R. Vierhaus u.a. (Hgg.): Biographisches Handbuch

Vierhaus, Rudolf; Herbst, Ludolf (Hrsg.): Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949 - 2002. Band 1, A - M. München 2002 : K.G. Saur, ISBN 3-598-23781-2 592 S. € 214,00

Vierhaus, Rudolf; Herbst, Ludolf (Hrsg.): Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949 - 2002. Band 2, N - Z. München 2002 : K.G. Saur, ISBN 3-598-23782-0 584 S. € 214,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Schwarz

Der K. G. Saur Verlag in München ist bereits mit mehreren umfassenden biographischen Nachschlagewerken bekannt geworden, von denen die zehnbändige „Deutsche Biographische Enzyklopädie“ hervorzuheben ist, deren letzter Band 1999 erschien. Das vorliegende „Biographische Handbuch“ stellt eine vorzügliche Ergänzung der bisherigen Bemühungen des Verlags dar. Es enthält in knapper, übersichtlicher Form die Lebenswege aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die vom Beginn seiner Tätigkeit 1949 bis zu der 2002 zu Ende gegangenen Legislaturperiode dem Parlament jemals angehört haben. Das schließt auch Personen ein, die mitunter nur sehr kurz Mitglieder des Bundestages waren. Im Parlament besonders hervorgetretene Abgeordnete haben im Band erweiterte Darstellungen von Historikern oder anderen Autoren erfahren.

Die Angaben beschränken sich nicht nur auf die Dauer der Abgeordnetentätigkeit, sondern beziehen auch Herkunft, Lebens- und Bildungsweg, berufliche und politische Betätigung in Industrie und Wirtschaft, in schulischen und kirchlichen Diensten, in Vereinen, Verbänden und Parteien in die Betrachtung ein, zumeist auch Lebensphasen nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag. So erhält der Leser selbst mit äußerst knapp gefassten Daten eine ungefähre Vorstellung von der soziologischen, parteipolitischen und altersmäßigen Zusammensetzung des Parlaments, wenngleich diese auch keine adäquate Widerspiegelung der sozialen Struktur der Wahlbevölkerung sein kann.

Wertvoll ist auch, dass die eventuelle Mitgliedschaft der Betreffenden in Landtagen der Bundesländer verzeichnet wird. Das gilt ebenso für Mitgliedschaften der Abgeordneten in Sonderausschüssen, Enquete-Kommissionen und Untersuchungsausschüssen. Nicht zuletzt sind Verzeichnisse sowohl der eigenen Publikationen einzelner Parlamentarier als auch einschlägiger Veröffentlichungen anderer Autoren über die betreffenden Abgeordneten informativ.

Im allgemeinen sind nur wenige Abgeordnete über die fünf Jahrzehnte hinweg im Gedächtnis der Öffentlichkeit präsent geblieben, allenfalls solche, die entweder eine besonders lange Zeit ihren Sitz und ihre publikumswirksamen Auftritte im Bundestag hatten (wie etwa Herbert Wehner, Rainer Barzel, Franz Josef Strauß oder Wolfgang Mischnick), oder diejenigen, die es zu exponierten Positionen im staatlichen Gefüge gebracht haben. Hier ist vor allem an die Bundeskanzler Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder zu denken. Schon bei den Außenministern, anderen wichtigen Ministern der Bundesregierungen und den jeweiligen Präsidenten des Deutschen Bundestages dürfte die Erinnerung an sie in großen Teilen der Öffentlichkeit verblasst sein, ganz zu schweigen von den zahlreichen „einfachen“ Abgeordneten. Es ist ein Verdienst der Herausgeber und des Verlages, alle diese die Geschicke der Bundesrepublik in der einen oder anderen Weise mitgestaltenden Volksvertreter dem Dunkel der Geschichte entrissen und dem Leser von heute, wenngleich in lexikalisch verkürzter Form, vorgestellt zu haben.

Auf besonderes Interesse stößt die Präsentation der Abgeordneten der Gründergeneration, also derjenigen, die bei den ersten Bundestagswahlen am 14. August 1949 gewählt worden sind und die in vielen Fällen nur in der ersten Legislaturperiode 1949-1953 (in wenigen Fällen auch noch in der zweiten 1953-1957) im Parlamentsleben eine Rolle gespielt haben. Hier macht der Leser die Bekanntschaft mit Parteien, Fraktionen und Gruppierungen, die inzwischen von der Bildfläche des politischen Geschehens längst verschwunden sind. Zu ihnen gehörten die Bayernpartei (BP), die Deutsche Partei (DP), die Deutsche Zentrums-Partei (DZP), die Föderalistische Union (FU), die Freie Volkspartei (FVP), der Gesamtdeutsche Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE), die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV).

Im Handbuch stößt der Leser mitunter auf schillernde Persönlichkeiten mit teilweise abenteuerlichem Lebensweg. Als Beispiel sei auf den Münchner Abgeordneten Alfred Loritz (1902-1979) von der WAV verwiesen. Nach dem Krieg mehrfach in Gerichtsverfahren verwickelt, gelang ihm am 14. August 1949 bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag, Abgeordneter zu werden. Dort führte er die Fraktion der WAV an. Mit revanchistischen und nationalistischen Reden im Plenum des Parlaments trat er teilweise als ein Demagoge auf, der zur Lösung der Nachkriegsprobleme zumeist nur ein Sammelsurium autoritärer Rezepte und ständischer Romantizismen anzubieten hatte. Wegen seines autoritär-chaotischen Führungsstils schloss ihn 1951 die eigene Fraktion aus. Später setzte er sich nach Österreich ab, wo ihm 1962 politisches Asyl gewährt wurde.

In fragwürdigen und bis ins Letzte nicht aufgeklärten Zusammenhängen ist auch der Abgeordnete Karlfranz Schmidt-Wittmack (1914-1987) zu erwähnen, der 1953 über die Landesliste der CDU Hamburg in den Bundestag einzog. Er flüchtete im Jahre 1954 in die DDR, nachdem er bis dahin ein geheimer Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Hauptverwaltung Aufklärung, gewesen war. Danach gehörte er als Vizepräsident der Kammer für Außenhandel der DDR und dem Hauptvorstand der dortigen CDU an. Ebenfalls ungeklärt und zwielichtig waren die Verbindungen des SPD-Abgeordneten Karl Wienand (geb. 1926) hinsichtlich seiner Versuche, einige schwankende Abgeordnete zu bewegen, am 27. April 1972 beim Misstrauensvotum für den amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt zu stimmen. Später geriet Wienand in den Verdacht der Steuerhinterziehung. 1996 wurde er zu einer Haftstrafe wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR verurteilt.

Derartige Vorgänge stellen Ausnahmefälle dar. Überwiegend spiegeln die Kurzbiographien das Leben und Wirken zuverlässiger Demokraten in den meisten Parteien wider. An hervorragender Stelle ist hier Paul Löbe (1875-1967) zu nennen, der als Kandidat der SPD bereits 1920 für den Wahlkreis Breslau in den Deutschen Reichstag einzog und damals zu dessen Präsident bestimmt wurde. Löbe war der erste Alterspräsident, der die konstituierende Sitzung des Bundestages am 7. September 1949 leitete. Er konnte noch persönlich Erlebtes aus der Bismarck-Zeit, dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik und dem Kampf gegen die Nazi-Diktatur in den Erfahrungsschatz des Bonner Parlaments einbringen. Ähnliches ist von dem nur ein Jahr jüngeren CDU-Abgeordneten Konrad Adenauer (1876-1967) festzustellen, der am 15. September 1949 im Alter von 72 Jahren zum ersten Kanzler der Bundesrepublik, wenngleich nur mit einer Stimme Mehrheit, gewählt wurde. Solche Beispiele vermitteln anschaulich, wie Vertreter zurückliegender Generationen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Wertevorstellungen das Bild des Bundestages in den ersten Wahlperioden prägten.

Band 2 enthält einen für den Leser nützlichen Anhang. Eine Zeittafel listet alle Abgeordneten nach ihren Geburtsjahrgängen auf, so dass das Lesen zeitgleicher Biographien möglich wird. Mehrere Übersichten verzeichnen die Präsidenten und Vizepräsidenten des Bundestages, ebenso die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen und Gruppen. Man liest auch Listen derjenigen Abgeordneten, die vor ihrer Mitgliedschaft im Bundestag dem Reichstag, dem Parlamentarischen Rat oder der Volkskammer der DDR angehört hatten. Hinzu kommen Personen- und Ortsregister.

Die Herausgeber waren bemüht, das Handbuch mit größtmöglicher Präzision und Einheitlichkeit dem Leser zu offerieren. Das ist in den allermeisten Fällen auch gelungen. Ein Schönheitsfehler ist die falsche Datierung der Gründung der DDR. Diese wurde nicht am 9. Oktober, sondern am 7. Oktober 1949 proklamiert (S. VII, Vorwort der Herausgeber). Eine Reihe von Druckfehlern hätte vermieden werden sollen. Diese Bemerkungen können nicht den hohen Gesamtwert der Publikation schmälern. Es ist im Ganzen ein für Historiker, Journalisten und andere an der Zeitgeschichte Interessierte willkommenes, ungewöhnlich informationsreiches und zu weiterführenden Studien anregendes Nachschlagewerk entstanden.

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