M. Busch: Landesherrschaft und Stände in Mecklenburg von 1755 bis 1806

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Titel
Machtstreben – Standesbewusstsein – Streitlust. Landesherrschaft und Stände in Mecklenburg von 1755 bis 1806


Autor(en)
Busch, Michael
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
481 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert von Friedeburg, School of History, Erasmus University Rotterdam

Diese gründliche und verdienstvolle Arbeit fasst ihr Ergebnis zu Mecklenburg in dem halben Jahrhundert nach dem Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755 so zusammen: "[...] ein großer Teil Mecklenburgs aber blieb eine altadlige Oligarchie mit verkrusteter Privilegienstruktur, die kaum eine Chance zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung zuließ" (S. 406).

Was damit gemeint ist, fasst der Autor ebenfalls in seinem Resümee in fünf Punkten zusammen: 1.) Einzelne Ritter waren auch nach dem Erbvergleich noch immer nicht mit den beträchtlichen, nun abgesicherten Privilegien zufrieden und riefen nach mehr – doch sie scheiterten. 2.) Die Landstände, also vor allem der privilegierte Adel, aber auch die privilegierten Städte, regierten aufgrund ihrer nun abgesicherten Privilegien aktiv mit dem Herzog das Land. 3.) Vor allem die Ritter nutzten ihre Machtstellung zu ihrem eigenen Vorteil, damit aber vor allem zum Nachteil ihrer bäuerlichen Hintersassen. Der Herzog, selbst wo er etwas dagegen tun wollte, war weitgehend machtlos. Als es dann zur Ablösung kam, waren die Bauern die großen Verlierer. 4.) Der durch den Erbvergleich privilegierte Adel hielt aber auch nicht-adelige Grundbesitzer aus seiner Gruppe heraus und von den Rechten zur politischen Partizipation fern. 5.) Diese Gruppe der adligen privilegierten Rittergutsbesitzer wandte sich auch – letztlich erfolgreich – gegen andere Reformpläne der Herzöge, beispielsweise die Emanzipation der Juden.

Der Autor belegt mit diesen Resultaten im Einzelnen, dass die insgesamt negative Bewertung Mecklenburgs im späten 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts ein fundamentum in re besaß, nämlich die Interessenvertretung einer rechtlich-sozialen Gruppe, die nicht zuletzt durch den „Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich“ ihre Privilegien in besonders eindrucksvoller Weise ins 19. Jahrhundert – und bis 1918 – hinüberrettete.

Der größte Teil der Studie beschäftigt sich mit diesen tatsächlichen Auswirkungen der Machtstellung des landständischen Adels in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das zweite Kapitel resümiert, wie es dazu 'kommen konnte'. Seit dem 15. Jahrhundert in formellen Verträgen mit den Herzögen politisch aktiv, vermochten sich Ritter, Geistliche und Städte nicht zuletzt aufgrund der Verschuldung der Herzöge und der Rolle der entstehenden Stände als finanziell Hilfeleistende Schritt um Schritt Privilegien zu sichern, bis dann dynastische Probleme im Herrscherhaus 1621 die Stände zu Garanten des Landes machten und ihre faktische Mitregierung sicherten. Die einschneidenden Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges, auch der Versuch Wallensteins, das Land aus der Jurisdiktion des Reiches herauszulösen und sich mit Hilfe seiner Truppe gegen die Stände durchzusetzen, brachten keinen langfristig einschneidenden Wandel. Die zurückkehrenden Herzöge stritten sich ein rundes Jahrhundert mit Ihren Ständen um Umfang und Deutung der vergebenen Privilegien. Aber gegen Ende des Großen Nordischen Krieges trieb es ein Herzog dabei zu weit. Er suchte die Stände mit Hilfe russischer Truppen in Schach zu halten und provozierte so im Jahre 1719 eine Reichsexekution, die letztlich in seine völlige Niederlage und in den „Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich“ von 1755 mündete, der den Ständen die Mitregierung im Lande effektiv sicherte.

Aus der Perspektive des späten 18. Jahrhunderts, etwa des preußischen Juristen und Kanzlers Svarez, war Mecklenburg, neben Polen, zu einem der warnenden Beispiele ungebremster aristokratischer Herrschaft, vor allem auch zu Lasten der Bauern, geworden. Seine Option ging daher zugunsten der absoluten Monarchie, die eben alle Bürger und Bauern, vor allem auch gegen den Adel, schütze. Noch zum Zeitpunkt der Reichsexekution 1719 erschienen freilich Schriften, die ganz aufgeklärt mit Locke die naturrechtliche Gleichheit der Menschen und Bürger forderten und für welche der Herzog nicht allein die Ritter bedrängt hatte, sondern Zerrbild des Despoten war. Für diese sich sehr grundsätzlich wandelnde Bewertung von Ständen und Fürsten im Reich im Verlauf des 18. Jahrhunderts hat diese Studie nun keinen Raum, aber sie bestätigt doch in eindrucksvoller Weise die vorhandenen Bewertungen Mecklenburgs seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit umfangreichen Materialen. Zu seiner wohltuenden Abstinenz von erhitzter Theoriesprache ist dem Autor ebenfalls zu gratulieren. Die Studie liefert auch indirekt eine Grundlage für die zukünftige Forschung: Wie haben wir den Funktionswandel von Adel und Ständen in der Bewertung der Aufklärung zwischen dem späten 17. Jahrhundert und bis zum Revolution 1848 zu verstehen, und welche Desiderate gilt es noch zu füllen, um nach dem Wegräumen so mancher Klischees zu einer neuen, forschungsgesättigten Synthese zu gelangen? Auch wenn die vorliegende Studie vor allem bestätigt und ergänzt, ist sie auf diesem Weg deswegen nicht weniger verdienstvoll.

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