Titel
Cavour und Bismarck. Zwei Staatsmänner im Spannungsfeld von Liberalismus und Cäsarismus


Autor(en)
Rusconi, Gian Enrico
Erschienen
München 2013: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Epkenhans, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, Universität Potsdam/Universität Hamburg

Das 19. Jahrhundert war eine Zeit der Gründung von Nationalstaaten. Geläufig sind vielen von uns freilich nur die Reichsgründung 1870/71; die nationale Einigung Italiens nur wenige Jahre zuvor oder die Gründung Belgiens sind nur Wenigen bekannt. Dabei gibt es, zumal zwischen Deutschland und Italien, bei allen Unterschieden manche Parallelen. Gian Enrico Rusconi, langjähriger Direktor des Italienisch-Deutschen Instituts in Turin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Parallelen, soweit sie Deutschland und Italien betreffen, näher zu beleuchten und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede herauszuarbeiten.

Bei diesem Vergleich liegt es nahe, sich an den leitenden Politikern dieser Staaten zu orientieren – dem piemontesischen Grafen Cavour und dem preußischen Juncker Bismarck. Es ist schon frappant zu sehen, wie beide, gleichwohl zeitversetzt, als Ministerpräsidenten das von ihnen regierte Land zum Motor der Einigung loser und allenfalls historisch bzw. kulturell mit ihnen verbundener Nachbarstaaten zu jeweils großen Nationalstaaten bewerkstelligt haben. Gleichermaßen auffällig ist darüber hinaus, dass beide dabei skrupellos von dem Mittel des Krieges gegen die gleiche bedeutende Regionalmacht – Österreich – Gebrauch machten und sich dabei zugleich nicht nur der jeweiligen Nationalbewegungen bedienten, sondern auch in unterschiedlicher Weise den französischen Kaiser, Napoleon III., vor ihren Karren zu spannen versuchten. Auch ihr Politikstil, so betont Rusconi zu Recht, weise manche Parallelen auf: Bereits Zeitgenossen haben ihn als „diktatorisch“ oder „cäsaristisch“ beschrieben.

Doch so groß die Ähnlichkeiten zwischen Cavour und Bismarck auf den ersten Blick diesbezüglich erscheinen – ein wichtiger Unterschied darf nicht vergessen werden: Während Cavour sich bei seinem Vorgehen auf eine breite Mehrheit im Parlament und die dieses dominierende liberale Bewegung stützen konnte, war Bismarck durch und durch ein Konfliktminister. Ihm ging es gerade darum, die Liberalen durch die Einigung mit „Eisen und Blut“ im Vorhof der Macht gefangen zu halten.

Rusconi arbeitet all diese Aspekte in seiner stets auf hohem Niveau argumentierenden Arbeit in insgesamt vier Kapiteln heraus. Nationalstaat und Führungsstile, Verspätungen und Ungleichzeitigen sind das Thema des ersten Abschnitts, die europäische Dimension der italienischen Einigung mit ihrer Ausstrahlung auf Deutschland das des zweiten Kapitels. „Europäische Dimension“ heißt aber nicht, dass Rusconi deren innenpolitischen Aspekte außer Acht lässt. Wenn er sich ausführlich sowohl Bismarcks Haltung in der Frage der italienischen Einigung widmet, als auch nach der Haltung deutscher Publizisten und Historiker fragt, dann macht er deutlich, wie eng außenpolitische Fragen mit innenpolitischen Problemen verknüpft sind. Gleiches gilt für den dritten Abschnitt: Die deutsche Einigung. Rusconi zeichnet hier die bekannten Stationen nach, zeigt auf, wie sehr Bismarck allein das Interesse Preußens in der Hand hatte, als er sich im Frühjahr 1866 mit Italien verbündete und dieses nach dem Sieg bei Königgrätz wieder fallen ließ, nachdem er seine Ziele erreicht hatte. Viel spannender ist aber Rusconis Analyse der gewandelten Haltung der Liberalen. Hatten sie bis 1866 ohne Zögern dem Realpolitiker Cavour den Vorzug vor Bismarck gegeben, so schlugen sie sich nun mehrheitlich auf die Seite des preußischen Ministerpräsidenten. Ausschlaggebend dafür war vor allem Bismarcks Auftreten gegenüber Napoleon III. Indem Cavour sich in dessen Schutz begeben hatte, hatte er Italien zugleich geschwächt. Vor allem aber hatte Cavour ein zersplittertes Italien hinterlassen. Dies war von Bismarck nicht zu erwarten, denn, so hieß es in einem Brief Heinrich von Treitschkes an Gustav Freytag im Oktober 1865, „er kämpft für Preußens Macht, für unsre legitime Stellung an Nord- und Ostsee“ (S. 121).

Im vierten und zugleich letzten Abschnitt vergleicht Rusconi dann noch einmal „Cavourismus und Bismarckismus“. Eindrucksvoll zeichnet er die Ambivalenz der Begriffe auf, macht deutlich, dass Cavourismus als Politikstil für Konservative negativ, für die Liberalen hingegen positiv besetzt war. Gleiches gilt für Bismarck. Das Besondere dabei ist freilich, dass sich diese Bewertungen schnell wandelten – wie die Haltung der Liberalen gegenüber Cavour und Bismarck zeigte. Der politische Erfolg war letztlich die Messlatte, nicht die eigenen Prinzipien. Zeitbedingt wie die Prinzipien sind auch die mit beiden Politikern verbundenen Mythen. Der Bismarck-Mythos hat sich in Deutschland aufgrund der Katastrophen, die folgten und für die er zu Recht und zu Unrecht verantwortlich gemacht wurde, ohnehin überlebt. Und Cavour? Dessen Mythos wiederzubeleben, hält auch Rusconi für unsinnig. Gleichwohl, einige seiner Grundüberzeugungen wie dessen kohärenten konstitutionellen Liberalismus, seine Führungsstärke im Parlament und durch das Parlament und seinen nüchternen Realismus hält er für bedenkenswert. Dass dieses Urteil durch die italienische Dauerkrise beeinflusst wurde, ist unverkennbar. Dennoch: das Buch ist höchst lesenswert, vergleicht es doch zwei Politiker, die im 19. Jahrhundert Geschichte geschrieben haben und deren Wirken über die Grenzen des eigenen Landes hinaus gerade aufgrund ihres Politikstils unverkennbar ist.

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