J. Hanhimäki u.a. (Hrsg.): An International History of Terrorism

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Titel
An International History of Terrorism. Western and Non-Western Experiences


Herausgeber
Hanhimäki, Jussi M.; Blumenau, Bernhard
Reihe
Political Violence
Erschienen
London 2013: Routledge
Anzahl Seiten
XIII, 318 S.
Preis
$ 47.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Hendrik Schulz, Europäisches Hochschulinstitut, Florenz

Zum zehnten Jahrestag der Anschläge gegen das World Trade Center diskutierten im September 2011 renommierte wie auch jüngere Historiker der Internationalen Geschichte am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf „the past, present and (possible) future of terrorism and counter-terrorism“ (S. 11). Mit der Konferenz „Terrorism and International Politics“ beabsichtigten die Initiatoren, Jussi M. Hanhimäki und Bernhard Blumenau, die in der jüngsten Vergangenheit starke Fokussierung der Internationalen Geschichte auf den 11. September 2001 aufzubrechen.1 Das Resultat der Konferenz ist die vorliegende Aufsatzsammlung, mit welcher bewusst nicht ein weiteres Mal die Warum-Frage des „9/11“ diskutiert werden sollte. Vielmehr soll die globale „historical evolution“ (S. 12) hin zum Phänomen des modernen Terrorismus aus der Perspektive der Internationalen Geschichte analysiert und einer breiten akademischen Leserschaft zugänglich gemacht werden, die sich mit Terrorismusstudien, politischer Gewalt, Internationaler Geschichte, Sicherheitspolitik und Internationalen Beziehungen auseinandersetzt.

Mit 16 Aufsätzen zu gänzlich unterschiedlichen Terrorismus-Themen deckt „An International History of Terrorism“ eine beeindruckende Bandbreite ab. Die Beiträge sind in fünf Teile gegliedert: Der erste Teil widmet sich dem „Terrorism prior to the Cold War“, der zweite und dritte den „Western experiences“ sowie den „Non-Western experiences with terrorism“. Lediglich im vierten Teil – was dem historischen Tiefgang des Bandes zugute kommt – werden „Contemporary terrorism and anti-terrorism“ des 21. Jahrhunderts behandelt. Dass David C. Rapoports konzeptioneller Aufsatz zu den „four waves of modern terror“ als „concluding essay“ den fünften Teil einnimmt und nicht – beispielsweise im Sinne eines analytischen Bezugsrahmens – den Fallstudien zu den jeweiligen Themenbereichen vorangestellt wurde, wirkt nach der Lektüre der übrigen Aufsätze nicht länger verwunderlich. Rapoports Theorie, wonach eine anarchistische Welle des Terrorismus von 1880 bis in die 1920er-Jahre, eine anschließende, 40 Jahre dauernde anti-kolonialistische Welle, eine von den 1960er-Jahren bis in die 1990er-Jahre währende „New Left Wave“ und schließlich eine seit der Iranischen Revolution 1979 bis heute andauernde „Religious Wave“ auszumachen seien (S. 282ff.), wird in den Politik- und Geschichtswissenschaften kontrovers diskutiert.2 Leider verzichten Hanhimäki und Blumenau in ihrer Einleitung darauf, solche kritischen Stimmen zu nennen. Im Übrigen stellen nur wenige Autoren des Bandes ihre jeweilige Fallstudie explizit in den Kontext von Rapoports Überlegungen. Richard Bach Jensen, welcher im ersten Kapitel des Bandes die anarchistisch-nihilistisch geprägte „first global wave of terrorism and international counterterrorism“ von 1905 bis 1914 untersucht, bewertet Rapoports Theorie ausdrücklich als „the most convincing overarching analysis of the historical evolution of modern terrorism“ (S. 16). Mit Blick auf den ganzen Band allerdings lässt sich der Periodisierungsvorschlag des Politikwissenschaftlers eher als optionales Deutungsangebot verstehen.

Grundsätzlich zeichnet sich der Band durch die Pluralität der aus unterschiedlichen Historikergenerationen stammenden Autoren und ihrer Perspektiven auf das Phänomen des internationalen Terrorismus aus. Obgleich die Herausgeber neuere geschichts- und sozialwissenschaftliche Forschungen, in denen auf die kultur-, kommunikations- und sozialgeschichtlichen Dimensionen des Terrorismus aufmerksam gemacht wird – hervorzuheben ist an dieser Stelle der Ansatz des „radikalen Milieus“ von Stefan Malthaner und Peter Waldmann3 – nicht ausdrücklich zur Kenntnis nehmen, bemühen sich doch vor allem die jüngeren Autoren um eine Erweiterung der für die Internationale Geschichte typischen staatsfixierten Analysen. So wendet Florian Grafl in seinem Aufsatz zum antiterroristischen Kampf gegen den Anarchismus in Barcelona während der Periode des „Pistolerismo“ in den 1920er-Jahren das vielversprechende Gießener Konzept der „Gewaltgemeinschaften“4 auf die die Anarchisten bekämpfenden paramilitärischen Organisationen an. Grafl zeigt, in welchem Maße die „counter-terrorist communities“ der „Somaten“ und „Banda Negras“ zum antiterroristischen Kampf beitrugen, indem sie, angesichts eines schwachen spanischen Staats und Rechtssystems, mit ihren zahlreichen Mordanschlägen die den Anarchisten unterlegene Polizei unterstützten (S. 59). Milieuansätze finden sich auch in Rashed Uz Zamans Beitrag zum ambivalenten Verhältnis der hinduistisch geprägten terroristischen Bewegung in Bengalen zur ethnischen Minderheit der dortigen Muslime seit Ende des 19. Jahrhunderts. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass sich die hinduistischen Mitglieder von Gruppen wie der Anushilan oder der Yugantar aus einem „specific cultural and political milieu“ der höheren Kasten rekrutierten (S. 159). Aufgrund divergierender religiöser, kultureller und politischer Ansichten war es der kleinen sozialen Elite der Aktivisten nicht möglich, die meist aus dem Bauerntum stammenden Muslime für ihre antikolonialistischen Ziele zu gewinnen.

Für Forschungen zum sozialrevolutionären Terrorismus in Westeuropa sind insbesondere die Arbeiten von Markus Lammert und Tobias Hof hervorzuheben. Lammert bereichert den Band mit einer aufschlussreichen Studie zu der Frage, weshalb in Frankreich – anders als in Italien und der Bundesrepublik Deutschland – in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre keine terroristischen Bewegungen entstanden. Lammert stellt heraus, dass strikte Gesetzesinitiativen und staatliche Repressionen gegen die linke Protestbewegung am Beginn der 1970er-Jahre zu einem öffentlichen Meinungswandel führten und zu Liberalisierungsdiskursen in der französischen Gesellschaft beitrugen, so dass Präsident Giscard d’Estaing letztlich zum Einlenken auf eine moderate Politik gezwungen war (S. 92f.). Sozial- und kulturgeschichtliche Ansätze finden sich auch in Hofs Aufsatz zur italienischen Anti-Terrorismus-Politik seit Ende der 1970er-Jahre. Hof bewertet die staatliche Bewältigung des Terrorismus der Roten Brigaden und anderer Organisationen grundsätzlich als Erfolg. Das bekannte Gesetz der „Legge pentiti“ sei für den Niedergang der terroristischen Bewegungen jedoch nicht allein entscheidend gewesen. Vielmehr habe sich der italienische Staat einer effektiven „pragmatic and flexible double strategy“ bedient, die nicht zuletzt mit dem gesellschaftlich tief verwurzelten Katholizismus und einer damit verbundenen Vergebungsbereitschaft zusammenhing (S. 109).

Die genannten, sehr ergiebigen Ansätze lesen sich in starkem Kontrast zu den wenigen klassisch diplomatiegeschichtlichen Arbeiten in dem Band. Richard C. Thornton etwa behandelt in seiner Mikroanalyse zur Flugzeugentführung der TWA-847 im Juni 1985 zwar minutiös die politischen Konstellationen zwischen den einzelnen staatlichen Akteuren sowie den nicht-staatlichen Tätern und Vermittlern (bis hin zur Rolle von terroristischen Gruppen wie der Hisbollah und des Islamischen Dschihad), vermeidet jedoch den naheliegenden kulturgeschichtlichen Vergleich mit anderen Flugzeugentführungen im 20. Jahrhundert.5

Die Unterschiedlichkeit der Beiträge macht „An International History of Terrorism“ aber nicht weniger lesenswert. Geschichtswissenschaftliche Pionierarbeiten wie Mattia Toaldos Aufsatz zum Verhältnis der Reagan-Regierung zu Libyen oder sozialwissenschaftliche Studien wie Mohammad-Mahmoud Ould Mohamedous und Sean N. Kalics Aufsätze zur Geschichte des islamistischen Terrorismus im 20. und 21. Jahrhundert lassen sich hervorragend kontrastieren, kombinieren und für künftige Forschungen verwerten. Die Orientierung wird dem Leser durch ein ausführliches Personen- und Sachregister erleichtert.

Anmerkungen:
1 Vgl. zur Bedeutung dieses Datums für die „New International History“ Kenneth Osgood / Brian C. Etheridge, The New International History. History Meets the New Cultural History: Public Diplomacy and U.S. Foreign Relations, in: dies. (Hrsg.), The United States and Public Diplomacy. New Directions in Cultural and International History, Leiden 2010, S. 1–26, hier S. 1ff.
2 Klaus Weinhauer und Jörg Requate weisen darauf hin, dass beispielsweise die über Jahrzehnte aktive baskische Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA) und rechtsterroristische Gruppen in Rapoports Theorie fehlen. Die Autoren schlagen deshalb ein alternatives, „überlappende[s]“ Fünf-Phasen-Modell vor, das zusätzlich von einer bis in die 1930er-Jahre reichenden zweiten „rechtsnationalistische[n] Phase“ ausgeht. Vgl. Klaus Weinhauer / Jörg Requate, Terrorismus als Kommunikationsprozess: Eskalation und Deeskalation politischer Gewalt in Europa seit dem 19. Jahrhundert, in: dies. (Hrsg.), Gewalt ohne Ausweg? Terrorismus als Kommunikationsprozess seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012, S. 11–47, hier S. 16f.; Karen Rasler / William R. Thompson, Looking for Waves of Terrorism, in: Terrorism and Political Violence 21 (2009), S. 28–41.
3 Stefan Malthaner / Peter Waldmann (Hrsg.), Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen, Frankfurt am Main 2012.
4 Winfried Speitkamp (Hrsg.), Gewaltgemeinschaften. Von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert, Göttingen 2013.
5 Siehe z.B. Annette Vowinckel, Flugzeugentführungen. Eine Kulturgeschichte, Göttingen 2011 (rezensiert von Frank Reichherzer, 7.09.2012: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-137> [5.07.2013]).