F. J. Burghardt: Zwischen Fundamentalismus und Toleranz

Cover
Titel
Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion


Autor(en)
Burghardt, Franz Josef
Reihe
Historische Forschungen 96
Erschienen
Anzahl Seiten
119 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Luh, Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

Franz Josef Burghardt geht es nicht darum, zu klären, „ob Johann Sigismund sich mehr aus religiösen oder aus politischen Gründen für den Calvinismus entschieden habe, ob er aus bestimmten Gründen diesen Entschluss herausgezögert habe oder ob er sich von seinen Ständen emanzipieren wollte. Angesichts der Persönlichkeitsstruktur des Kurfürsten kann nämlich mit Fug und Recht behauptet werden, dass dieser eine Abwägung möglicher Gründe weder treffen wollte noch konnte“ (S. 12f.). Burghardt fragt hingegen „welche Personen daran interessiert waren, den Kurfürsten zur Konversion zu bewegen, welche Motive diese für ihr Handeln hatten und ob sie insgesamt oder wenigstens teilweise ein Netzwerk bildeten“ (S. 13). Er hat im Hinblick auf diese Fragestellungen die gedruckten Quellen und die Literatur durchgesehen und einzelne kleine Studien angestellt, elf an der Zahl. Sie bilden, historisch-chronologisch aneinandergereiht, als Kapitel zusammen mit Einleitung, Zusammenfassung und Anhang das vorliegende Buch.

Zu welchem weiteren Zweck er die gestellten Fragen beantworten möchte, führt der Verfasser nicht aus. Seine Arbeit versteht sich nicht als Beitrag zu einer Biografie des brandenburgischen Kurfürsten, obgleich dessen Persönlichkeitsstruktur „ein Desiderat“ (S. 12) sei. Dennoch, siehe oben, argumentiert Burghardt postwendend mit ihr. Er beruft sich dabei auf das Urteil eines französischen Gesandten, den schon Reinhold Koser anführte, Kurfürst Johann Sigismund sei „un naturel doux, sans finesse et artifice“ gewesen (S. 12), ein Zitat, mit dem der Franzose ebenso den Bruder des Kurfürsten charakterisierte.

Das erste Kapitel dreht sich um die Frage, ob schon der Aufenthalt der Kurprinzen Johann Sigismund und Johann Georg von Brandenburg in Straßburg 1588/89 in einem auch nur entfernten Zusammenhang mit der späteren Konversion stand. Die Antwort lautet: Die Entsendung der Brandenburger und die Wahl beider in das Straßburger Kapitel seien „nicht das Ergebnis einer außen- oder konfessionspolitischen Überlegung“ gewesen, kein „erster Schritt Brandenburgs nach Westen“. Doch seien beide durch die Reise in den Wirkungskreis der „calvinistischen Aktivisten aus der Reihe der Wetterauer Grafen“ gelangt (S. 22).

Reformierte Politik, so Burghardt, machten die niederrheinischen Calvinisten, nicht der Berliner Hof. Dies werde auch deutlich, wenn man die Verlobung Johann Sigismunds mit Anna von Preußen betrachte (2. Kapitel). Nicht die Hohenzollern suchten „aktiv eine Verbindung mit den calvinistischen Territorien des Westens“, sondern diese seien „auf die zukünftigen Machthaber in Berlin“ zugegangen, „um sie als neue Verbündete zu gewinnen“ (S. 29). Auch Johann Sigismunds Bündnis mit den Generalstaaten von 1605 sei keiner Initiative Berlins entsprungen, sondern die Folge eifriger und intensiver Anstrengungen der klevischen Landstände gewesen (Kapitel 3).

Kapitel 4 wendet sich dann dem Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel und dem von Johann Sigismund als Statthalter nach Düsseldorf entsandten Markgrafen Ernst von Brandenburg zu, um zu zeigen, dass die Wetterauer Grafen ihn unterstützten, sprich auf ihn einwirkten. Kapitel 5 berichtet vom Konfessionswechsel des Markgrafen Ernst 1610, der für das Verhältnis zu seinem Bruder Johann Sigismund keine negativen Folgen gehabt habe. In Kapitel 6 wird die calvinistische Erziehung des Kurprinzen Georg Wilhelm dargestellt und dessen Konversion diskutiert.

Um große Politik geht es in den Kapiteln 7: „Johann Sigismund zwischen Kurverein und Union 1610/13“ und 8: „Der Erwerb Preußens 1611/12 und die Familie Dohna“. Beide geben sehr knapp den derzeitigen Forschungsstand wieder, ebenso der neunte Abschnitt, in denen die „Bemühungen um eine Einigung mit Sachsen 1613“ im Mittelpunkt stehen. Burghardt zitiert hier viel aus dem Briefwechsel Johann Sigismunds mit Kurfürst Johann Georg von Sachsen. Weil Kurfürstin Anna von Brandenburg, eine Erbin von Jülich-Kleve-Berg – ihre Biografie stammt aus der Feder der Historikerin Toni Saring, nicht von einem Theo Saring (S. 15 und 114) – ein sächsisches Erbrecht nicht anerkennen wollte, habe Johann Sigismund sich bemüht, „möglichst schnell Sachsen zu einer finanziellen Kompensation zu bewegen oder sich nach Verbündeten umzusehen, die seine Ansprüche notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen bereit waren“ (S. 73).

Ob nach der Konversion des Kurfürsten der Brandenburger Geheime Rat bei seiner Neuordnung im April 1613 als stabilisierendes Element einer calvinistischen Politik gedacht gewesen sei, lautet die im zehnten Kapitel gestellte Frage; wohl eher nicht, die Antwort. Den meisten Räten habe zu diesem Zeitpunkt noch „eine calvinistische Gesinnung“ gefehlt (S. 80). Ob Johann Sigismund solche auf seine Untertanen ausdehnen oder seine Konversion mit Toleranz verbinden wollte, spricht das letzte Kapitel an. Die Fragen ließen sich, so Burghardt, wohl nur im Rahmen einer umfassenden Biografie klären. Allerdings habe es den Anschein, dass Kurfürst Johann Sigismund Anfang Dezember 1613, nachdem er sich entschieden hatte zu konvertieren, die calvinistische Lehre in seinem Land nicht gegen den Widerstand seiner Untertanen durchsetzen wollte. Solche „vermeintliche religiöse Toleranz“ dürfte „in seinem Charakter begründet sein, in seiner Nachgiebigkeit, seiner Scheu vor Konflikten, in seiner Meinung, sein Gegenüber durch warmes Zureden überzeugen zu können. […] Es scheint daher durchaus möglich zu sein, Johann Sigismunds Konversion gerade vor dem Hintergrund religiöser Toleranz als ganz persönlichen Akt ansehen zu können. Dies würde zumindest erklären, warum er sich trotz seiner Ängstlichkeit vor wichtigen Entscheidungen und trotz des Bedenkens mehrerer Räte für einen Konfessionswechsel entscheiden konnte“ (S. 84). Womit der Verfasser am Ende doch die Fragen beantwortet, die er vermeintlich gar nicht stellen wollte.

Das Resümee: „Um 1605 mit Otto Heinrich von Bylandt zu Rheydt und Adam Gans zu Putlitz beginnend, war Johann Sigismund also schon deutlich vor seiner Konversion mit Calvinisten in engem und vertrautem Kontakt. Es folgten wenig später Fabian d.Ä. von Dohna und Moritz von Hessen-Kassel, schließlich Abraham von Dohna und nicht zuletzt sein Bruder Ernst“ (S. 88). Alle diese Personen hätten zu einem „eng verflochtenen Netzwerk“ gehört (S. 88). Deshalb könne „die Konversion des Kurfürsten Johann Sigismund als Beispiel einer Eingliederung in das calvinistische Netzwerk des sich um 1600 herausbildenden ‚protestantischen Internationalismus‘ verstanden werden“ (S. 89).

Was aber daran, über diese Behauptung hinaus, geschichtlich bedeutsam war, erschließt sich aus Burghards Buch nicht recht. Dazu hätten die einzelnen Studien mehr miteinander verbunden und in einen größeren historischen Kontext gestellt werden müssen. Die Fragen, ob persönliche, religiöse, außen- oder innenpolitische Gründe für die Konversion Johann Sigismunds ausschlaggebend waren, bleiben nach wie vor spannend zu beantworten – Burghardt hat sich hier ja festgelegt –, auch wenn sie zuerst von einer „überholten borussischen Historiographie“ (S. 85) gestellt worden sind.

Die brandenburgische Geschichte erscheint kontingenter denn je. Nur die Wetterauer Grafen wussten genau, was sie wollten. Auch wenn Franz Josef Burghardt über den Kurfürsten eigentlich nichts sagen will, stellt er implizit, die angemahnte Biografie nicht abwartend, fest, dass Johann Sigismund ein schwacher Fürst war – im Anschluss an die gescholtene borussische Historiographie (Koser). Das jedoch auf Grundlage der hier angeführten Materialien und Argumentation schlüssig anzunehmen, ist nur bedingt überzeugend.

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