische Literatur in Japan nicht ausschließlich zu „suspicion and distrust“ gegenüber Juden führe, sondern mitunter zu „greater respect and admiration“ (S. 182ff.). Erwähnt sei schließlich Shafirs Kategorisierung des Negationismus in Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei („deflective negationism“ und „selective negationism“; S. 41–60), selbst wenn diese Typologie noch kritischer Diskussion insbesondere aus vergleichender Perspektive und theoretischer Anbindung bedarf.

Auf der terminologisch-definitorischen Ebene zeigen sich bei vielen Beiträgen Schwachstellen. Zu leichtfertig werden beispielsweise Aussagen getroffen, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, die aber nicht nur in ihrer Absolutheit falsch sind – wie die Auffassung, Negationisten würden „invariably“ sämtliche Quellen des Holocaust vom Tisch wischen (Wistrich, S. 1f.). Auch bleibt unbestimmt, was unter „Holocaust denial“ überhaupt gefasst wird. Wistrichs Eingangsdefinition ist ebenso breit wie unpraktikabel; eingeschlossen sind dort auch „the minimization, banalization, and relativization of the relevant facts and events, so to cast doubt on the uniqueness or authenticity of what happened during the Shoa“ (S. 1). Dem steht in den Aufsätzen ein meist viel engeres, gleichwohl implizit bleibendes Verständnis gegenüber. Dieser Unklarheit entspricht ein verwirrender Begriffsgebrauch: So finden sich in zahlreichen Aufsätzen die Termini „negationism“, „revisionism“ und „denial“ mal mit, mal ohne distanzierende Anführungszeichen offenbar austauschbar nebeneinander. Nur zum Teil wird man dies dem nachlässigen Lektorat und Korrektorat anlasten können (zahlreiche Fußnoten sind falsch zugeordnet, ausufernde Abschweifungen sind stehengeblieben, ebenso nicht wenige argumentativ-logische Fehler und Widersprüche).

Die auf den Band insgesamt bezogene Kritik darf jedoch nicht verdecken, dass die Aufsätze davon in unterschiedlichem Maße betroffen sind, wie die Texte überhaupt unterschiedlicher (wissenschaftlicher) Güte sind. So sind überzeugende und fundierte Beiträge – hervorzuheben ist insbesondere Epsteins „Roger Garaudy, Abbé Pierre, and the French Negationists“ – ebenso zu finden wie solche, die sich auf dürftiger Literatur- und Quellenbasis lediglich an der Oberfläche bewegen. Wieder andere sind thematisch nur lose mit dem eng gefassten Gegenstand des Bandes verbunden. Der Gesamteindruck fällt somit gemischt aus. In empirisch-deskriptiver Hinsicht ist der Ertrag deutlich höher als auf theoretisch-analytischer Ebene. So oder so: Dass der Band mit mehrjähriger Verzögerung ohne Aktualisierungen erschien, bleibt verwunderlich und schmälert seinen Nutzen.

Anmerkungen:
1 Als erste tiefergehende Auseinandersetzung kann ein editorischer Kommentar Martin Broszats gelten (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 24 [1976], S. 105–112), als erste Monografie Gill Seidel, The Holocaust Denial. Antisemitism, Racism and the New Right, Leeds 1986.
2 Sechs solcher Aufsätze erschienen zwischen 2002 und 2007 allein in den Publikationsreihen des Vidal Sassoon Centers: „ACTA“ (Analysis of Current Trends in Antisemitism, Zugriff über <http://sicsa.huji.ac.il/actatxt1.html>) und „Posen Papers in Contemporary Antisemitism“ (Zugriff über <http://sicsa.huji.ac.il/pplist.html> [05.05.2013]).