Cover
Titel
Welcome Home, Boys!. Military Victory Parades in New York City 1899–1946


Autor(en)
Jobs, Sebastian
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Campus Verlag
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 36,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja-Maria Bassimir, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Militärparaden gehören zum Repertoire der Machtdemonstration von Staaten und symbolisieren Stärke sowohl nach außen als auch nach innen. Gerade nach erfolgreichen Schlachten hat der Triumphzug eine lange Tradition. In der vorliegenden Monographie widmet sich Sebastian Jobs den US-amerikanischen Militärparaden in New York City in einem Zeitraum von 1899 bis 1946 und betont dabei die Bedeutung dieser Darbietungen für die Realisierung, Perpetuierung und Veränderung der nationalen wie auch individuellen Identität. Im Zusammenspiel von Organisatoren, marschierenden Soldaten und jubelnden Zuschauern werden Konzepte wie „Bürger“ und „Nation“, so der Autor, auf der Bühne der Straße verkörpert. Dabei stellt Jobs eine Entwicklung von Militärparaden von der spontanen Siegesfeier hin zum durchgeplanten und kommerzialisierten Willkommensritual und Unterhaltungsangebot fest. Somit waren Paraden gleichzeitig wichtige nationale Ereignisse, die die Wiedereingliederung von Soldaten ins zivile Leben anzeigten, und Höhepunkte in New Yorks Festtagskalender. Als Eckdaten der Studie dienen der Spanisch-Amerikanische Krieg, der das Ende des Isolationismus und den Anfang des wachsenden weltweiten politischen Einflusses der USA anzeigt, sowie das Ende des Zweiten Weltkriegs mit den US-amerikanischen Siegen im Atlantik und Pazifik, das einen Höhepunkt US-amerikanischer Macht darstellt, aber auch das Ende der „victory culture“ (S. 9) einläutete.

Das Buch basiert auf der 2009 an der Universität Erfurt angenommenen Dissertation mit dem Titel „Celebrating and performing victory: military parades in New York City, 1899–1946“ und ist auf Englisch verfasst. Der Hauptfokus liegt auf den unterschiedlichen Akteursgruppen – Organisatoren, Soldaten und Zuschauer – die jeweils in einem eigenen Kapitel analysiert werden. Vorangestellt, und nicht ganz zur restlichen Struktur des Buchs passend, ist eine Fallstudie zu den „Harlem Hellfighters“, einer Einheit afroamerikanischer Soldaten, die für ihre Verdienste im Ersten Weltkrieg 1919 mit einer Parade in New York geehrt wurde. Die systematische Gliederung der Kapitel erlaubt eine intensive Auseinandersetzung mit den jeweiligen Beteiligten, geht aber zu Ungunsten der Lesefreundlichkeit und bringt einige Wiederholungen mit sich. Die Arbeit ist stark theoriegeleitet und greift methodologische Fragen aus den Bereichen Geschichte und Kulturwissenschaft auf (S. 12).

Der Autor wirft einen neuen Blick auf ein altes Phänomen, indem er den performativen Charakter der Paraden zum Gegenstand seiner Untersuchung macht. Durch einen innovativen Ansatz und die ausführliche Analyse eines klar umgrenzten Untersuchungsgegenstandes stellt die Arbeit einen spannenden Beitrag zur Geschichte von Militärparaden dar. Die Idee der Performanz bildet das Zentrum von Jobs’ theoretischen Überlegungen und wird im ersten Kapitel ausführlich erläutert. Rückgreifend auf Ansätze aus den Disziplinen Geschichte, Ethnographie und Theaterstudien betont er, dass Paraden nicht einfach Repräsentationen des Sieges seien, sondern in der Darbietung selbst eine bestimmte Wirklichkeit geschaffen wird. Sich auf Stuart Hall beziehend, versteht er Paraden als „practices of identification“ (S. 23), wobei er auch den konstruierten Charakter von Identität herausstellt. Jobs’ Studie zielt darauf ab zu zeigen, wie abstrakte Ideen wie „nationality, citizenship, and gender“ (S. 30) für Teilnehmende in den Paraden realisiert wurden. Die Kategorien „race“ (S. 9) und „modernity“ (S. 12), die er ebenfalls erwähnt, spielen in der Studie selbst aber kaum eine Rolle und was unter „modernity“ zu verstehen ist, wird nicht erklärt.

Obwohl der Buchtitel als Untersuchungszeitraum die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ankündigt, behandelt Jobs vor allem drei Paraden: die Siegesparade 1899 für Admiral George Dewey nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg, die Parade der 77. Division nach dem Ersten Weltkrieg 1919 und die Parade im Januar 1946 der 82. Airborne Division, der sogenannten „All-American“ Einheit. Die Arbeit stützt sich vor allem auf Zeitungsberichte. Daneben zieht Jobs Aufzeichnungen und Materialien zum Beispiel aus dem Bürgermeisterbüro der Stadt New York oder Militärunterlagen hinzu. Der Autor verweist selbst darauf, dass das Quellenmaterial nicht unproblematisch ist, um eine Performanz-Studie durchzuführen, schöpft das Quellenpotential aber voll aus. Er rekonstruiert aus dem Material, bei dem es sich zumeist entweder um Pläne oder nachträgliche Berichte handelt, die Perspektiven der unterschiedlichen Akteure und findet Wege, ihre Praktiken aus Zeitungsartikeln herauszulesen.

Eine besondere Stärke der Arbeit besteht darin, dass die verschiedenen Akteure und ihre jeweiligen Motivationen und Interpretationen einzeln untersucht werden und durch die Zusammenschau der unterschiedlichen Perspektiven ein differenziertes Bild der Paraden entsteht. Im Kapitel zu den Organisatoren stellt Jobs vor allem eine zunehmende Institutionalisierung und Bürokratisierung fest, die den vermeintlich spontanen Charakter der Paraden zusehends verdrängten. Während der Festumzug für Admiral George Dewey noch ein gemeinschaftliches Projekt war, an dem eine große Anzahl von Bürgern auf unterschiedliche Weise beteiligt waren, entwickelte sich die Planung von Paraden zunehmend zu einer logistischen Großleistung eines vergleichbar kleinen „Willkommenskomitees“. Der An- und Abtransport sowie die Unterbringung der Soldaten, die genaue Route, Vergabe von Plätzen auf Zuschauertribünen, oder auch die Marschgeschwindigkeit der Soldaten wurden effizient und pragmatisch geplant. Jobs konstatiert eine Regulierungswut der Planer. Den Eindruck von geordneten Massen, den die Organisatoren zu erreichen suchten, spiegelte, so Jobs, deren Vorstellung eines geordneten Gemeinwesens wider, machte die Paraden für Zuschauer aber letztendlich unattraktiver.

Die sich ändernde Vorstellung des Gemeinwesens zeigt sich in der wandelbaren Form von Militärparaden. Der Umzug für Admiral Dewey glich der Feier eines Kriegshelden, während spätere Paraden ganze Einheiten und symbolisch alle Soldaten und das Gemeinwesen im Ganzen ehrten. Nicht mehr erfolgreiche Anführer, sondern die Zusammenarbeit einer Einheit, in der jeder seinen Platz einnahm, wurde gefeiert und durch in Blöcken marschierende Soldaten symbolisiert. Einzelne Soldaten durchbrachen aber die von der Militärführung vorgegebenen Parameter während der Umzüge immer wieder, indem sie untereinander scherzten oder mit den Zuschauern interagierten. Damit ist Jobs’ Beschreibung der Parade als Reintegrationsritual sehr passend. Heimkehrende Soldaten befanden sich in einem liminalen Zustand zwischen Krieg und Zivilgesellschaft. Paraden gaben ihnen die Möglichkeit ein letztes Mal offiziell Uniform zu tragen, aber gleichzeitig die strikte Militärdisziplin relativ gefahrlos durch kleine Gesten zu durchbrechen und somit wieder zu Zivilbürgern zu werden, so Jobs’ Analyse.

Jobs’ Kreativität und Analysegabe zeigt sich am deutlichsten in seiner Untersuchung der Zuschauer, zu denen die Quellenlage sehr mager ist. Er konstatiert, dass die Zuschauer den gesamten Untersuchungszeitraum hindurch in Zeitungsartikeln vor allem in Kategorien, die als „feminin“ beschreibbar sind, dargestellt wurden und bezieht damit den gesellschaftlichen Kontext und Wertekanon stärker ein als in vorherigen Kapiteln. Geschlechtervorstellungen wie starke, kämpferische und disziplinierte – männliche – Soldaten und die femininen Eigenschaften wie Emotionalität der Zuschauer wurden durch Zeitschriftenartikel konstatiert und perpetuiert. Der Anspruch der Zuschauer, die in das Geschehen von Festumzügen mit einbezogen werden wollten, kollidierte mit der Vorstellung der Organisatoren, für die ungezähmte Emotionalität ein Störfaktor ihrer Ordnung war. Die Routinisierung und Reglementierung der Paraden führte, wie Jobs es beschreibt, zum Niedergang der Militärparaden in New York.

Die ausführliche Studie demonstriert eingehend die Planung und Durchführung von Militärparaden als „political performances“ und beschreibt einleuchtend die unterschiedlichen Erwartungen der verschiedenen Beteiligten. Während viel Sorgfalt auf die Untersuchung der Praktiken von Militärparaden verwendet wurde, wäre eine stärkere Einbettung in den historischen Kontext an vielen Stellen hilfreich gewesen. Der Autor öffnet eine neue Perspektive auf ein klassisches Thema und während die Befunde nicht überraschen, machen die Verknüpfung verschiedener Perspektiven und Ansätze, die gute Nutzung der Quellen und die theoriegeleitete Analyse die Arbeit sehr lesenswert.

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