R. Mariager (Hrsg.): Politik, historie og jura

Titel
Politik, historie og jura. Politisk overvågning i Danmark og Skandinavien under Den Kolde Krig


Herausgeber
Mariager, Rasmus Mølgaard
Reihe
Danish Humanist Texts and Studies 42
Erschienen
Anzahl Seiten
253 S.
Preis
DKK 198 / € 27,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Krieger, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Es mag heute als Forschungsglück schlechthin erscheinen, wenn ein Historiker oder eine Historikerin Gelegenheit bekommt, Einsicht in ein komplettes Geheimdienstarchiv zu nehmen und geheimdienstliche Aktivität eines halben Jahrhunderts aus unmittelbarer Anschauung rekonstruieren zu können. Zehn Jahre lang hatten dänische Wissenschaftler eine solche Möglichkeit: 1999 beauftragt, als Mitglieder einer parlamentarischen Untersuchungskommission die Arbeit des dänischen polizeilichen Nachrichtendienstes PET (Politiets Efterretningstjeneste) in der Zeit des Kalten Krieges zu untersuchen, legten sie im Jahre 2009 ein 16-bändiges Werk vor. Gut 4.600 Seiten füllt der Untersuchungsbericht und bringt schonungslos ein problematisches Erbe der dänischen Nachkriegsdemokratie zutage. Auch wenn seit 1968 vehement bestritten wurde, dass der PET auch Dänen im eigenen Lande belauschen würde, trat nun genau das Gegenteil ans Licht. So wurden bereits seit 1948 dänische Kommunisten beschattet, und die Beobachtungsaktivitäten später auch auf andere dem linken Flügel zuzurechnende Parteiungen und Parteien ausgeweitet. Ersten Vorwürfen war PET schon 1998 mit einem eigenen Untersuchungsbericht entgegengetreten, in dem beteuert wurde, stets nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben. Gerade diese Bekundungen weckten letztlich aber umso größere Zweifel; und selbst eher konservative dänische Zeitungen beteiligten sich an einer anschließenden breiten Debatte, die eine wissenschaftliche Aufarbeitung einforderte. Im Ergebnis trat jene parlamentarische Untersuchungskommission ins Leben.

Wem der Kommissionsbericht als Lektüre zu voluminös erscheint, dem sei ein Blick in das 2012 von Rasmus Mariager herausgegebene Buch „Politik, historie og jura. Politisk overvågning i Danmark og Skandinavien under den Kolde Krig“ empfohlen. Der Band beschäftigt sich mit der Tätigkeit des PET, insbesondere mit der Überwachung dänischer Staatsbürger in der Zeit des Kalten Krieges, und der Aufarbeitung dieses Themas seit 1998. Politikwissenschaftler, Historiker und Juristen, die teilweise selbst an der Untersuchungskommission mitgewirkt haben, beteiligen sich mit einem interdisziplinären, vergleichenden und multiperspektivischen Ansatz und generieren auf diese Weise einen konzisen sowie (auf Dänisch, Schwedisch und Norwegisch) gut lesbaren Sammelband. Dieser gliedert sich mit seinen insgesamt elf Beiträgen inhaltlich in vier Bereiche: So nähert sich der erste Teil mit geschichtswissenschaftlichen Methoden der Genese von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen allgemein und des PET-Ausschusses im Besonderen. Der größere zweite Teil nimmt den 2009 vorgelegten Untersuchungsbericht im Detail in den Blick, während es im dritten Block unter Einbeziehung der schwedischen und norwegischen Geheimdienste SÄPO und POT um eine Vergleichsperspektive im skandinavischen Kontext geht. Besonders aktuell mutet Abschnitt vier an, der sich mit den Herausforderungen von Bedrohungsszenarien allgemein und dem Verhältnis zwischen Rechtssicherheit und staatlicher Überwachung auseinandersetzt.

Auf diese Weise stellt das Buch sowohl eine Studie über den Geheimdienst selbst als auch über den darauf bezogenen Untersuchungsausschuss dar. Diese beiden inhaltlichen Ebenen werden gleichwohl sorgfältig voneinander geschieden, was dem Buch eine klare, konzise Struktur verleiht. Zwei Leitfragen werden dem Leser gleich im Vorwort mit auf den Weg gegeben: Inwieweit dürfe ein demokratischer Staat nichtdemokratische Mittel einsetzen, um die Demokratie zu schützen, und wann ist ein solcher Umfang staatlicher Überwachung erreicht, dass die Rechtssicherheit der Bürger bedroht ist? Auch wenn diese Fragen im Rahmen des Bandes nicht abschließend beantwortet werden sollen und können, dienen sie dem Leser doch als Leitfaden und laden zum abschließenden Nachdenken ein. Als wichtiges Ergebnis mag die Erkenntnis gelten, dass der dänischen Regierung mit dem Einsetzen der Untersuchungskommission der Schachzug gelang, eine aktuelle politische Debatte allein durch die lange Dauer der Aufarbeitung zu historisieren und ihr damit die politische Brisanz zu nehmen.

„Politik, historie og jura“ ist spannend und mutet stellenweise selbst wie ein Spionageroman an. So erscheint auch die eine oder andere inhaltliche Wiederholung verzeihlich. Das Buch verzichtet auf eine gelehrte Fußnotendiskussion, was den wissenschaftlichen Anspruch des Werkes nicht schmälert, allerdings das Wiederauffinden von Quellen durch den Leser nicht erleichtert. Trotz aller Brisanz findet das Buch zu einem versöhnlichen, vielleicht aber auch ein wenig subjektiven Abschluss: Jørn Bro, Autor des letzten Beitrages, der sich als ehemaliger Mitarbeiter des PET bekennt, macht glaubhaft, dass dieser Geheimdienst trotz aller Ungereimtheiten in Zeiten des Kalten Krieges und des stetig bedrohlicher werdenden Terrorismus für die dänische Bevölkerung eine wichtige Schutzfunktion ausübte und ausübt. Ein empfehlenswertes, relevantes Buch, dessen Lektüre weit über Dänemark hinaus Erkenntnisgewinn verspricht.

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