S. Scheuble-Reiter: Die Katökenreiter im ptolemäischen Ägypten

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Titel
Die Katökenreiter im ptolemäischen Ägypten.


Autor(en)
Scheuble-Reiter, Sandra
Reihe
Vestigia 64
Erschienen
München 2012: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
XII, 428 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Wieland, Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Seit über hundert Jahren beschäftigen sich die Papyrologie sowie die althistorische Sozialforschung mit dem Phänomen der klerouchia im Ptolemäerreich, der Praxis, Soldaten für ihren Militärdienst hauptsächlich nicht mit Sold, sondern einem Stück Land (kleros) zu entlohnen und sie damit dauerhaft an Scholle und König zu binden. Im besonderen Fokus standen hierbei immer wieder die sogenannten katoikoi hippeis („Katökenreiter“), die bis dato jedoch keine eigenständige Untersuchung erfahren haben, was die „Katökenfrage“ zu einem der dringendsten Desiderate der Papyrologie und der althistorischen Erforschung des hellenistischen Ägyptens machte.

Sandra Scheuble-Reiter hat mit dem vorliegenden Werk nun in ausführlicher Weise diese klaffende Lücke geschlossen und sich der Katökenreiter sowie der generellen Aspekte rund um die Kleruchie im Lichte des neuen Quellenmaterials angenommen. Ihre leicht überarbeitete Dissertation, die 2010/2011 an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt wurde und nun als 64. Band der Reihe „Vestigia“ erschienen ist, setzt sich zum Ziel, die bisherige Sichtweise auf die Katöken „auf den Prüfstand“ zu stellen (S. 2) und die „militärische und sozio-ökonomische Elite der Katökenreiter erstmals als Gruppe“ zu untersuchen und zu erfassen (S. 4). Obschon die Autorin ihre Arbeit im Kontext von sozialgeschichtlichen Untersuchungen verortet (S. 1), wählt sie für diese Betrachtung einen holistischen Zugang, um „möglichst alle Seiten dieser Soldaten“ zu beleuchten (S. 5). Diese Vorgehensweise spiegelt sich in der Struktur des Buches wider, in dem – mit Ausnahme des ersten allgemeinen Teils – jedes Kapitel einen bestimmten Aspekt der Katökenreiterei abdeckt.

In der Einleitung, die einen Überblick zur methodischen Vorgehensweise des Buches geben soll, definiert Scheuble-Reiter die Katöken als „Angehörige der Reiterei, die in der ägyptischen Chora mit einem Kleros von bis zu 100 Aruren […] angesiedelt wurden“ (S. 3), und stellt fest, „dass katoikoi nur die Kurzform von katoikoi hippeis war“ (S. 3). Dementsprechend fallen nicht nur solche Personen in ihren Untersuchungsbereich, die direkt als katoikoi oder katoikoi hippeis tituliert sind, sondern auch alle anderen Personenkreise, die mit der Reiterei verbunden sind, größere Schollen von Land besitzen oder katöken-spezifische Handlungen durchführen. Scheuble-Reiter kann so mit einer Zahl von etwa 1.300 Personen zwischen 332 und 30 v.Chr. operieren, von denen 85 Personen aus demotischen Quellen stammen. Untersuchungsraum stellt lediglich das ägyptische Kernland dar, wobei sämtliche Außenbesitzungen der Ptolemäer aufgrund unklarer Quellenlage ausgeschlossen werden.

Diesen einleitenden Gedanken folgt ein allgemeines Kapitel zum ptolemäischen Heer und der Kleruchie. Scheuble-Reiter skizziert in ausführlicher Form die Entwicklung des ptolemäischen Militärwesens vom Überbleibsel des Alexander-Heers bis zum funktionierenden Kleruchie-System. Dabei geht sie insbesondere auf die Fragen nach der Herkunft sowie der Art der Ansiedlung und Unterbringung der Söldner ein und widerspricht der bisherigen Forschungsmeinung, der Großteil der Kleruchen sei bereits in den frühen Jahren der Herrschaftsetablierung nach Ägypten gekommen. Vielmehr habe sich die Kleruchie über einen langen Zeitraum hinweg unabhängig von den faktisch kontrollierten Gebieten im östlichen Mittelmeerraum etabliert.

Das erste thematische Kapitel untersucht die Organisation und einzelne Gruppierungen der ptolemäischen Reiterei. Neben der Darstellung der verschiedensten Truppenteile, insbesondere der Hipparchien und deren Entwicklung, befasst sich die Autorin schwerpunktmäßig mit der Frage nach der Entstehung des Begriffs katoikos und dessen Abgrenzung zum kleruchos. Sie löst sich hier von früheren Interpretationen, wonach zwischen den beiden Gruppen eine ethnische Diskrepanz bestanden habe und sucht die Unterscheidung im militärischen Aufgabenbereich: Katoikos sei demzufolge eine „Art Oberbegriff zur Bezeichnung der mit Kleroi versehenen Reiter“ (S. 74) gewesen. Der Begriff tauche jedoch in den Papyri des 3. und frühen 2. Jahrhunderts v.Chr. (mit wenigen Ausnahmen außerhalb des Arsinoites) nicht auf, da man die Reiter anhand der Größe ihrer Kleroi identifiziert habe („100-Aruren-Inhaber“, „80-Aruren-Inhaber“ usw.). Erst als die Kleroi mit der Zeit immer kleiner geworden seien, ohne dass man eine Anpassung der Titulierungen der Reiter an die tatsächlichen Größen vorgenommen habe, sei es seitens der Verwaltung aus pragmatischen Gründen notwendig geworden, den „Oberbegriff“ zur Identifikation der Reiter zu benutzen. Das Verhältnis zwischen Katöken und Kleruchen ist laut Scheuble-Reiter dementsprechend jenes zwischen Reitern und Fußsoldaten. Sowohl die Auswahl der Quellen als auch sämtliche Ergebnisse des Werkes basieren auf dieser Arbeitshypothese, weshalb es wünschenswert gewesen wäre, wenn dieser Problematik etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden wäre. Eine begriffsimmanente Untersuchung des semantischen Umfelds von kat-oikos im Kontext von Gruppen mit derselben Bezeichnung in anderen geographischen bzw. zeitlichen Räumen hätte der hier dargelegten Sichtweise womöglich weitere Aspekte hinzufügen und zu einem differenzierteren, weniger normativen Bild der Katöken führen können.

Im folgenden Kapitel wird die ethnische Zusammensetzung der Reiterei untersucht, wozu die in den Papyri auftauchenden Ethnika und Anthroponyme in den Blick genommen werden. Scheuble-Reiter stellt sich schwerpunktmäßig die Frage, in welchem zahlenmäßigen und kulturellen Verhältnis „Griechen“ (und andere Einwanderer) und „Ägypter“ zueinander gestanden hätten, und kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass weder die Untersuchung der Ethnika noch der Personennamen hierüber verlässliche Aussagen zuließe. Generell sei nur zu konstatieren, dass viele Ägypter in die Gruppe der Katöken aufgenommen worden seien und die damit verbundene Annahme eines griechischen Namens und Ethnikons „eine reine Formsache“ gewesen sei (S. 139).

Hiernach betrachtet Scheuble-Reiter im Kapitel „Der Kleros“ besonders Fragen zum Besitzverhältnis der Katöken an ihren Kleroi. In Ablehnung zum Postulat der älteren Forschung, die eine Entwicklung im Besitzrecht vom reinen „Lehen“ hin zum Eigentum sah, vollzieht Scheuble-Reiter die einzelnen Entwicklungsschritte detailliert nach und kommt zu Recht zu dem Ergebnis, dass die Kleroi über die gesamte Ptolemäerzeit hinweg im rechtlichen Sinne Eigentum des Königs geblieben seien. Die Diskrepanz zwischen den rechtlichen Vorgaben aus Alexandrien und den faktischen Verhältnissen in der Chora erklärt sie damit, dass der Zentralverwaltung an einer permanenten Bebauung der Kleroi gelegen gewesen sei, weswegen sie zu bestimmten Zeitpunkten diverse Lockerungen im Umgang des Katöken mit seinem Kleros beschlossen habe. Daran zeige sich jedoch keineswegs eine vermeintliche Schwäche des Königshauses, sondern „eher ptolemäischer Pragmatismus“ (S. 194).

Das vorletzte Kapitel befasst sich mit der wirtschaftlichen Situierung der Katöken. Scheuble-Reiter stellt fest, dass die Quellen hier ein recht heterogenes Bild zeichnen, das große wirtschaftliche Unterschiede innerhalb der Gruppe der Katöken durchblicken lässt. Nichtsdestotrotz sei davon auszugehen, dass „die Katöken der gehobenen sozialen Schicht angehört haben“ (S. 285). Sie lehnt daher die These eines stetigen wirtschaftlichen Verfalls der Gruppe ab, gleichwohl sie viele Belege aus verschiedenen Zeiten und Regionen anführt, die in diese Richtung gedeutet werden können.

Abgeschlossen wird der thematische Teil mit einem Kapitel zur religiösen Kultur der Katöken, das an sich jedoch weniger religiöse, als vielmehr ethnische Fragen behandelt. Über die Betrachtung „fremder“ und „indigener“ Kulte kommt Scheuble-Reiter zu dem Schluss, dass die Katöken (und generell zugewanderte Soldaten) eine hohe Affinität gegenüber den „indigenen“ Kulten aufwiesen, obschon punktuell importierte Kulte eine wichtige Rolle gespielt hätten. Sie sieht dies als Beleg für eine immer weiter fortschreitende Diffusion ethnischer Grenzen: „Auch hier begannen die Grenzen allmählich zu verschwimmen“ (S. 317).

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass Sandra Scheuble-Reiter ein Grundlagenwerk zu einem der prominentesten Themen der papyrologischen Forschung verfasst hat. In akribischer Arbeit hat sie eine Fülle von Belegen untersucht und ausgewertet, die einen spannenden Einblick in eine nicht nur für die Papyrologie wichtige Thematik liefert. Ihr ist es gelungen, eine übersichtliche Einführung zu dieser recht komplexen Materie zu verfassen, die zu weiteren Forschungen anregen wird.

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