Cover
Titel
Adenauer-Wahlkämpfe. Die Bundestagswahlkämpfe der CDU 1949–1961


Autor(en)
Paul, Dominik
Reihe
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag. Geschichtswissenschaft 17
Erschienen
Anzahl Seiten
754 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Löttel, Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Bad Honnef-Rhöndorf

Im Spätsommer 1957 steuerte der „Adenauer-Wahlkampf“ seinem Höhepunkt entgegen. In den Dörfern und in den Städten, „buchstäblich überall“ (S. 598), war das Konterfei des Kanzlers präsent. Auf dem Plakat des österreichischen Werbegrafikers Paul Aigner fixierte ein sonnengebräunter Adenauer den Betrachter aus stahlblauen Augen, untermalt von dem berühmten Schriftzug „Keine Experimente! / Konrad Adenauer / CDU“. Fast mochte sich der Eindruck einstellen, als stehe der Regierungschef direkt zur Wahl – „Kanzlerplebiszit für einen erfolgreichen Staatsmann“ (S. 438), wie Dominik Paul das in seiner 2011 publizierten Dissertation nennt.

Der Zuschnitt auf die Person Adenauers war das entscheidende Merkmal der damaligen Bundestagswahlkämpfe. Dieser spezifische Typ des „Kanzler-Wahlkampfs“ umfasst nicht nur den „Kanzler im Wahlkampf“, sondern auch den „Wahlkampf mit dem Kanzler“, also Kanzlerbilder, die im öffentlichen Raum kommuniziert und nach kommerziellen Mustern beworben wurden. Als handbuchartige Beschreibung der einzelnen Wahlkämpfe ist Pauls Buch nicht konzipiert. Stattdessen löst es die Kampagnen aus ihrem zeitlichen Zusammenhang heraus und fragt vergleichend nach ihrer Planung, Gestaltung und operativen Umsetzung. Er hat demnach eine methodisch anspruchsvolle, weit ausgreifende Strukturanalyse vorgelegt, die über den eigentlichen Gegenstand hinaus auch Schnittmengen zu anderen Forschungsfeldern aufweist.

So lesen sich Teile des Buches wie eine Parteiengeschichte der CDU vor dem Hintergrund der Wahlkampfplanung und der Wahlkampfdurchführung. Da Adenauer die Bundesgeschäftsstelle in der Bonner Nassestraße nie aufsuchte und sich mit ihren Leitern Bruno Heck (1952–1957) und Konrad Kraske (ab 1957) kaum unter vier Augen austauschte, wird sie in der einschlägigen Literatur als politisch wenig einflussreich bewertet.1 Sich davon absetzend, betont Paul ihre Bedeutung als schlagkräftige „Wahlkampfmaschine“ (S. 121), in der die eigentliche Koordinierung – Anfertigung von Wahlanalysen, Gegnerbeobachtung, Rednereinsatzplanung – stattfand. Nach der Bundestagswahl von 1953 wuchs der Apparat der Parteizentrale merklich an. Eben weil sie sich im Bereich der Wahlkampfarbeit unentbehrlich machte, sollte die Bundesgeschäftsstelle schließlich dazu beitragen, „aus der Union mehr zu machen als eine Partei, die nur zur Vorbereitung und Durchführung von Wahlen aktiv wird“, wie Heck 1954 im CDU-Bundesausschuss formulierte.2

Wie hier deutlich wird, möchte Paul keine „Kulturgeschichte des Wahlkampfs“ schreiben, wie sie Thomas Mergel kürzlich publiziert hat 3, sondern die Perspektive der Planer und deren Entscheidungshorizont rekonstruieren. Das „unentbehrlich[e] Wahlkampfinstrument“ (S. 349), mit dem die Strategen arbeiteten, bestand in der Demoskopie. Durch ihren Zugriff auf die Apparate der Bundesregierung besaß die CDU dabei einen klaren Wettbewerbsvorteil. Die Erhebungen des Instituts für Demoskopie in Allensbach wurden vom Bundespresseamt über das Bundeskanzleramt an die Bundesgeschäftsstelle weitergeleitet. Ab 1953 beauftragte die Parteizentrale zudem das Bielefelder Institut Emnid, um neben der Erstellung von Meinungsbildern auch Erkenntnisse zu den Motiven der Befragten zu gewinnen.

Mittels dieser wissenschaftlichen Methode loteten die Wahlkampfplaner Stimmungslagen und Erwartungshaltungen aus, die dann über die Medien der Wahlkampfwerbung bedient wurden. Entworfen von eigens beauftragten Werbeagenturen, waren die Plakate und Zeitungsanzeigen der CDU darauf angelegt, Assoziationen von Leistung, Erfolg und vor allem Sicherheit4 zu wecken. Das Gesicht, das der Betrachter damit in Bezug setzen sollte, war das des Bundeskanzlers, der in erster Linie als souveräner Staatsmann vermittelt wurde. An ihm orientierte sich aber auch die werbepsychologische Strategie der „weichen Welle“ (S. 369), die den Wähler mit beruhigenden, positiv besetzten Botschaften ansprach. Adenauer erschien daher ebenfalls in der Rolle des rheinischen Patriarchen mit „einigen privaten Schlaglichtern“ (S. 438), etwa des Rosenliebhabers oder des Boccia-Spielers.

Der „Appell an die Gefühle“ (S. 452) lief aber nicht nur über derartige „Weichspülung“. Er kannte auch eine drastische Bildsprache, die Unsicherheit und Angst schürte, um im Umkehrschluss das Gefühl der Sicherheit mit dem Bundeskanzler und der von ihm vertretenen Politik zu verbinden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Plakat „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau! / Darum CDU“, das vor den Folgen eines möglichen Wahlsiegs der SPD warnen sollte.5 Neben ihrer idyllisch-unpolitischen Seite waren die Motive also durchaus hochpolitisch und damit Ausdruck der harten Gangart, die den Parteienwettbewerb in der Hochphase des Kalten Krieges kennzeichnete. Pauschal von einer „Entpolitisierung“ (S. 437) der Wahlkämpfe zu sprechen, greift deshalb zu kurz. Mit diesem missverständlichen Begriff möchte Paul nicht zuletzt seine Kritik an der Adenauer-Fokussierung und den gestellten Kanzler-Bildern, bei denen die „Authentizität […] auf der Strecke [blieb]“ (S. 464), zum Ausdruck bringen. Nun hat die neuere Forschung allerdings zu bedenken gegeben, dass man die personenbezogene Ausrichtung von Wahlkämpfen nicht reflexartig als „sinistre manipulatorische Technik medialisierter Politik“ begreifen sollte, sondern eher als eine Form der politischen Kommunikation, „die schwierige Zusammenhänge verstehbar, zurechenbar und vorstellbar“6 macht. Mit anderen Worten: „Ohne Personalisierung können komplexe politische Systeme mit pluralen Machtstrukturen […] nicht leicht Loyalität erzeugen, weil sie seelenlos und mechanisch wirken.“7 So gesehen haben die Wahlkämpfe der Adenauerzeit durchaus einen Beitrag zur inneren Stabilisierung der Bundesrepublik geleistet.

Bleiben die Beobachtungen zu Konrad Adenauer selbst. Paul verkündet eingangs, „in keiner Weise das Bild eines übermächtigen Parteivorsitzenden und Wahlkampfverantwortlichen zeichnen“ zu wollen (S. 15). Im Laufe seiner Darstellung tut er jedoch genau dies. Schon 1949, als die Kampagne der CDU noch nicht auf seine Person abgestimmt war, probte Adenauer den „Griff nach der Wahlkampfkontrolle“ (S. 60) und „bestimmte die Wahlstrategie maßgeblich“ (S. 74). Über den informellen „Mittwochskreis“, der später im Bundeskanzleramt tagte, liefen „[a]lle Fäden [...] in der Hand Adenauers zusammen“ (S. 152). Die effiziente Arbeit der CDU-Bundesgeschäftsstelle war nur deshalb möglich, weil der Parteivorsitzende sie billigte. Zu keinem Zeitpunkt ließ er sich jedoch „aus Kontrolle und Planung zurückdrängen“ (S. 170). Den Wahlkampf 1957, der von den Planern eigentlich schon als Mannschaftswahlkampf angelegt worden war, drehte er durch vollen Einsatz zu einer hochgradig personalisierten Adenauer-Kampagne. Selbst 1961, als der Bundeskanzler politisch geschwächt war, vermochte er dem Geschehen noch einmal weitgehend seinen Stempel aufzudrücken. Durch die Lektüre dieser aktengesättigten Studie gewinnt man einen guten Eindruck, wie sehr Adenauer nicht nur Objekt, sondern eben auch Akteur der nach ihm benannten Wahlkämpfe gewesen ist.

Paul hat eine thesenfreudige, nicht immer ganz stringent argumentierende Arbeit verfasst, die auf einer beeindruckend breiten Quellenbasis beruht und eine Fülle verschiedener Themen abhandelt. Diese Stärke des Buches ist aber zugleich seine Schwäche. Gezielte Kürzungen hätten der für die Drucklegung offensichtlich nicht mehr überarbeiteten Kölner Dissertation gut getan. Das gilt nicht nur für den ausufernden, oft halbseitigen Anmerkungsapparat, der durch ein konsequentes Kurztitelsystem zu bändigen gewesen wäre. Auch die für sich genommen sehr interessanten Kapitel über die Wahlkampffinanzierung, die Wählerprofile oder die Kandidatenauswahl führen den Leser bisweilen auf allzu verschlungene Seitenpfade.

Fazit: eine Studie, an der künftige Arbeiten zur Parteien- und Wahlkampfgeschichte nach 1949 nicht vorbeigehen können, die durch eine stärkere Straffung aber weiter gewonnen hätte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Frank Bösch, Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945–1969, Stuttgart 2001, S. 255; vgl. die Rezension von Jens Hacke in: H-Soz-u-Kult, 24.04.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-056> (23.04.2013); weitere Literatur nennt Paul auf S. 96, Anm. 11.
2 Bei Paul zitiert auf S. 125. Paul konstatiert an dieser Stelle ein widersprüchliches Handeln Hecks, da sich die Bundespartei unter seiner Ägide gezielt auf die Wahlkampforganisation ausrichtete. In einer längerfristigen Perspektive macht die Aussage aber durchaus Sinn. Vgl. Hans-Otto Kleinmann, Geschichte der CDU, Stuttgart 1993, S. 205f.
3 Vgl. Thomas Mergel, Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949–1990, Göttingen 2010; vgl. die Rezension von Patrick Merziger in: H-Soz-u-Kult, 08.04.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-2-023> (23.04.2013).
4 Vgl. zum Sicherheitsmotiv Eckart Conze, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009; vgl. die Rezension von Patrick Wagner in: H-Soz-u-Kult, 07.10.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-023> (23.04.2013).
5 Vgl. Gerd Langguth (Hrsg.), Politik und Plakat. Fünfzig Jahre Plakatgeschichte am Beispiel der CDU, Bonn 1995, S. 92.
6 Mergel, Propaganda, S. 209.
7 Ebd., S. 26. Paul selbst gesteht der Personalisierung an einer Stelle eine „wünschenswerte demokratiepädagogische Funktion“ (S. 436) zu.

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