Th. Nesselrath: Julian und die Repaganisierung des Reiches

Cover
Titel
Kaiser Julian und die Repaganisierung des Reiches. Konzept und Vorbilder


Autor(en)
Nesselrath, Theresa
Reihe
Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsbände, Kleine Reihe 9
Erschienen
Münster 2013: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 220 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

In den theologisch-religionswissenschaftlichen Fakultäten deutscher Universitäten scheint sich in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse an Kaiser Julian entwickelt zu haben. So ist die hier zu besprechende Bonner Dissertation (2011/12) von Theresa Nesselrath bereits die dritte Qualifikationsschrift zu diesem Thema, die in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum eingereicht wurde.1 Anliegen und Ziel dieser Arbeit ist es, den Versuch der Repaganisierung des Reiches durch Julian auf seine christlichen und heidnischen Vorbilder zu prüfen.

Nach der Einleitung (S. 3–13), in der das genannte Ziel samt Quellenlage und Forschungsstand skizziert werden, folgt der erste Teil (S. 15–80), der „Hintergrund und Grundlagen der Identität Julians“ gewidmet ist. Hierbei handelt es sich um eine überlange (fast ein Drittel des Buches ausmachende) Einführung, die einen Überblick zu Julians Leben unter besonderer Berücksichtigung seiner religiösen Entwicklung (S. 17–32), seines Verhältnisses zum Christentum (S. 33–55) und seiner Theologie (S. 56–80) auf Basis der Schriften des Kaisers bietet. Der Wert einer solchen Materialsammlung in diesem Umfang, die nur wenig Neues bringt, sondern hauptsächlich Quellen und Forschung summiert, wird nicht recht ersichtlich.

Wertvoller ist dagegen der zweite Teil (S. 81–184), der die einzelnen Maßnahmen Julians zur Repaganisierung erfasst und den Einfluss möglicher Vorbilder im christlichen und heidnischen Bereich untersucht. Konkret handelt es sich dabei um folgende Themenbereiche: Aufbau und Organisation der reichsweiten heidnischen Institution Julians (S. 83–101), die moralischen und sittlichen Ansprüche an die Priesterschaft (S. 102–135), der Ablauf der Kulthandlungen (S. 136–167) und die Philanthropie (S. 168–184)2, insbesondere in Form der Pläne für die Armenfürsorge.

Als Ergebnis (S. 185–189) stellt Nesselrath fest, dass Julians geplante Reichskirche weder als reine Nachahmung christlicher Strukturen noch als simple Wiederbelebung der alten Kulte gelten könne. Vielmehr handele es sich um eine Neukonstruktion der alten Kulte, die durch das theoretische Fundament einer eigenen Theologie und eine reichsweite Organisation sowie mit Aspekten und Ideen der christlichen Kirche (etwa der Armenfürsorge) den Notwendigkeiten der Zeit entsprechend angereichert worden sei; somit sei dies insgesamt eine neue und eigenständige Leistung Julians.

Nesselraths Arbeit zeichnet sich durch eine profunde Kenntnis der christlichen und heidnischen Quellen zur Religionsgeschichte und auch der Forschungsliteratur aus, doch kann dies nicht verhindern, dass die Untersuchung insgesamt oft an der Oberfläche bleibt und die Ergebnisse etwas mager ausfallen. Schon allein der letztlich begrenzte Umfang einer solchen Dissertation macht dies fast unumgänglich, da hier auf knapp hundert Seiten verschiedenste breitgefasste Themen wie Kaiserkult, Kirchenorganisation, Neuplatonismus oder auch das Bild des idealen Priesters im christlichen Schrifttum behandelt werden. Umgekehrt wird aber auch das Potential zahlreicher Themen, die bislang noch nicht angemessen erforscht wurden, nicht voll ausgeschöpft: So wird etwa die mögliche Vorbildfunktion des Maximinus Daia nur zweimal kurz angesprochen (S. 91 u. 112f.), ohne dass dies greifbare Ergebnisse zur Folge hätte. Hier hätte sich jedoch auf Basis älterer Forschungen, die Nesselrath meist unbekannt sind, ein deutlich intensiverer Vergleich angeboten.3

Auch sonst erweist sich das Werk nicht immer als vollkommen zufriedenstellend. So wäre im Überblick zum Leben Julians an mancher Stelle noch eine ausführlichere Würdigung der Forschung zu strittigen Fragen wünschenswert gewesen.4 Die Beweiskraft der Bildnisse Julians (dazu S. 30, Anm. 91) wird durch die Studie von Thorsten Fleck stark relativiert, der wahrscheinlich macht, dass außerhalb der Münzen und Gemmen kein Bildnis erhalten ist, das sicher Julian zugeschrieben werden kann.5 Nesselrath (S. 37, Anm. 27) zitiert zudem unhistorische Angaben der Kirchenhistoriker zu einem allgemeinen julianischen Verbot für Christen, Ämter in der Verwaltung oder der Armee zu bekleiden, um die problematische These, Julian habe das Christentum vollständig eliminieren wollen, zu belegen. Um den Panegyricus auf Constantius als Quelle für Julians Herrscherideal und „sein eigenes Regierungsprogramm“ – die Existenz eines solchen im eigentlichen Sinne ist jedoch ein weiteres Problem – nutzen zu können (S. 77), wäre zuerst zu fragen gewesen, ob sich in dieser Rede speziell julianische Elemente finden (siehe zudem die tendenziell negative Antwort darauf auf S. 77, Anm. 178).6 Aus der Chronologie der Reden Julians eine Entwicklung zu einer eigenen Theologie ablesen zu wollen (S. 79), weist das Problem auf, dass diese Reden unterschiedliche Themen und Schwerpunkte aufweisen und daher nicht als Fortsetzung der jeweils vorhergehenden gelten können. Darüber hinaus fielen einige kleinere Versehen und Irrtümer auf.7 Einige unkonventionelle Wendungen scheinen der Tatsache geschuldet zu sein, dass Nesselrath primär Kirchenhistorikerin, nicht Althistorikerin ist.8

Bei aller Einzelkritik soll dennoch nicht aus den Augen verloren werden, dass Nesselrath die ihr gestellte Aufgabe insgesamt gelöst hat. Das Problem liegt vor allem im Thema: Die Forschungslandschaft zu Religion und Religionspolitik Julians ist mittlerweile derart umfangreich, dass diese Themenbereiche für eine Dissertation allenfalls dann geeignet wären, wenn eine Eingrenzung auf einen spezielleren Aspekt den Aufwand in überschaubaren Grenzen halten würde. Aber warum muss es immer das Themenfeld der Religionspolitik Julians sein? So fehlt etwa noch immer eine Studie zu Julians Münzprägung, die das verstreute Material zusammenträgt und aufarbeitet. Auch ein ausführlicher Kommentar zu einer einzelnen Rede Julians wäre ein gewiss lohnenswertes Unterfangen.

Der Wert von Nesselraths Buch ist daher insgesamt ein anderer als erwartet: Der Spezialist zu Julian wird aus diesem Buch nur wenig Neues lernen. Wer aber einen flüssig lesbaren, aktuellen Überblick zu Julian und seiner Religionspolitik sucht, der im Umfang etwa in der Mitte zwischen dem knappen Kapitel eines Spätantike-Handbuches und den umfangreicheren Ausführungen einer Julianbiographie liegt, trifft mit diesem Werk durchaus eine gute Wahl.

Anmerkungen:
1 Zuvor bereits Ursula Hepperle, Hellenismos bei Flavius Claudius Iulianus und der Konsolidierungsprozess des Christentums im Osten des Römischen Reiches, Diss. Tübingen 2010 und Heiko Wedemeyer, Die Religionspolitik des Kaisers Julian. Ein inklusiver Monotheismus in der Spätantike?, Diss. Bayreuth 2011.
2 Zu diesem Thema wäre neben der von Nesselrath herangezogenen Literatur noch zu nennen: Conrad M. Rothrauff, The philanthropia of the emperor Julian, Diss. University of Cincinnati 1964.
3 Neben dem bei Nesselrath verarbeiteten Aufsatz von Nicholson sind hier vor allem Helmut Castritius, Studien zu Maximinus Daia, Kallmünz 1969, S. 43–47 (Julianus Apostata und Maximinus Daia), die Entgegnung dazu in der Rezension von Alexander Demandt, in: Gnomon 43 (1971), S. 692–697 (hierzu S. 694f.), sowie kürzlich Kay Ehling, Der Tetrarch Maximinus Daia, sein Grab bei Tarsos und Kaiser Julian, in: Historia 59 (2010), S. 252–255, zu nennen.
4 So wären etwa zur Frage nach dem Geburtsjahr (S. 17 mit Anm. 4) und der Taufe Julians (S. 20, Anm. 22) noch heranzuziehen: Kay Ehling, Bemerkungen zu Julians Stiermünzen und dem Geburtsdatum des Kaisers, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 55/56 (2005/06), S. 111–132; David F. Wright, The baptism(s) of Julian the Apostate revisited, in: Studia Patristica 39 (2006), S. 145–150.
5 Thorsten Fleck, Die Portraits Julianus Apostatas, Hamburg 2008. Zustimmung zu dieser These in der Rezension von Kay Ehling, in: Bonner Jahrbücher 208 (2008), S. 430f.
6 Siehe zu den julianischen Elementen dieser Rede allerdings Florin Curta, Kaiserliche Lobrede und politisches Programm, in: Eranos 95 (1997), S. 39–65, aber jetzt auch Hal Drake, Rhetoric and propaganda in Julian’s second oration to Constantius, in: Nicholas Baker-Brian / Shaun Tougher (Hrsg.), Emperor and author, Swansea 2012, S. 35–46 mit der Deutung der Rede als Parodie.
7 Joseph Bidez ist nicht Franzose (so S. 12), sondern Belgier; der 111. Brief Julians ist nicht an die Athener (S. 24), sondern an die Alexandriner adressiert; S. 30 mit Anm. 90 wird unter Berufung auf Forschungen von 1923 und 1930 ein veraltetes Bild der Verwaltung und Gesetzgebung Julians gezeichnet; S. 30, Anm. 91 lies „Philosophie“ statt „Philosopie“.
8 So ist beispielsweise nach S. 30, Anm. 88 die Inschrift von Ma’ayan Barukh „überliefert bei Eck, Neulesung“.

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