J. Löffl: Die römische Expansion

Cover
Titel
Die römische Expansion.


Autor(en)
Löffl, Josef
Reihe
Region im Umbruch 7
Erschienen
Berlin 2011: Frank & Timme
Anzahl Seiten
697 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Lentzsch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der Titel des Buches von Josef Löffl, eine überarbeitete Version seiner Regensburger Dissertation von 2010, ist ein wenig irreführend. Denn das Thema des Buches ist nicht so weit gefasst, wie es der etwas vage Titel vermuten lassen könnte, sondern sowohl geographisch wie chronologisch – zunächst einmal – recht eingegrenzt: Absicht sei es „Überlegungen zur augusteischen Expansion im Raum des heutigen Bayern und Österreichs anzustellen“ (S. 18).

Zunächst einmal – denn in mehrfacher Hinsicht greift Löffl durchaus weit aus. Zum einen vertritt er entschieden die Methode eines „generalistischen Ansatzes“ (S. 20), worunter er eine möglichst umfassende Einbeziehung der Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsdisziplinen versteht, wobei er nicht nur diejenigen Fachbereiche, die traditionell mit der klassischen Altertumswissenschaft in Verbindung gebracht werden, sondern auch solche aus dem Bereich der Naturwissenschaften berücksichtigen möchte (S. 19f.).1 Einen solchen Ansatz einzufordern, sei dringend erforderlich, da die verschiedenen Fachbereiche „im Laufe der Zeit ein Eigenleben entwickelt“ hätten und so „regelrechte Parallelwelten“ existierten (S. 19). Auch wenn diese Kritik etwas überzogen sein mag – Löffl selbst greift immer wieder auf Arbeiten zurück, die sich eben durchaus an Synthesen versuchen, einige andere Studien scheinen ihm nicht bekannt2 – ist dieser Ansatz sicher zu begrüßen. Das Bemühen, ein möglichst umfassendes Bild der augusteischen Expansion im Alpenraum zu rekonstruieren, könnte allerdings auch für eine gewisse Konfusion im Untersuchungsteil mitverantwortlich sein – hierzu gleich mehr.

Zuerst greift Löffl aber in anderer Hinsicht weit aus – und zwar chronologisch: Um „ein Fundament zur Beurteilung der expansiven Bestrebungen augusteischer Zeit zu errichten“ (S. 20), stellt er seiner Untersuchung einen ausgedehnten, teils handbuchartigen Überblick zur römischen Expansion in der Zeit der Republik (genauer seit dem 3. Jahrhundert v.Chr.) voran (S. 25–97). Hier könnte man inhaltlich monieren, dass Löffl verschiedene Ereignisse und Prozesse mitunter allzu deterministisch interpretiert: Stets sieht er den Keim zum Untergang der Republik bereits angelegt; man fragt sich bei der Lektüre, wie ein solch schlecht verwaltetes und kurzsichtig geführtes Gebilde wie die res publica so erfolgreich sein konnte, oder ob die Dinge hier und da nicht doch etwas komplexer waren.3 Auch ist dieser Teil viel zu lang geraten. Gerade angesichts des Umstandes, dass hier – wie Löffl selbst einräumt – vor allem Forschungsergebnisse zusammengetragen werden, wäre ein kompakterer Überblick empfehlenswert gewesen; der Abschnitt über die politischen Laufbahnen Caesars und Octavians (S. 76–97) hätte so ohne Verlust für die weitere Untersuchung ganz entfallen können.

Im zweiten Abschnitt („Der Ausgriff in den Norden“, S. 99–228) setzt sich Löffl zunächst (S. 99–145) mit möglichen Motiven auseinander, die Augustus und seine Nachfolger zur Expansion im Alpenraum bewogen haben könnten. Zu Recht hebt er hierbei hervor, dass die Alpen, entgegen dem in antiken Quellen bisweilen entworfenen Bild, eher keine Mauer Italiens bildeten, sondern einen seit Jahrhunderten genutzten „Transitraum“ darstellten (S. 114).4 Hier erfüllen die Ausführungen zur Vorgeschichte seit der mittleren Republik auch einen sinnvollen Zweck im Rahmen der Untersuchung, da sie Löffl die Gelegenheit geben, daran zu erinnern, dass die Römer seit Generationen durch Koloniegründungen in Norditalien präsent und ihnen „die Gegebenheiten der Südseite des Alpenhauptkammes […] im 2. Jh. v. Chr. bekannt waren“ (S. 114). Ausgehend von diesen Kenntnissen nimmt Löffl mehrere Motive für die Expansion an, die sich gegenseitig nicht ausschließen müssen: So habe der Gedanke des Schutzes Italiens wohl eine Rolle gespielt (S. 130); aber auch der Wunsch des Princeps, den beiden Söhnen der Livia, Tiberius und Drusus, die Gelegenheit zur militärischen Bewährung und der damit verbundenen Legitimation zu geben, komme als Motiv in Frage (S. 133f.). Widersprüchlich ist Löffls Einschätzung zu den weiteren geostrategischen Zielen des Augustus: Zunächst weist er jedwede Deutungen zurück, die im Alpenfeldzug die bewusste Vorbereitung weiterer Eroberungen in Mittel- und Südosteuropa sehen wollen (S. 133) und vermutet eher kurzfristig angelegte Strategien. Wenige Seiten später wird dann aber doch ein solcher ‚Masterplan‘ des Augustus unterstellt, der in der Eroberung des Alpenraumes lediglich den Prolog zur vollständigen „Okkupation Zentraleuropas“ gesehen habe (S. 145f.).

In der anschließenden Diskussion (S. 146–228) von Textzeugnissen, archäologischen Funden und den Forschungen anderer Disziplinen – vor allem die Ergebnisse von Pollenanalysen – verfolgt Löffl im Bemühen um eine detailgenaue Rekonstruktion des Alpenfeldzuges zum ersten Mal seinen „generalistischen Ansatz“ und kommt dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen: So legen archäologische Funde (Relikte von Schuss- und Wurfwaffen) eine bestimmte Strategie der römischen Truppen beim Angriff auf Höhensiedlungen nahe; Pollenanalysen zeigen, dass viele Siedlungen in eben jener Zeit aufgegeben worden seien, Textzeugnisse, hierunter auch Inschriften, deuten wiederum auf eine „Kooptierung lokaler Machthaber“ (S. 165) hin. Insgesamt werde man den unterschiedlichen Vorgehensweisen der Römer mit generalisierenden Schemata nicht gerecht, da die Befunde nahe legen, dass situationsgerecht unterschiedliche Strategien in beachtlicher Flexibilität zum Einsatz gekommen seien. Eine besondere Rolle sei dabei den lokalen Eliten zugekommen, welche die Römer, wenn möglich, in ihre Herrschaftsstrukturen integriert hätten.

Den Löwenanteil des Buches nimmt aber der dritte Hauptteil ein, dessen Umfang und Titel („Überlegungen zur Genese der augusteischen Berufsarmee und deren Rolle im Rahmen der frühkaiserzeitlichen Expansion unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer, infrastruktureller und landwirtschaftlicher Aspekte“) die sich hier bietende Gedankenfülle bereits erahnen lassen (S. 238–598). Löffl interessiert sich in diesem Abschnitt weniger für die Ereignisgeschichte der römischen Expansion im Alpenraum, sondern fragt nach den Veränderungen, die sich in den okkupierten Gebieten auf Grund der Präsenz römischer Truppen und vor allem Truppenstützpunkten hinsichtlich der Infrastruktur, der lokalen Ökonomie und des Handels ergaben. Ohne im hier gebotenen Rahmen ins Detail gehen zu können, kann man festhalten, dass Löffl durch das Heranziehen von Quellenbelegen unterschiedlicher Provenienz (Textzeugnisse, Tierknochen, Ergebnisse von siedlungsarchäologischen Forschungen, Pollenanalysen, Altstraßenforschung und Münzen) einige interessante Einsichten herausarbeiten kann. So kann er plausibel machen, dass die römischen Heereslager tiefgreifend in den Alltag der Okkupierten eingriffen, da allein ihre Versorgung oftmals Veränderungen in der lokalen Wirtschaft bedingte und Handelsverbindungen auch über den lokalen Rahmen hinaus anregte. So habe im Raum des heutigen Bayern der Holzbedarf zu einem beschleunigten Abholzen geführt (S. 510–513), um manche Truppenstützpunkte herum sei eine massive Zunahme der Schweinezucht nachweisbar (S. 514–522), und der enorme Bedarf an Lasttieren habe wiederum die Zucht von Pferden und Maultieren befeuert (S. 472–474).

Allerdings stammen bei weitem nicht alle Belege tatsächlich aus der Region, die Löffl eigentlich untersuchen möchte. Er selbst weist wiederholt auf eine oft unbefriedigende Quellensituation hin, welche weitreichende Aussagen für Rätien und Noricum eigentlich nicht erlaube. Hier behilft sich Löffl damit, dass er Belege aus anderen Teilen des Imperiums heranzieht und im Großen und Ganzen eine Übertragung für den Alpenraum für möglich hält.5 Auf der anderen Seite weist Löffl wiederholt auf die starken Unterschiede hinsichtlich der Wirtschafts- und Infrastruktur schon verschiedener Regionen im Alpenraum hin, so dass an mancher Stelle vielleicht etwas mehr Vorsicht bei der Übertragung von in Zeit und Raum weit auseinanderliegenden Zeugnissen angebracht scheint. Ein anderer Vorschlag Löffls, die Lücken im Quellenbefund zu schließen, besteht darin, die Experimentalarchäologie als Hilfswissenschaft gleichberechtigt neben andere bereits etablierte Disziplinen zu stellen, was er in einem längeren Unterkapitel eingehend und auf eigene Erfahrungen verweisend begründet (S. 325–372). Dies mag ein gangbarer Weg sein, aber die diskutierten Ergebnisse zeigen – worauf Löffl selbst hinweist – auch, dass hier offenbar noch manche Erfahrung in der Forschungspraxis selbst gesammelt werden muss, um vorschnelle Schlüsse und Fehler im ‚Experimentaufbau‘ zu vermeiden.6

Insgesamt leidet das Buch nicht nur in diesem Abschnitt daran, dass Löffl – offenbar in dem Bemühen, eine möglichst umfassende Rekonstruktion zu bieten – oft weit abschweift und sich in Details verstrickt, die wohl eher in den Anmerkungsteil gehört hätten, da sie für den Hauptstrang der Untersuchung wenig beitragen können. Einige Abschnitte erscheinen überdies redundant und manche Exkurse gar überflüssig. Das ist besonders deswegen zu monieren, weil Löffl an anderer Stelle bedauert, für eine eingehende Analyse anderer Quellenzeugnisse keinen Raum zu haben (S. 393).

Alles in allem hat Löffl eine interessante, anregende und gedankenreiche Studie vorgelegt, die jedem nützlich sein wird, der sich mit der römischen Expansion im Alpenraum beschäftigt. Diese Beschäftigung hätte aber wohl durch eine stärker selektierende Darstellung wesentlich zugänglicher gestaltet werden können.

Anmerkungen:
1 Hierin fügt sich Löffls Studie gut in das Programm der Reihe „Region im Umbruch“ ein, die diesen interdisziplinären Ansatz hervorhebt. Siehe dazu auch das Geleitwort von Peter Herz (S. 7).
2 Siehe etwa die Überlegungen von John Williams, Beyond the Rubicon, Oxford 2001, bes. S. 185–222.
3 So scheint es vielleicht als zu sehr vom Ende der Republik her gedeutet, wenn man mit P. Cornelius Scipio Africanus Maior die „notgeborene Kette der herausragenden Individuen, die schließlich die Geschicke Roms in ihrer Gänze in Händen halten und deren Fehden die res publica ein für alle Mal zu Grabe tragen sollten“ beginnen lässt (S. 40). Scipios zweifellos sehr erfolgreiche Karriere lässt sich durchaus vor dem Hintergrund der mittleren Republik einordnen, und die Entwicklung hin zu den Sonderkommanden des Caesar oder Pompeius war keineswegs so zwangsläufig, wie in diesem Kapitel dargestellt. Vgl. zu Scipios Karriere und den Karrierewegen anderer Nobiles seiner Zeit, die sich nicht so sehr von seinem unterschieden: Hans Beck, Karriere und Hierarchie. Die römische Nobilität und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik, Berlin 2005, hier S. 328–367 zu Scipio Maior.
4 Siehe hierzu auch Gary Forsythe, A Critical History of Early Rome. From Prehistory to the First Punic War, Berkeley 2005, S. 9 u. 20 (mit weiteren Belegen).
5 Neben anderen Stellen: „Vielfach bleibt auf Grund der weitreichenden Nachweis-Problematik nichts anderes übrig als begründete Überlegungen zur Thematik anzustellen und auf Analogien zum Sachverhalt in anderen Regionen des Imperium Romanum zu verweisen.“ (S. 446)
6 So wurde in einem Experiment der Bedarf an Holzkohle, der für die Herstellung einer Speerspitze notwendig war ermittelt (13,5 kg), um dann direkt auf Legionsstärke hochgerechnet zu werden, was ergab, dass nicht weniger als 67,5 Tonnen Holzkohle notwendig gewesen seien, um 5.000 Legionäre mit je einem pilum auszurüsten. Löffl hebt zu Recht hervor, dass eine solche Hochrechnung nicht zulässig ist, da eine ressourcenschonendere Produktionsweise anzunehmen sei (S. 358).

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