M. Zimmerman (Hrsg.): Apulei Metamorphoseon libri XI

Cover
Titel
Apulei Metamorphoseon libri XI.


Herausgeber
Zimmerman, Maaike
Reihe
Oxford Classical Texts
Erschienen
Anzahl Seiten
LIX, 289 S.
Preis
£ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Theologische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin

Wohl nirgendwo sonst steht Apuleius so hoch in Kurs wie in Groningen. Die niederländische Universitätsstadt war nicht nur Heimat der legendären Groningen Colloquia on the Novel, die in den Achtzigern und Neunzigern wie kaum eine andere Institution zur Renaissance des antiken Romans beitrugen, sondern auch Sitz jener verschworenen Arbeitsgruppe, die für die epochalen Groningen Commentaries on Apuleius (GCA) verantwortlich zeichnet.1 So kann es kaum verwundern, dass gerade in dieser Runde schon lange der Wunsch nach einem besseren Text der Metamorphoses laut wurde – und dass nun eines der engagiertesten Mitglieder jener Gruppe, die inzwischen emeritierte Groninger Latinistin Maaike Zimmerman, eine neue Ausgabe der Metamorphoses vorlegt, die Helms merklich in die Jahre gekommene Teubneriana in den verdienten Ruhestand schickt.2

Zimmermans Vorwort konzentriert sich – nach kurzen Blicken auf Apuleius’ Vita und die Metamorphoses – auf die Überlieferung des Textes. Eine Schlüsselrolle kommt hier dem vom römischen Aristokraten Sallustius 395/96 in Rom und Konstantinopel ‚emendierten‘ Manuskript zu, das in Latium oder eher Kampanien das frühe Mittelalter überlebte und von dem (vielleicht sogar unmittelbar) der älteste erhaltene Textzeuge abhängt: der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Montecassino geschriebene Kodex F,3 dessen Bedeutung auch für die Überlieferung des Historikers Tacitus nicht hoch genug zu veranschlagen ist. Leider ist F keine leichte Lektüre: der ursprüngliche Text ist an vielen Stellen verblasst, von späteren Händen überschrieben und getränkt mit Korrekturen vor allem humanistischer Provenienz.4

Alle erhaltenen späteren Textzeugen hängen von F ab. Doch einer Gruppe von Handschriften, der sogenannten ‚Klasse I‘, kommt besonderer Stellenwert zu, da ihre gemeinsame Vorlage (wie neuere Studien nahelegen) schon im 12. Jahrhundert kopiert wurde, als F noch gut lesbar war. Zimmermans Ausgabe ist die erste, die den Handschriften der ‚Klasse I‘ in Apparat und Text die gebührende Aufmerksamkeit widmet. Sie diskutiert aber auch maßgebliche frühe und moderne Editionen, ferner das umstrittene spurcum additamentum in Buch X der Metamorphoses, das sie mit dem modernen Konsens als mittelalterliche Zugabe charakterisiert – vielleicht aus der Feder des Petrus Diaconus, der im 12. Jahrhundert in Montecassino als Bibliothekar wirkte.5

Ihr erfreulich ausführlicher kritischer Apparat ist schon optisch – gerade auch im Vergleich mit Helm und Robertson 6 – ein Muster an Übersichtlichkeit. In zweierlei Hinsicht bietet sie mehr Informationen als ihre Vorgänger. Sie dokumentiert umfassend den Befund wichtiger Handschriften der ‚Klasse I‘ und maßgeblicher früher Editionen (die sie wie die Handschriften F, φ, A und U neu kollationiert hat, wobei sie manches Versehen früherer Editoren korrigieren konnte). Und Zimmerman präsentiert eine substantielle Auswahl an Konjekturen, „to offer the reader an accurate impression of the challenges this text has always presented, and will continue to present, to its students“ (S. XXVIII).7

Wie unterscheidet sich ihr Text von den gängigen Ausgaben?8 Einen ersten Eindruck mag der Blick auf die Anfangskapitel von Amor et Psyche (Met. 4,28–35) vermitteln, im Vergleich mit Helm, Robertson, Hanson, Kenney und dem GCA.9 In diesen Kapiteln finden sich fünfzehn textkritisch problematische Passagen. In acht Fällen folgt Zimmerman jeweils einer Mehrheit von Herausgebern. In 4,28,3 schreibt sie etwa mit Hanson, Kenney und dem GCA paläographisch einleuchtend Venerem <venerabantur> religiosis adorationibus (Helm und Robertson folgen den Handschriften AU: religiosis <venerabantur> adorationibus), in 4,29,3 mit Robertson und Kenney pulvinaria proteruntur (Hanson und GCA: pulvinaria perteruntur; Helm: pulvinaria proferuntur; F: perferuntur), in 4,30,2 mit F, Helm, Hanson und dem GCA numinis (Robertsons von Kenney übernommene Konjektur nominis ist nach 4,30,1 nomen meum recht unwahrscheinlich).

In vier Fällen schlägt Zimmerman sich auf die Seite einer Minderheit. In 4,28,3 schreibt sie etwa mit F, dessen Text der GCA gut verteidigt, priore digito (nach Helm, Robertson, Hanson und Kenney: primore digito); in 4,35,4 greift sie mit Kenney zur ursprünglichen Lesart von F: Psychen autem, paventem ac trepidantem et in ipso scopuli vertice deficientem (Helm, Robertson, Hanson und der GCA übernehmen das in F korrigierte trepidam). In drei Fällen geht sie eigene Wege: In 4,35,4 setzt sie ans Ende des eben zitierten Satzes Helms Konjektur deficientem (die anderen Herausgeber vertrauen auf deflentem in F), die mit dem Kontext in der Tat vorzüglich harmoniert. In 4,30,3 haben Helm, Robertson und Kenney iam faxo <eam> huius etiam ipsius inlicitae formonsitatis paeniteat (ohne Helms eam Hanson und GCA). Zimmerman schreibt mit Wagenvoorts eleganter Konjektur iam faxo eam <fastus> huius et ipsius inlicitae formonsitatis paeniteat. In der schwierigen Passage 4,31,5, in der fast alle Herausgeber etwas oszillieren, optiert sie für Magnaldis nicht ungeschickte Umstellung: et <statim> ipsum quod incipit velle, [et statim] quasi pridem praeceperit, non moratur marinum obsequium.

Insgesamt finden sich in ihrem Text nicht wenige Abweichungen, die sich aber mehrheitlich als kleinere Eingriffe herausstellen. Dazu rechnen beispielsweise 1,18,1, wo sie mit curiose sedulo<que> einen einleuchtenden Vorschlag Helms realisiert, 4,6,5, wo sie eine minimal variierte Konjektur von K. Dowden in den Text nimmt: ac aula firma, oder 8,10,1, wo sie für F’s unsinniges linguae satiati mit der Handschrift U und zwei Inkunabeln die Lesart linguae sauciantis ins Spiel bringt (Helm hat lingua aestuanti, Robertson lingua satianti, Hanson linguae satiantis). In 8,16,6 tilgt sie mit einem frühen Humanisten in nequicquam frustra timorem illum satis inanem perfuncti das arg pleonastische frustra; in 9,25,5 stellt sie Helms Ergänzung deverteret passender Weise hinter sibi (ad quampiam tantisper familiarem sibi <deverteret> mulierem; vgl. 9,40,4), in 11,3,5 verschlankt sie Castiglionis Ergänzung ornata. sed et vestis gewandt zu ornata. vestis; in 11,27,6 tilgt sie in ecqui vestigium similis ut somnium mit Stewechius ut somnium als Glosse und ergänzt mit Nicolini esset: ecqui vestigium similis esset (also „ob irgendjemand einen ähnlichen Gang habe“). Ähnlich tilgt sie aus eigenen Stücken in 4,15,3 respiratui logisch nachvollziehbar als erklärende Glosse: parvisque [respiratui] circa nares et oculos datis foraminibus (also „nachdem bei Nase und Augen kleine Öffnungen [für das Atmen] angebracht waren“).10

Genuin eigene Konjekturen finden sich nur vier: In 10,13,4 hat F meque ad vasa illa compluria gestanda praedestinarant (also „mich hatten sie auserkoren, ihr Küchengerät zu tragen“). Doch das (von Hanson übernommene) Verb praedestinare findet sich quasi exklusiv im christlichen Latein. Helm und Robertson schreiben mit einer jüngeren Handschrift das seltene praestinarant (also „hatten gekauft“). Zimmerman tilgt das Präfix zu destinarant und verweist auf die Konstruktion destinare ad mit Gerundiv, die allerdings fast nur spätantik belegt ist. In 8,22,1 korrigieren die Herausgeber F, ubi [darunter vielleicht mihi] ceptum facinus, meist mit Beroaldus zu inibi coeptum facinus (so unter anderem Helm und Hanson: „ein dort begangenes Verbrechen“), Robertson zu ibi coeptum facinus. Zimmerman zieht das (im unsicheren mihi nur zu ahnende) Präfix in- zum Partizip: Ibi 11 inceptum facinus. Dabei verweist sie auf Plautus Aul. 460: facinus audax incipit (zitieren ließe sich auch Tacitus ann. 2,66,4 incepti facinoris).

Deutlich überzeugender sind zwei andere Eingriffe. In der schwierigen Passage 2,18,4 schreibt die Mehrheit der Editoren mit F Tibi vero fortunae splendor insidias, contemptus etiam peregrinationis poterit adferre (also „Dein glänzendes Glück aber, auch die Verachtung deiner fremden Herkunft, dürfte dir Ärger eintragen.“).12 Frassinetti erwog die Verdoppelung des Schlüsselwortes: insidias, <insidias>, Helm dessen Umstellung nach peregrinationis. Zimmerman ergänzt paläographisch (und auch dank des Chiasmus) nicht ungeschickt invidiam: Tibi vero fortunae splendor <invidiam>, insidias contemptus etiam peregrinationis poterit adferre. In 11,26,2 heißt es in F lapidar Augusti portum celerrime. Dowden verteidigt die Ellipse des Verbs mit Cicero Att. 6,7,2 Rhodum volo puerorum causa, inde quam primum Athenas – wo der Fall freilich anders liegt. So ergänzen denn Helm, Robertson und Hanson mit Rohde Augusti portum celerrime <pervenio>. Schon paläographisch weit attraktiver ist Zimmermans Lösung: Augusti portum <potitus sum> celerrime.

Wie diese kurzen Stichworte bereits ahnen lassen, verdanken wir Zimmerman eine neue, inspirierte Ausgabe der Metamorphoses, deren Apparat dem Nutzer die essentiellen Informationen höchst übersichtlich präsentiert und deren Text nicht nur den Fortschritten im Verständnis der hoch artistischen Sprache und der verspielten Inhalte dieses Romans Rechnung trägt, sondern sich auch eminent gut liest. Zimmermans Apuleius wird sich zweifellos als neue Referenz etablieren.

Anmerkungen:
1 Der erste Band der Reihe erschien 1977 (Benjamin L. Hijmans u.a., Apuleius Madaurensis, Metamorphoses, Book IV, 1–27. Text, Introduction and Commentary, Groningen 1977), der vorerst letzte 2007 (Wytse H. Keulen, Apuleius Madaurensis, Metamorphoses, Book I. Text, Introduction and Commentary, Groningen 2007).
2 Rudolf Helm (Hrsg.), Apulei Metamorphoseon libri XI, Leipzig 1907; 2. Aufl. 1913; 3. Aufl. 1931 (etliche Nachdrucke).
3 Er liegt jetzt in Florenz: Biblioteca Medicea Laurenziana, Laur. 68.2.
4 Die erstaunlichen Fortschritte der letzten Jahre beim Entziffern von Palimpstesten vor allem mittels UV-Licht müssten im Grunde auch bei dieser Handschrift anwendbar sein.
5 So die verlockende These von Robert Carver, The Protean Ass. The Metamorphoses of Apuleius from Antiquity to the Renaissance, Oxford 2007, S. 67–71.
6 Donald Struan Robertson / Paul Vallette (Hrsg.), Apulée, Les Métamorphoses, 3 Bde., Paris 1946.
7 Der allgegenwärtige Verweis „alii alia“ erinnert an die Fülle weiterer Vorschläge. Ein eigener Abschnitt (S. XXVIII–XXXIV) gilt der von ihr behutsam systematisierten Orthographie, die selbstredend nicht den Anspruch erhebt, Apuleius’ Schriftbild zu rekonstruieren.
8 Lobend erwähnt seien das luftige lesefreundliche Druckbild und die von Robertson übernommene Paragraphenzählung, die das Zitieren erheblich erleichtert. Druckfehler sind höchst selten (S. 94,15 muss es heißen ab omnibus; und der niederländische Philologe heißt Burman oder latinisiert Burmannus, nicht aber Burmann).
9 Helm, Metamorphoseon libri; Robertson/Vallette, Métamorphoses; John A. Hanson (Hrsg.), Apuleius, Metamorphoses, 2 Bde. (Loeb Classical Library), Cambridge/Mass. 1989; Edward J. Kenney (Hrsg.), Apuleius, Cupid and Psyche (Cambridge Greek and Latin Classics), Cambridge 1990; GCA: Maaike Zimmerman / Stelios Panayotakis / Vincent Hunink u.a. (Hrsg.), Apuleius Madaurensis, Metamorphoses. Books IV 28–35, V and VI 1–24. The Tale of Cupid and Psyche. Text, Introduction and Commentary, Groningen 2004.
10 Doch auch Leos Ergänzung respiratui <et obtutui> hat in der umständlichen Ekphrasis etwas für sich: „für das Atmen und Sehen“.
11 Die Partikel schreibt sie fälschlich Hijmans zu, nicht Robertson.
12 Mitunter wird contemptus auch als Akkusativ Plural gedeutet.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension